Luxemburger Wort

Was hat die Europäisch­e Union der Ukraine noch zu bieten?

Die EU will das Land weiter unterstütz­en. Beim Gipfeltref­fen diskutiere­n die Staats- und Regierungs­chefs über das weitere Vorgehen

- Von Diego Velazquez

Für die Ukraine wird der Widerstand gegen die russische Invasion zunehmend schwierige­r, was auch den europäisch­en Partnern immer mehr Sorgen bereitet. Der EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel wird deswegen versuchen, den Ukrainern etwas Zuversicht zu kommunizie­ren.

Die Gipfelerkl­ärung spart demnach nicht an starken Absichtser­klärungen. „Angesichts der Dringlichk­eit der Lage ist die Europäisch­e Union entschloss­en, der Ukraine und ihrem Volk weiterhin die erforderli­che politische, finanziell­e, wirtschaft­liche, humanitäre, militärisc­he und diplomatis­che Unterstütz­ung zu gewähren“, heißt es darin. Und zwar „so lange wie nötig und so intensiv wie nötig.“

Doch was das genau bedeuten soll, darüber müssen die EU-Partner erst noch beraten. Klar ist: Soll die Ukraine den Krieg überstehen, braucht Kiew weiterhin Geld und Waffen. Kurzfristi­g und langfristi­g. Besonders, da ein Wahlsieg des diesbezügl­ich eher unberechen­baren Donald Trump bei der Präsidents­chaftswahl Ende des Jahres in den USA nicht unmöglich ist.

Kreative Geldlösung­en

Um an Geld zu kommen, hat die EUKommissi­on zu Beginn der Woche eine neue Idee ins Spiel gebracht. Brüssel will einen Großteil der Gewinne aus der Verwahrung eingefrore­ner russischer Zentralban­k-Gelder für Waffenkäuf­e für die Ukraine nutzen. 90 Prozent der nutzbaren Einnahmen sollen laut dem Willen der EU-Kommission in den EU-Fonds für die Finanzieru­ng militärisc­her Ausrüstung und Ausbildung fließen. Die restlichen 10 Prozent würden dann in den EU-Haushalt fließen und genutzt werden, um die Verteidigu­ngsindustr­ie in der Ukraine selbst zu stärken.

Dem EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell zufolge könnten dadurch pro Jahr etwa drei Milliarden Euro zusätzlich für die Unterstütz­ung des von Russland angegriffe­nen Landes zur Verfügung stehen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wollen die

Staats- und Regierungs­chefs der EU erst einmal über diese Möglichkei­t beraten. Die luxemburgi­sche Regierung zeigt sich indes offen für die Idee, meldet in Vorbereitu­ngsdokumen­ten zum EU-Gipfel allerdings einige rechtliche Bedenken an, die noch geklärt werden müssen.

Rechtliche Bedenken in Brüssel ... und in Moskau

Dass das Vorhaben rechtlich angreifbar ist, weiß man auch in Russland. Moskau hatte die EU bereits im vergangene­n Jahr davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszier­en. Denkbar wäre es beispielsw­eise, dass dann auch in Russland tätige Unternehme­n aus EU-Ländern zwangsente­ignet werden. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögensw­erte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäisch­en Finanzplat­z verlieren und Vermögen aus der EU abziehen.

Davon abgesehen muss sich die EU ohnehin darauf vorbereite­n, langfristi­g mehr in Verteidigu­ng und Sicherheit zu investiere­n. Denn viele befürchten, dass sich Europa nicht auf ewig in Sachen Sicherheit auf die USA verlassen kann.

„Dies ist auch eine Zeit für einen echten Paradigmen­wechsel in Bezug auf unsere Sicherheit und Verteidigu­ng“, schreibt etwa der EU-Ratspräsid­ent Charles Michel in seinem Einladungs­brief an die 27 EU-Staats- und Regierungs­chefs. „Europa hat jahrzehnte­lang nicht genug in seine Sicherheit und Verteidigu­ng investiert. Jetzt, da wir mit der größten Sicherheit­sbedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontie­rt sind, ist es höchste Zeit, radikale und konkrete Schritte zu unternehme­n, um verteidigu­ngsbereit zu sein und die Wirtschaft der EU auf Kriegsbere­itschaft zu bringen.“

Macrons Aussagen sorgen für Gesprächss­toff

Erwartet wird demnach eine strategisc­he Debatte, wie sich die EU in Zukunft verteidigu­ngspolitis­ch aufstellen möchte. Im gleichen Zusammenha­ng erwarten Diplomaten auch, dass die rezenten Aussagen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron für Gesprächss­toff am Rande des Gipfels sorgen werden.

Um aus der außenpolit­ischen Sackgasse Russland gegenüber herauszuko­mmen, hatte er kürzlich mit einer überrasche­nden Idee gespielt: Gleich mehrmals hat Macron gesagt, eine Entsendung westlicher Bodentrupp­en in die Ukraine nicht ausschließ­en zu wollen. „All diese Optionen sind möglich“, so der französisc­he Präsident.

Die Aussagen fielen auf Unverständ­nis in Berlin – in Brüssel kann man sich allerdings mit Macrons „strategisc­her Ambiguität“durchaus anfreunden, wie einige Diplomaten zugeben. Dabei geht es vor allem darum, Wladimir Putin im Ungewissen zu halten, sich nicht in die Karten schauen zu lassen und vor allem keine roten Linien zu formuliere­n.

Weniger Ambiguität wird sich dagegen von der EU beim Nahostkonf­likt gewünscht – besonders, da sich weder der EU-Gipfel im Dezember 2023 noch der im Februar dieses Jahres umfangreic­h damit befasst haben. Einige EU-Regierunge­n, allen voran die spanische und die irische, fordern den Staatenbun­d dazu auf, die andauernde brutale Antwort der israelisch­en Regierung auf die Gräueltate­n der Hamas vom 7. Oktober etwas klarer anzuprange­rn. Ob es dazu kommen wird, muss sich am Donnerstag und Freitag noch zeigen. Klar ist dagegen, dass die EU „entsetzt ist über den beispiello­sen Verlust an Zivilisten­leben“, wie es im Entwurf der Gipfelerkl­ärung lautet.

: Europa hat jahrzehnte­lang nicht genug in seine Sicherheit und Verteidigu­ng investiert. Charles Michel, EU-Ratspräsid­ent

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Foto: AFP Die EU steht an der Seite der Ukraine. Doch ist vieles noch ausbaufähi­g.

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