Was hat die Europäische Union der Ukraine noch zu bieten?
Die EU will das Land weiter unterstützen. Beim Gipfeltreffen diskutieren die Staats- und Regierungschefs über das weitere Vorgehen
Für die Ukraine wird der Widerstand gegen die russische Invasion zunehmend schwieriger, was auch den europäischen Partnern immer mehr Sorgen bereitet. Der EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel wird deswegen versuchen, den Ukrainern etwas Zuversicht zu kommunizieren.
Die Gipfelerklärung spart demnach nicht an starken Absichtserklärungen. „Angesichts der Dringlichkeit der Lage ist die Europäische Union entschlossen, der Ukraine und ihrem Volk weiterhin die erforderliche politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung zu gewähren“, heißt es darin. Und zwar „so lange wie nötig und so intensiv wie nötig.“
Doch was das genau bedeuten soll, darüber müssen die EU-Partner erst noch beraten. Klar ist: Soll die Ukraine den Krieg überstehen, braucht Kiew weiterhin Geld und Waffen. Kurzfristig und langfristig. Besonders, da ein Wahlsieg des diesbezüglich eher unberechenbaren Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl Ende des Jahres in den USA nicht unmöglich ist.
Kreative Geldlösungen
Um an Geld zu kommen, hat die EUKommission zu Beginn der Woche eine neue Idee ins Spiel gebracht. Brüssel will einen Großteil der Gewinne aus der Verwahrung eingefrorener russischer Zentralbank-Gelder für Waffenkäufe für die Ukraine nutzen. 90 Prozent der nutzbaren Einnahmen sollen laut dem Willen der EU-Kommission in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung fließen. Die restlichen 10 Prozent würden dann in den EU-Haushalt fließen und genutzt werden, um die Verteidigungsindustrie in der Ukraine selbst zu stärken.
Dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zufolge könnten dadurch pro Jahr etwa drei Milliarden Euro zusätzlich für die Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes zur Verfügung stehen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wollen die
Staats- und Regierungschefs der EU erst einmal über diese Möglichkeit beraten. Die luxemburgische Regierung zeigt sich indes offen für die Idee, meldet in Vorbereitungsdokumenten zum EU-Gipfel allerdings einige rechtliche Bedenken an, die noch geklärt werden müssen.
Rechtliche Bedenken in Brüssel ... und in Moskau
Dass das Vorhaben rechtlich angreifbar ist, weiß man auch in Russland. Moskau hatte die EU bereits im vergangenen Jahr davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszieren. Denkbar wäre es beispielsweise, dass dann auch in Russland tätige Unternehmen aus EU-Ländern zwangsenteignet werden. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögenswerte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzplatz verlieren und Vermögen aus der EU abziehen.
Davon abgesehen muss sich die EU ohnehin darauf vorbereiten, langfristig mehr in Verteidigung und Sicherheit zu investieren. Denn viele befürchten, dass sich Europa nicht auf ewig in Sachen Sicherheit auf die USA verlassen kann.
„Dies ist auch eine Zeit für einen echten Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Sicherheit und Verteidigung“, schreibt etwa der EU-Ratspräsident Charles Michel in seinem Einladungsbrief an die 27 EU-Staats- und Regierungschefs. „Europa hat jahrzehntelang nicht genug in seine Sicherheit und Verteidigung investiert. Jetzt, da wir mit der größten Sicherheitsbedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert sind, ist es höchste Zeit, radikale und konkrete Schritte zu unternehmen, um verteidigungsbereit zu sein und die Wirtschaft der EU auf Kriegsbereitschaft zu bringen.“
Macrons Aussagen sorgen für Gesprächsstoff
Erwartet wird demnach eine strategische Debatte, wie sich die EU in Zukunft verteidigungspolitisch aufstellen möchte. Im gleichen Zusammenhang erwarten Diplomaten auch, dass die rezenten Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für Gesprächsstoff am Rande des Gipfels sorgen werden.
Um aus der außenpolitischen Sackgasse Russland gegenüber herauszukommen, hatte er kürzlich mit einer überraschenden Idee gespielt: Gleich mehrmals hat Macron gesagt, eine Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschließen zu wollen. „All diese Optionen sind möglich“, so der französische Präsident.
Die Aussagen fielen auf Unverständnis in Berlin – in Brüssel kann man sich allerdings mit Macrons „strategischer Ambiguität“durchaus anfreunden, wie einige Diplomaten zugeben. Dabei geht es vor allem darum, Wladimir Putin im Ungewissen zu halten, sich nicht in die Karten schauen zu lassen und vor allem keine roten Linien zu formulieren.
Weniger Ambiguität wird sich dagegen von der EU beim Nahostkonflikt gewünscht – besonders, da sich weder der EU-Gipfel im Dezember 2023 noch der im Februar dieses Jahres umfangreich damit befasst haben. Einige EU-Regierungen, allen voran die spanische und die irische, fordern den Staatenbund dazu auf, die andauernde brutale Antwort der israelischen Regierung auf die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober etwas klarer anzuprangern. Ob es dazu kommen wird, muss sich am Donnerstag und Freitag noch zeigen. Klar ist dagegen, dass die EU „entsetzt ist über den beispiellosen Verlust an Zivilistenleben“, wie es im Entwurf der Gipfelerklärung lautet.
: Europa hat jahrzehntelang nicht genug in seine Sicherheit und Verteidigung investiert. Charles Michel, EU-Ratspräsident