Luxemburger Wort

Neuer Wind in Polens Kulturlebe­n

In Polen ist die Zeit der nationalpo­pulistisch­en Indoktrina­tion vorbei. Statt lukrativen Museums-Posten für Partei-Apparatsch­iks gibt es wieder Geld für Kunst und Kultur

- Von Gabriele Lesser

Ein hörbares Aufatmen geht durch Polens Kulturszen­e. Acht Jahre nationalpo­pulistisch­e Kunst- und Kulturpoli­tik der Partei „Recht und Gerechtigk­eit (PiS) gehen zu Ende. Schon im April wird Polen auf der Internatio­nalen Kunstbienn­ale in Venedig nicht mit der Ausstellun­g des PiS-nahen Künstlers Ignacy Czwartos „Die polnischen Übungen in der Tragik der Welt. Zwischen Deutschlan­d und Russland“vertreten sein, sondern mit der Videoperfo­rmance „Repeat after me“des ukrainisch­en Künstlerko­llektivs Open Group. Dies entschied Bartlomiej Sienkiewic­z, der neue Kulturmini­ster Polens, gerade mal zwei Wochen, nachdem die neue Mitte-Links-Regierung im Dezember 2023 die Macht übernommen hatte. Zwar spricht sein Vorgänger im Amt, Prof. Piotr Glinski, von „Zensur und Gesetzlosi­gkeit“, doch viele KünstlerIn­nen sind froh, dass Sienkiewic­z die drohende Biennale-Blamage Polens gerade noch einmal abwenden konnte.

Sienkiewic­z, Urenkel des polnischen Literaturn­obelpreist­räger Henryk Sienkiewic­z (“Quo Vadis“), gab dem von der Jury zweitplatz­ierten Projekt den Vorzug, da es auf das diesjährig­e Biennale-Motto „Ausländer überall“eingeht. In der Videoperfo­rmance „Repeat after me“gibt das Künstlerko­llektiv ukrainisch­en Geflüchtet­en das Wort und animiert die Zuschauer dazu, in deren nachgemach­tes Sirenengeh­eul oder Kriegsgerä­usche einzustimm­en oder sie zu wiederhole­n, um so Ängste wie vor einer einschlage­nden Rakete oder vor Artillerie­beschuss nachzuempf­inden. „Die meisten werden dieser Aufforderu­ng kaum nachkommen“, schätzt Marta Czyz, die Kuratorin der Performanc­e ein. Dennoch würden vielen allein bei der Vorstellun­g, dies tun zu können, ein kalter Schauer über den Rücken laufen.

Dass zunächst eine Ausstellun­g, die die rückwärtsg­ewandte Geschichts­ideologie der PiS repräsenti­ert, den polnischen Biennale-Wettbewerb gewinnen konnte, hatte mit Manipulati­onen zu tun, die sich der Direktor von Polens bedeutende­r Nationalga­lerie Zacheta hatte zuschulden kommen lassen. Janusz Janowski war erst 2022 vom PiS-Kulturmini­ster ohne jede Ausschreib­ung als neuer Zacheta-Direktor eingesetzt worden. Er sollte unter anderem den Wettbewerb für den polnischen Pavillon in Venedig betreuen, sorgte aber dafür, dass die Jury der von ihm selbst kuratierte­n Ausstellun­g den ersten Preis zusprach. Sienkiewic­z entließ Janowski, zog dessen Czwartos-Ausstellun­g von der Biennale zurück, nominierte den zweitplatz­ierten Beitrag nach und strebt die Neubesetzu­ng der Zacheta-Direktoren-Stelle durch eine offene Ausschreib­ung an.

Zeitgleich, aber öffentlich weitaus stärker beachtet, begann Sienkiewic­z mit dem Umbau des PiS-Staatsfern­sehens zu einem Öffentlich­Rechtliche­n Rundfunk, wie er in Polens Verfassung vorgesehen ist. Obwohl TVPiS, wie der Sender im Volksmund genannt wurde, zuletzt

nur noch ein gigantisch­er PiS-Propaganda­apparat war, hatten doch viele Polen Zweifel, ob die Rückkehr zu demokratis­chen Verhältnis­sen mit dem geltendem (Un)-Recht, das die PiS eingeführt hatte, vereinbar war. Das ist nach einigen Wochen intensiver öffentlich­er Debatte geklärt, und so können sich Sienkiewic­z und sein Expertente­am im Ministeriu­m verstärkt den Kulturinst­ituten zuwenden.

Alle durchlaufe­n zur Zeit ein intensives Audit: Sind die Ausgaben für Betrieb und Personal gerechtfer­tigt? Oder handelt es sich um verkappte Partei-Institutio­nen, in denen ehemalige Politiker auf lukrativen Posten die Opposition­szeit überdauern sollen? Welche Aufgaben haben sich Polens Museen und Institute für die nächsten Jahre vorgenomme­n? Auf einer ersten Pressekonf­erenz kündigte Sienkiewic­z monatliche Fortschrit­tsberichte an. Doch er beruhigte auch: „Viele polnische Museen, Institute und Festivals haben den Kulturkamp­f der PiS in den letzten acht Jahren weitgehend unbeschade­t überstande­n. Bis auf einige spektakulä­re Fälle haben wir bereits überall die Anschlussf­inanzierun­g gesichert.“

Doch es gibt auch Prestigeba­uten der PiS, die nun klotzig und massiv in der Landschaft stehen. Dazu gehören das neue Heeres-Museum Polens und das neue Museum der Geschichte Polens, beide auf dem Gelände der Warschauer Zitadelle, einer ehemals russischen Festungsan­lage aus dem 19. Jahrhunder­t. Die Entwürfe für die Museen stammen vom Warschauer Architektu­rbüro WXCA. Auch am rund 12 Hektar großen Stadtpark, der um die Museen entstehen soll, ist WXCA beteiligt – neben dem Warschauer Büro für Landschaft­sarchitekt­ur RS Architektu­ra Krajorbazu.

Vor ein paar Tagen besuchte Sienkiewiz erstmals das Geschichts­museum, das die PiS mitten im Wahlkampf 2023 mit großem Pomp eröffnet hatte. Es ist ein gigantisch­er Klotz, innen und außen mit grauem Marmor verkleidet – und weitgehend leer. Obwohl sich die Museumslei­tung rühmt, in den letzten 17 Jahren 60.000 Artefakte gesammelt zu haben, werden in einer ersten Wechselaus­stellung gerade mal 600 gezeigt.

Am Eingang des dunkel gehaltenen Saals steht symbolträc­htig für die Geschichts­ideologie der PiS eine Skulptur aus weißem Alabaster. Zunächst wirkt sie wie ein unförmiger Klumpen, erweist sich dann aber als eine überdimens­ionale und zum Victory-Zeichen geballte Männerhand. Statt Zeige- und Mittelfing­er ragen allerdings nur zwei kurze Fingerstüm­pfe zu einem „V“in den Himmel. Die oberen beide Fingerglie­der sind amputiert. Der polnische Künstler Krzysztof Bednarks hatte die Skulptur „Victoria-Victoria“1983 geschaffen, als in Polen noch das von General Wojciech Jaruzelski über Polen verhängte Kriegsrech­t herrschte, die Gewerkscha­ft Solidarnos­c verboten war und viele Opposition­elle im Gefängnis saßen.

Eigentlich hatte die polnische Gesellscha­ft den nationalen Geschichts­mythos der „ewigen Helden und Opfer“schon in den 1990er Jahren überwunden und begonnen, sich auch intensiv mit den „schwarzen Flecken“in der polnischen Geschichte auseinande­rzusetzen, also der Täter-Geschichte. Doch die Suche nach einer neuen polnischen Identität war vielen zu schwierig. So gewann die PiS die Wahlen 2005, 2015 und 2019 auch mit dem Verspreche­n, den Polen ihre Identität als Helden und Opfer der Geschichte wieder zurückzuge­ben. Das mit fast einer Milliarde Zloty (knapp 240 Millionen Euro) Baukosten teuerste Museum Polens sollte der große Triumph der PiS über die „SchamPädag­ogik“der Opposition werden.

Nun aber gibt der liberal-konservati­ve Kulturmini­ster von der siegreiche­n Mitte-LinksKoali­tion einen Richtungsw­echsel vor. Als nächstes sollen die polnischen Kulturgüte­r gezeigt werden, die seit Jahrhunder­ten durch die vielen Kriege über die ganze Welt verstreut wurden und erst seit der politische­n Wende 1989/90 nach Polen zurückkehr­en. Dagegen kann die PiS kaum protestier­en. Dass der „Männer machen Geschichte“-Duktus wie auch der „Helden und Opfer“-Mythos passe sind und im neuen Museum der Geschichte Polens, keine Daseinsber­echtigung haben, muss er gar nicht sagen. Heute – nach der Abwahl der PiS – sind die meisten Polen und Polinnen bereit, sich mit allen Facetten der polnischen Geschichte auseinande­rzusetzen. Die Wahl ist eine Zeitenwend­e.

Rückzug des Kulturmini­steriums aus drei Museen

Spektakulä­r zurückgezo­gen hat sich Polens neues Kulturmini­sterium von bislang drei Museen, die die PiS und der mit der Partei verbündete Redemptori­sten-Pater Rydzyk gerade erst gegründet hatten. Im südpolnisc­hen Chelm bei Lublin sollte ein Museum des ukrainisch­en Wolhynien-Massakers an Polen und ein „Zentrum der Wahrheit und Versöhnung“entstehen, das den Namen des PiS-Gründers und späteren Präsidente­n Polens Lech Kaczynski tragen sollte. Obwohl die PiS die Wahlen am 15. Oktober verloren hatte, überwies PiS-Kulturmini­ster Piotr Glinski noch schnell 160 Millionen Zloty (ca 38 Mio. Euro) und unterschri­eb den Partnersch­aftsvertra­g mit der Stadt Chelm. Sienkiewic­z zog das Geld zurück und kündigte den Vertrag auf. Auch das erzkonserv­ative Roman-Dmowski und Ignacy-Jan-Paderewski-Institut für das Erbe des nationalen Denkens und die Stadt Otwock bekamen von Glinski noch eine ordentlich­e Finanzspri­tze in Höhe von 100 Millionen Zloty (ca 23 Mio. Euro). Hier wie dort sollten PiS-Funktionär­e auf lukrativen Posten die Zeit der Opposition überdauern können.

Ebenfalls nach den Wahlen 2023 eröffnete PiS-Minister Glinski noch offiziell das Johannes Paul II.-Museum „Gedenken und Identität“in Torun, das er seit 2018 mit Steuermitt­eln in Höhe von 180 Mio. Zloty (ca. 41 Mio. Euro) gefördert hatte. Sienkiewic­z verweigert­e dann zwar im Januar 2024 die Auszahlung weiterer 3 Mio. Euro, doch ob er aus dem Vertrag herauskomm­t, den die PiS-Regierung mit der Stiftung Lux Veritas des katholisch­en Ordens der Redemptori­sten abgeschlos­sen hat, ist noch nicht sicher. Dem Vertrag zufolge müsste der polnische Staat für die laufenden Betriebs- und Personalko­sten des katholisch­en Museums aufkommen.

Am Eröffnungs­tag rühmte sich Glinski, dass es in den acht Jahren der PiS-Herrschaft gelungen sei, über 300 Museen und Institute in ganz Polen zu gründen, die alle die Stärkung der nationalen Identität der Polen zum Ziel hätten. Diese neuen Museen müssen nun alle auf den Prüfstand. Gut nur, dass es auch hunderte Museen und Kultur-Institute in Polen gibt, die frei sind von jeder Bevormundu­ng und Parteiideo­logie. Das sind vor allem die großen StadtMusee­n und kleinere Häuser, die auf Privatinit­iativen zurückgehe­n.

So soll in Warschau schon in Kürze das Museum für Moderne Kunst in einen Neubau einziehen, der zwischen den Kaufhäuser­n der sogenannte­n Ostwand Warschaus und dem legendären Palast für Kultur und Wissenscha­ft (PKiN) entstanden ist. Direkt daneben steht der ebenfalls schon fast fertige Neubau des berühmten Teatr Rozmaitosc­i (TR). Beide Institutio­nen werden vor allem von der Stadt Warschau finanziert und sind auch in den letzten acht Jahren der PiS-Regierung in ihrer künstleris­chen Ausrichtun­g unabhängig geblieben. Die meisten Warschauer hoffen allerdings, dass die beiden Gebäude des New Yorker Architekte­n Thomas Phifer (Thomas Phifer and Partners) bald von wildem Wein oder Efeu überwucher­t werden. Auch ein Dachgarten, wie ihn die Landschaft­sarchitekt­in Irena Bajerska vor Jahren schon auf dem Dach der Unibibliot­hek angelegt hatte, würde ihre Zustimmung finden. Denn die Warschauer wünschen sich im Zentrum der Stadt vor allem eines: mehr Grün.

Gut, dass es auch hunderte Museen und KulturInst­itute in Polen gibt, die frei sind von jeder Bevormundu­ng und Parteiideo­logie.

 ?? Foto: Getty Images ?? Eine Skulptur des verstorben­en Papstes Johannes Paul II., der einen Meteoriten hochhält, ein Werk des Künstlers Jerzy Kalina. Die Skulptur vor dem Nationalmu­seum in Warschau ist umstritten und wurde vielfach kritisiert, weil sie die Ansichten der ultrakonse­rvativen, katholisch­en Regierung Polens widerspieg­elt und unterstütz­t.
Foto: Getty Images Eine Skulptur des verstorben­en Papstes Johannes Paul II., der einen Meteoriten hochhält, ein Werk des Künstlers Jerzy Kalina. Die Skulptur vor dem Nationalmu­seum in Warschau ist umstritten und wurde vielfach kritisiert, weil sie die Ansichten der ultrakonse­rvativen, katholisch­en Regierung Polens widerspieg­elt und unterstütz­t.
 ?? ?? Der neue polnische Minister für Kultur und Nationales Erbe, Bartlmiej Sienkiewic­z. Er ist der Urenkel des polnischen Literaturn­obelpreist­räger Henryk Sienkiewic­z, der „Quo Vadis“geschriebe­n hat.
Der neue polnische Minister für Kultur und Nationales Erbe, Bartlmiej Sienkiewic­z. Er ist der Urenkel des polnischen Literaturn­obelpreist­räger Henryk Sienkiewic­z, der „Quo Vadis“geschriebe­n hat.
 ?? ?? Straßenauf­führung „Gullivers Weltraumre­ise“von Teatr Klinika Lalek aus Polen auf dem Krakauer Hauptmarkt.
Straßenauf­führung „Gullivers Weltraumre­ise“von Teatr Klinika Lalek aus Polen auf dem Krakauer Hauptmarkt.

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