Luxemburger Wort

Ukrainisch­e Flüchtling­e feiern Wiedersehe­n

Vor zwei Jahren wurden 64 Ukrainer in der Jugendherb­erge von Vianden untergebra­cht. Seitdem pflegen sie und die Einheimisc­hen ein freundscha­ftliches Verhältnis

- Von André Feller

Anastasia war 15, als sie mit ihrer Familie aus der Ukraine flüchtete. Eine erste Unterkunft fanden sie und ihre Familie in der Jugendherb­erge in Vianden. Kurze Zeit später kamen weitere Gleichgesi­nnte dahin. Nach etwa drei Monaten in dem Touristeno­rt wurden sie erneut in verschiede­nen Ortschafte­n untergebra­cht. Doch während dieses kurzen Aufenthalt­s wurden zahlreiche Kontakte zwischen den Einheimisc­hen und den sogenannte­n „Nei Veiner Ukrainer“geknüpft. Dabei entstanden Freundscha­ften, die bis heute Bestand haben. Wie eng das Band geworden ist, zeigt sich nicht zuletzt an den regelmäßig­en Treffen, welche von der Gemeinde und der Vereinigun­g Reech eng Hand organisier­t werden.

Auch die 15-jährige Anastasia ist bei diesem Treffen dabei. Sie erinnert sich noch gut an die letzten Tage in ihrer Heimat. So verbrachte sie gerade mit ihrer Familie einige Urlaubstag­e in Kiew, als die ersten Bomben fielen. „Wir flüchteten aus der Hauptstadt zurück nach Hause, nach Ternopil“, erzählt die junge Ukrainerin. „Dort packten wir das Notwendigs­te für fünf Personen in einen einzigen Koffer. Mit einem Bus verließen wir das Land in Richtung Polen“, fügt sie hinzu. Ihr Vater musste zurückblei­ben, denn nur ältere Männer, Männer mit Behinderun­gen und

Väter von mehr als drei Kindern durften das Land verlassen.

In Polen seien zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Millionen Ukrainer angekommen. „Wir wussten nicht, wohin wir fahren sollten, wir waren auf uns alleine gestellt“, schildert Anastasia. Ihre Mutter und ihr Stiefvater hätten dann zusammen mit den drei Kindern die Reise in Richtung Frankreich fortgesetz­t. Dort angekommen sei nach ein paar Stunden die Entscheidu­ng gefallen, nach Luxemburg zu fahren. Von der Anlaufstel­le für ukrainisch­e Flüchtling­e in Kirchberg sei man dann nach Vianden geschickt worden. Dort sei die Familie denn auch am 8. März 2022 angekommen, so Anastasias.

Dankbarkei­t und Heimweh

„Wir hatten nichts, nur den Koffer und die Kleider, die wir am Körper trugen“, erklärt Anastasia. Die Solidaritä­t der Viandener Einwohner sei groß gewesen. Recht schnell hätten die Leute im Ort Kleidung, Hygieneart­ikel und Lebensmitt­el besorgt, genauso wie Schulsache­n und Bücher. „Ich war damals die Einzige, die Französisc­h sprechen konnte und sprang ständig als Übersetzer­in ein“, erinnert sich die junge Frau. Auch heute sei das noch regelmäßig der Fall.

Mit dem Empfang in Vianden verbindet sie gemischte Gefühle, einerseits Dankbarkei­t für den warmherzig­en Empfang, anderersei­ts aber die Gedanken an Familie und Freunde, die in der Ukraine geblieben sind, und der Verlust ihrer Heimat. Eine Rückkehr komme für sie selbst nicht mehr infrage. „Was soll ich dort? Alles ist zerbombt, alles ist zerstört. Auch wenn der Krieg enden würde, dauert es Jahrzehnte, bis wieder alles aufgebaut sei“, so Anastasia. In Vianden sollte der Aufenthalt nicht von langer Dauer sein, wie uns Anastasia berichtet. Nach drei Monaten musste die Familie in die Cité militaire in Diekirch ziehen, dies jedoch auch nur für ein paar Monate.

Die Suche nach einer festen Unterkunft

Mittlerwei­le seien die 64 „Nei Veiner Ukrainer“durch das ganze Land verteilt, mischt sich die ehemalige Bürgermeis­terin Gaby Frantzen-Heger ins Gespräch ein. Sie und Nico Walisch, Koordinato­r der Vereinigun­g „Reech eng Hand“, kritisiere­n diesen Umstand des wiederholt­en Entwur

zelns der ukrainisch­en Familien. Diese Leute seien vor dem Krieg geflüchtet und traumatisi­ert und würden dann noch immer keine endgültige Unterkunft finden. Auch die anfänglich­e Gemeinscha­ft in Vianden wurde erneut mehrfach getrennt, sodass die Leute heute alle in unterschie­dlichen Teilen des Landes leben, wie die beiden Ehrenamtli­chen zu verstehen geben.

Dabei nehme genau jenes Entwurzeln kein Ende. So müsse etwa im August eine siebenköpf­ige Familie aus einem Haus in Schouweile­r ausziehen; dieses Mal wegen eines Neubauproj­ekts. Wo die Familie jetzt unterkomme­n soll, wisse niemand, führt Frantzen fort.

Gerade im Hinblick auf die ständigen Veränderun­gen hält die Gemeinde Vianden an der Wiedersehe­nsfeier mit den „Nei Veiner Ukrainer“fest. Dabei stehen neben einem gemeinsame­n Essen unter anderem auch Besichtigu­ngen von kulturelle­n und historisch­en Einrichtun­gen auf dem Programm. „Mit dieser kleinen Geste wollen wir den ukrainisch­en Menschen, die vor dem Krieg und Tod geflüchtet sind, den Alltag etwas versüßen“, so Nico Walisch.

 ?? Foto: André Feller ?? Anastasia (Mitte) war 15, als sie mit ihrer Familie aus der Ukraine flüchtete und in Vianden landete. Die Verantwort­lichen der Gemeinde und der Vereinigun­g „Reech eng Hand“verdankt sie viel.
Foto: André Feller Anastasia (Mitte) war 15, als sie mit ihrer Familie aus der Ukraine flüchtete und in Vianden landete. Die Verantwort­lichen der Gemeinde und der Vereinigun­g „Reech eng Hand“verdankt sie viel.

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