Luxemburg und sein „sauberes“Kokain
Bis zu 6.000 Drogenproben werden jedes Jahr in der Abteilung für analytische Chemie untersucht. Dabei gibt es mitunter überraschende Ergebnisse
Ein normaler Vormittag in Düdelingen. Zwei Mitarbeiter des Staatslaboratoriums (LNS) sind in der Abteilung für analytische Chemie damit beschäftigt, Proben für Analysen vorzubereiten. Von der Polizei beschlagnahmte Cannabisblüten werden gerade gewogen und fotografiert. Seit Jahren ist die Reinheit der Cannabisblüten auf dem luxemburgischen Markt relativ stabil und liegt etwa zwischen elf und 16 Prozent, sagt Dr. Serge Schneider, Leiter der Abteilung für analytische Chemie am LNS.
Pausenlos läuft das Gas-Chromatografiegerät, das mit einem Massenspektrometer gekoppelt, Substanzen identifizieren kann. Seit Anfang des Jahres, also innerhalb von 72 Tagen, wurden bereits 1.400 Proben von Zoll und Polizei abgegeben, die von drei bis vier Mitarbeitern untersucht werden. „Wir sind voll ausgelastet“, sagt Dr. Schneider.
60 bis 75 Prozent der zwischen 5.500 und 6.000 jährlich eingereichten Proben werden im LNS untersucht. Reicht der Zoll etwa 1.000 Ecstasy-Pillen zur Analyse ein, untersuchen Mitarbeitende meist nur sieben Pillen, eine europaweit standardisierte Vorgabe. Falls die untersuchten Proben die gleiche Zusammensetzung haben, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die restlichen 993 Pillen auch die gleiche Zusammensetzung haben, bei über 95 Prozent.
Seit einigen Jahren ist der europäische Drogenmarkt mit Kokain gesättigt. Die Qualität ist hoch, das Kokain günstig und weniger gestreckt als andere Drogen. „Wir finden oft sehr sauberes Kokain“, sagt Dr. Schneider. Wenn er von sehr sauberem Kokain spricht, meint er Kokain mit einem Reinheitsgrad von mehr als 75 Prozent. Manchmal gibt das Kokain aber auch Rätsel auf: „Kokain wird mit Substanzen gestreckt, bei denen weder ich noch andere Fachleute verstehen, warum.“
Verbotenes Wurmmittel im Kokain
Dabei stoßen die Analytiker im LNS und in ganz Europa seit Jahren auf Erstaunliches: Kokain wird oft mit geringen Mengen Levamisol, einem Anti-Wurmmittel, Lidocain, einem Lokalanästhetikum, Kaffein, einem Aufputschmittel und Ketamin, einem Dissoziativum sowie Zucker gepanscht, welches aufgrund der Nebenwirkungen in der Humanmedizin verboten wurde, jedoch noch Nutzen in der Veterinärmedizin findet. Taucht in den Proben eine Substanz auf, die Dr. Schneider bedenklich erscheint, informiert er das Gesundheitsministerium, das wiederum gegebenenfalls die Bevölkerung warnt.
Er klickt sich durch die Datentabelle des vergangenen Jahres. „Da sind einige Proben dabei, bei denen das Kokain 100 Prozent beträgt“– und das kann fatale Folgen für die Konsumierenden haben. Kokain sei nicht unbedingt die Droge, an der man stirbt. Im vergangenen Jahr lag der Durchschnittsgehalt in 825 Kokainproben bei 61 Prozent Kokain.
Beim Heroin sieht es anders aus: Bei zu hochkonzentriertem Heroin kann es zu lebensgefährlichen Intoxikationen, also Vergiftungen, führen. Je mehr Hände die Ware durchlaufen, desto geringer wird die Qualität. Vom Zoll beschlagnahmte Ware weist die beste Qualität auf. Kommt Heroin über die Grenze, hat es noch einen Reinheitsgrad von durchschnittlich 23 Prozent. Wechselt das Heroin anschließend den Besitzer, schwindet die Qualität rasant: Etwa 13 bis 14 Prozent beträgt die Reinheit bei dem von der Polizei auf der Straße beschlagnahmten Heroin. Im Konsumraum des Abrigados taucht oft Heroin mit nur knapp zehn Prozent Reinheit auf.
Da sind einige Proben dabei, bei denen das Kokain 100 Prozent beträgt. Dr. Serge Schneider, Leiter der Abteilung für Analytische Toxikologie und Pharmazeutische Chemie am LNS
Viel Paracetamol, wenig Heroin
Dr. Schneider hält fest: „Klassisches Heroin enthält etwa 50 Prozent Paracetamol, 25 Prozent Kaffein, 15 Prozent Heroin und der Rest sind meistens Begleitprodukte des Mohns.“Eine weitere luxemburgische Studie des LNS, die 2022 in Zusammenarbeit mit dem Abrigado und der Jugend- an Drogenhëllef durchgeführt wurde, offenbart, dass kein Zusammenhang zwischen Qualität und Preis von Heroin und Kokain besteht. „Es gibt anscheinend Leute, die nach dieser Studie den Dealer gewechselt haben“, bemerkt Dr. Schneider.
Bei den Straßendealern gibt es eine neuere Entwicklung. Während früher die Gruppen klar getrennt waren, verkauft heute jeder fast alles. LNS-Mitarbeitende stoßen auf Proben, in denen beispielsweise Heroin mit Spuren von Kokain vermischt ist, da der Dealer beides in seiner Tasche aufbewahrt. „Es gibt kaum noch Heroin, das nicht mit Spuren von Kokain verunreinigt ist“, sagt Dr. Schneider.
Fentanyl und Fentanylderivate wurden in den vergangenen Jahren im LNS nicht nachgewiesen. „Eines Tages wird es kommen“, schätzt Dr. Schneider. In seiner Excel-Tabelle mit verschiedenen NPS (nouveau produits de synthèse), also synthetischen Drogen taucht Fentanyl nicht auf. „Zum Glück“, meint er. Spitzenreiter bei den synthetischen Drogen ist Ketamin, eine wahrnehmungsverändernde Droge, die in der Human- und der Veterinärmedizin als Anästhetikum Verwendung findet.
Berauschte Flusskrebse
Das Spiegelbild der Drogenlandschaft ist das Abwasser Luxemburgs. Alles, was konsumiert wird, findet sich dort wieder. Seit Januar vergangenen Jahres werden deswegen an verschiedenen Stellen im Land Abwasserproben entnommen. „Die Menschen interessiert, was im Wasser schwimmt. Es ist interessant zu erforschen, ob und gegebenenfalls wie stark unsere Gewässer mit Drogen und Medikamenten belastet sind“, stellt Dr. Schneider fest. Ob in der Hauptstadt konsumiert wird, kann das LNS hauptsächlich an den Proben aus Hesperingen und Beggen erfahren. Das Abwasser wird auf Rückstände von acht Drogen untersucht: Ecstasy, Ketamin, Mephedron, Heroin, Kokain, Cannabis, Amphetamin und Metamphetamin.
Nicht nur das Abwasser, sondern auch die Lebewesen in den Flüssen und Bächen lassen Rückschlüsse auf den Drogenkonsum im Land zu. Amina Krüger, die ihr Masterstudium an der schwedischen Universität Uppsala in Schweden absolviert, untersucht Luxemburger Flusskrebse auf Rückstände von Medikamenten und Drogen. „Wir erwarten uns aber nicht, dass die Flusskrebse voller Kokain sind. Bei den meisten finden wir nichts, bei einigen haben wir einen starken Verdacht auf verschiedene Medikamente“, ergänzt Dr. Schneider.
Detaillierte Resultate zur Drogenpräsenz in den Abwässern Luxemburgs wird Dr. Schneider, gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium, in einigen Monaten bekannt geben.