Luxemburger Wort

„Unsere Fans haben mich ausgebuht“

Olivier Thill ist trotz des anhaltende­n Krieges in die Ukraine zurückgeke­hrt. Mit der FLFAuswahl will er zur Europameis­terschaft

- Interview: Bob Hemmen (Tiflis)

Olivier Thill überrascht­e die Fußballwel­t im vergangene­n Monat mit seiner Rückkehr in die Ukraine. Schließlic­h hatte er das Land 2022 in einer Nacht-undNebel-Aktion verlassen müssen, nachdem es von Russland angegriffe­n worden war. Doch nach einer für ihn harten Zeit in der Türkei sah der 27-Jährige beim FC LNZ Cherkasy eine neue Chance. Im Interview spricht Thill über die Sicherheit­slage in der Ukraine, ein klärendes Gespräch mit Nationaltr­ainer Luc Holtz und die anstehende­n Play-offs zur EM. Thill trifft am morgigen Donnerstag mit der FLF-Auswahl ab 18 Uhr im Halbfinale in Tiflis auf Georgien. Der Mittelfeld­spieler träumt bereits von der Europameis­terschaft.

Olivier Thill, ist es komplizier­t, die Ukraine zu verlassen?

Da man nicht fliegen kann, bin ich von Kiew nach Polen gefahren. Ich war lange unterwegs und stand drei Stunden an der Grenze. Ich schlief bei Séba in Rzeszow (Sébastien Thill spielt für den polnischen Zweitligis­ten

Stal, Anm. d. Red.) und flog dann über Warschau nach Luxemburg. Es war also ziemlich komplizier­t.

Erinnerte Sie das nicht an Ihre Flucht?

Doch, schließlic­h war es teilweise die gleiche Strecke, die ich gefahren bin. Aber man kann ohne Probleme durch die Ukraine fahren, auch wenn es teilweise über Feldwege geht. Ich habe nichts gesehen, was mich schockiert hätte.

Als Sie letzten Monat bei LNZ Cherkasy unterschri­eben haben, sagten Sie, dass man vom Krieg nichts merken würde. Hat sich dieser Eindruck bestätigt?

Ja, vom Krieg bekomme ich nichts mit. Wir waren jetzt fast einen Monat in Kiew, weil wir dort unsere Spiele ausgetrage­n haben. Wenn wir abends Zeit hatten, waren wir in der Stadt unterwegs. Die Leute führen ein normales Leben.

Warum wollten Sie die Türkei unbedingt verlassen?

Es sind viele Dinge zusammenge­kommen. Am Ende lag es am Verein (Sanliurfas­por, Anm. d. Red.) und den handelnden Personen. Als wir verloren haben, wurde ich zum Sündenbock gemacht. Unsere Fans haben mich ausgebuht. Das wollte ich nicht mehr. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen.

Wie konnte es dazu kommen?

Ich weiß es nicht. Natürlich hat man mal bessere und mal schlechter­e Tage, aber ich habe immer Vollgas gegeben und hatte sicher keine schlechte Einstellun­g. Vielleicht wurde ich als Schuldiger ausgemacht, weil ich einer der besten Spieler im Team war. Das fand ich nicht gerecht. Es war unmöglich, in der Türkei zu bleiben.

Warum ging es ausgerechn­et zurück in die Ukraine?

Bei Vorskla Poltava hatte ich meine beste Saison, deshalb gab es immer Kontakte. Ich habe mich in der Ukraine wohlgefühl­t und wollte zurückkehr­en. Dass der Krieg bei meiner Rückkehr noch nicht vorbei sein würde, hätte ich selbst nicht gedacht. Aber die Umstände haben dafür gesorgt. Schade ist nur, dass ich meine Familie nicht bei mir habe. Aber unseren Kindern geht es in Luxemburg gut. Denn auch wenn ich mich sicher fühle, wollte ich nicht riskieren, dass ihnen oder meiner Frau etwas passiert.

Fällt es Ihnen schwer, getrennt zu leben?

Ja, ich bin gerne mit meinen Kindern zusammen und habe sie in den letzten Wochen sehr vermisst. Deshalb haben wir in den vergangene­n Tagen so viel Zeit wie möglich miteinande­r verbracht.

Hat sich Ihre Lebenseins­tellung durch die negativen Erfahrunge­n, die Sie zuletzt als Fußballer machen mussten, verändert?

Viele Leute wissen nicht, dass es auch schwierige Momente gibt. Sie denken, als Fußballer ist immer alles schön und einfach. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass das nicht so ist. Aber meine Familie hat mir dabei sehr geholfen. Früher stand für mich der Fußball immer an erster Stelle, durch meine Frau und die Kinder hat sich das geändert.

Die Play-offs mit der Nationalma­nnschaft sind für Sie sicher eine willkommen­e Motivation, oder?

Das sind die wichtigste­n Spiele meines Lebens. Die Motivation ist riesig, vor allem, wenn wir das Finale erreichen.

Sie haben sich vor zwei Wochen den Knöchel verstaucht. Werden Sie rechtzeiti­g fit?

Ich habe bereits am Sonntag trainiert, das sollte also klappen.

Danel Sinani und Ihr Bruder Vincent fallen aus. Wie stehen Ihre Einsatzcha­ncen?

Seit ich wieder in der Nationalma­nnschaft bin, habe ich nicht mehr so viel gespielt wie früher. Wenn ich wählen dürfte, würde ich natürlich zweimal 90 Minuten spielen. Aber letztlich ist das nicht meine Entscheidu­ng, ich kann nur gut trainieren. Außerdem ist Fußball ein Mannschaft­ssport, und ob ich spiele oder nicht, ich wäre einfach glücklich, wenn wir uns für die EM qualifizie­ren würden.

Wegen eines Streits mit Nationaltr­ainer Luc Holtz wurden Sie über

ein Jahr lang nicht nominiert. Gab es ein klärendes Gespräch?

Wir sind beide erwachsen und haben lange miteinande­r telefonier­t. Es sind Dinge passiert und gesagt worden, die wir nicht mehr ändern können. Das Wichtigste ist, dass es uns beiden um die Nationalma­nnschaft geht.

Stellen Sie sich manchmal vor, wie es wäre, mit Luxemburg an der EM teilzunehm­en?

Wir waren noch nie so nah dran. Es ist wichtig, davon zu träumen, um das Ziel vor Augen zu haben. Alle freuen sich, auch wenn es in Georgien sehr hart wird. Aber wir sollten es genießen. Wir sind zwei Spiele davon entfernt, Geschichte zu schreiben.

: Viele Leute wissen nicht, dass es auch schwierige Momente gibt. Sie denken, als Fußballer ist immer alles schön und einfach.

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Foto: FC LNZ Cherkasy Olivier Thill ist vergangene­n Monat zum FC LNZ Cherkasy gewechselt.

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