Luxemburger Wort

Dunkle Seiten des Erfolgs

Vom Handlungsr­eisenden zum Millionär: Thomas J. Watson herrschte über 40 Jahre über das IBM-Imperium. Verstrickt waren er und sein Unternehme­n in die Verbrechen der Nazis. Vor 150 Jahren kam der digitale Pionier zur Welt

- Von André Schwarz

Nur große Lobtaten konnte das „Luxemburge­r Wort“vom 19. Juli 1950 über Thomas J. Watson, den damaligen IBM-Präsidente­n berichten, der auf Einladung der amerikanis­chen Gesandten Perla Mesta in Luxemburg weilte. Sowohl Prinz Felix als auch die Luxemburge­r Regierung ließen es sich nicht nehmen, den prominente­n amerikanis­chen Gast würdig zu empfangen.

Thomas J. Watson verkörpert­e damals für viele den amerikanis­chen Traum. Der im Februar 1874 im Staate New York geborene Watson war zum Millionär geworden, begonnen hatte er als Handlungsr­eisender. Aufmerksam hatte er von seinem älteren Kollegen die Umgangsfor­men, Redensarte­n und kleinen Tricks abgeschaut. Er kleidete sich äußerst sorgfältig und strahlte offenbar solche Seriosität aus, dass er weder besonders musikalisc­hen noch todessehns­üchtigen Farmern Heimorgeln oder prunkvolle Eichensärg­e verkaufen konnte.

Sein außergewöh­nliches Talent verhalf ihm 1895 zu einem raschen Aufstieg bei der National Cash Register NCR. Deren Chef John Patterson beherrscht­e fast den gesamten US-Markt für Registrier­kassen, dazu setzte er Methoden der nicht feinen Art ein, um Konkurrent­en auszuschal­ten. Er hatte Watson dazu auserkoren, eine Scheinfirm­a zu leiten, um auch die auf dem Markt für gebrauchte NCR-Kassen erfolgreic­hen Händler mittels ruinös niedrigen Preisen auszuschal­ten. Diese illegalen Machenscha­ften flogen schließlic­h auf. Patterson, Watson und weitere Mitarbeite­r wurden 1912 wegen „verbrecher­ischen Komplotts, Ausschaltu­ng des freien Handels und Aufrechter­haltung eines Monopols“verurteilt. Doch Watson blieb stets fest von seiner Rechtschaf­fenheit überzeugt. Ohne Bedenken hatte er Pattersons Ansicht übernommen, die Beseitigun­g der Konkurrenz sei die wichtigste Aufgabe der Unternehme­nsführung und ein hoher Gewinn nur der gerechte Lohn.

Watson legt los

Thomas J. Watson war jetzt arbeitslos, inzwischen vierzig Jahre alt, hatte vor kurzem geheiratet und Vater geworden. Jetzt zeigte er was er gelernt hatte. Er wurde 1914 General Manager der Computing Tabulating Recording Company CTR, die Charles R. Flint gehörte, einer schillernd­en Unternehme­rfigur, die auf Bestellung auch ganze Kriegsflot­ten ausrüstete und Militärput­sche in Lateinamer­ika organisier­te. Dort erzielte er bereits im ersten Jahr glänzende Gewinne. Wichtigste­s Produkt war die Tabellierm­aschine samt Patenten, die die CTR von dem in finanziell­e Nöten geratenen Hermann Hollerith 1908 äußerst günstig erwerben konnte. Watson organisier­te den Vertrieb nach NCR-Vorbild, es gab feste Verkaufsbe­zirke und -quoten, die erfüllt werden mussten. Für die Kleidung galt: Dunkler Anzug, weißes Hemd mit steifen Kragen, dezente Krawatte. Für die CTR wurde der Erste Weltkrieg äußerst rentabel: Bis Kriegsende 1918 wurden über 650 Tabellierm­aschinen bei Rüstungsin­dustrie, Armee, Behörden und Eisenbahne­n installier­t und monatlich 80 Millionen Lochkarten verkauft.

Inzwischen CEO der CTR benannte Watson das Unternehme­n 1924 in Internatio­nal Business Machines Corporatio­n IBM um. Erneut hatte er ein Problem mit der Konkurrenz, die die abgelaufen­en Hollerith-Patente für ihren überlegene­ren Calculator nutzte. Kurzerhand kopierten und verbessert­en seine Ingenieure diesen, doch schon bald gab es eine neuartige Maschine, der sie nichts Gleichwert­iges entgegenzu­setzen hatten. Doch nun zeigte sich, was später zu IBMs Glück noch öfter vorkommen sollte: Technologi­sch überlegene Lösungen garantiere­n keineswegs den Erfolg am Markt, wenn man gegen IBM antritt.

Watsons geniale Idee war es auch, dass IBM seine Maschinen nur vermietete und als Eigentümer zu verhindern wusste, dass ein Kunde eventuell Zusatzgerä­te wie etwa Drucker von einer anderen Firma kaufte. Er erkannte, dass er sich mit den Lochkarten treue Kunden schaffen konnte – ob diese wollten oder nicht, denn auf ihren IBM-Maschinen liefen nur IBM-Karten. Dazu kamen Absprachen mit Remington Rand über die Aufteilung des US-Marktes hinzu, sodass die Kartellbeh­örde ab 1932 erneut gegen Watsons spitzfindi­ge Geschäftsp­raktiken einschreit­en musste. Dem Aufstieg von IBM tat dies keinen Abbruch. Mitte der 1930er Jahre erregte Watson als höchstbeza­hlter USManager landesweit Bewunderun­g und Neid und ließ sich von seinen Untergeben­en ungeniert als Firmenführ­er feiern und besingen.

Ein dunkles Kapitel

Thomas J. Watson hatte eine Schwäche für Führerpers­önlichkeit­en. Bewunderer von Benito Mussolini, zeigte er sich begeistert von der „Schlichthe­it und Aufrichtig­keit“der Worte, die Adolf Hitler 1937 an ihn in seiner Eigenschaf­t als Vorsitzend­er der internatio­nalen Handelskam­mer in einer Audienz richtete. Watson glaubte, getreu dem IBM-Motto „Weltfriede­n durch Welthandel“, Hitler durch den Ausbau der Wirtschaft­sbeziehung­en in seinem Expansions­drang bremsen zu können.

Er pflegte gute Geschäftsb­eziehungen zu den Nazis und finanziert­e 1933 der deutschen IBMTochter DEHOMAG den Bau einer eigenen Fabrik in Berlin. Hier wurden nun die Maschinen gefertigt, die es den Nazis erlauben sollten, Juden, Sinti und Roma und andere Volksgrupp­en besonders präzise zu identifizi­eren und damit den Holocaust effiziente­r zu gestalten. Für den Einsatz in den Konzentrat­ionslagern schulten IBM-Techniker die Nazis und ihre Schergen, passten die Lochkarten individuel­l an die KZBedürfni­sse an und führten dort auch die Wartungsar­beiten durch. Die Reichsbahn nutzte für die Organisati­on der Transporte die IBM-Maschinen, ebenso die Zwangsarbe­iterorgani­sation. Der Zweite Weltkrieg brachte IBM jedenfalls Umsatzzuwä­chse wie nie zuvor. Es wurden nun auch Rüstungsgü­ter für die US-Armee hergestell­t, auch verfügte jede Armee-Einheit über mobile IBM-Tabellierm­aschinen und benötigte Unmengen von IBM-Lochkarten.

Watson war weder Wissenscha­ftler noch Techniker, sondern Verkäufer. Dies führte zu der merkwürdig­en Situation, dass IBM erst 1953 mit fast 12 Jahren Verspätung eine echtes Computerun­ternehmen wurde. Instinktiv hatte Watson richtig reagiert. Denn das Rückgrat des IBM-Geschäfts waren die konservati­ven, sparsamen und vorsichtig­en staatliche­n Behörden und Großuntern­ehmen. Watsons IBM war seit der Lochkarten­zeit der Lieferant Nummer eins für genau jene Kunden, deren Mentalität er intuitiv begriffen hatte. Kaum ein anderes Unternehme­n hatte eine derart gründlich geschulte und mit allen Raffinesse­n des Marketing vertraute Vertriebsm­annschaft vorzuweise­n, so dass IBM schon 1956 die Konkurrenz überholt hatte. Seinen ältesten Sohn Tom, der IBM ins Computerze­italter führen sollte, hatte Watson zielstrebi­g für eine Karriere an der Spitze von IBM erzogen. Erst einen Monat vor seinem Tod im Juni 1956 übergab der 82-jährige Thomas Watson ihm offiziell die Leitungsfu­nktion.

„Und es kann auch nicht wunder nehmen, dass sich die Besten um ihn versammeln und mit ihm eine große, einige Familie bilden. Man kann nur inbrünstig wünschen, dass das Beispiel seiner menschlich­en Einsicht alle, die an verantwort­licher Steile stehen, mit fortreiße. Damit wäre der gequälten Welt geholfen“, mit diesen ehrerbiete­nden Worten schloss im Juni 1950 das „Luxemburge­r Wort“seinen Bericht über Thomas J. Watsons Luxemburgr­eise.

 ?? Fotos: Getty Images ?? Thomas J Watson im Jahr 1935: Er schuf das IBM-Imperium. Zum Millionär wurde er, indem er nur ein relativ geringes Grundgehal­t verlangte und mit mehreren Prozent am Gewinn von IBM beteiligt war. Er legte großen Wert auf die Loyalität und Motivation seiner Mitarbeite­r und prägte den Begriff des Nachdenken­s über das, was man tut und was man erreichen will: „Think!“
Fotos: Getty Images Thomas J Watson im Jahr 1935: Er schuf das IBM-Imperium. Zum Millionär wurde er, indem er nur ein relativ geringes Grundgehal­t verlangte und mit mehreren Prozent am Gewinn von IBM beteiligt war. Er legte großen Wert auf die Loyalität und Motivation seiner Mitarbeite­r und prägte den Begriff des Nachdenken­s über das, was man tut und was man erreichen will: „Think!“
 ?? Foto: André Schwarz ?? Das Museum für Kommunikat­ion Frankfurt zeigt in seiner Ausstellun­g die von der DEHOMAG ab den 1930er Jahren produziert­e IBMTabelli­ermaschine, die den Holocaust beschleuni­gte, aber auch von der Wehrmacht und der Reichsbahn eingesetzt wurde. Der Journalist Edwin Black hat dieses traurige Kapitel in seinem Buch „IBM and the Holocaust“ausführlic­h dokumentie­rt. Alle Investitio­nen in Deutschlan­d und den eroberten Ländern mussten stets von Thomas J. Watson persönlich genehmigt werden, da er am Umsatz der Geschäfte mit den Nazis beteiligt war.
Foto: André Schwarz Das Museum für Kommunikat­ion Frankfurt zeigt in seiner Ausstellun­g die von der DEHOMAG ab den 1930er Jahren produziert­e IBMTabelli­ermaschine, die den Holocaust beschleuni­gte, aber auch von der Wehrmacht und der Reichsbahn eingesetzt wurde. Der Journalist Edwin Black hat dieses traurige Kapitel in seinem Buch „IBM and the Holocaust“ausführlic­h dokumentie­rt. Alle Investitio­nen in Deutschlan­d und den eroberten Ländern mussten stets von Thomas J. Watson persönlich genehmigt werden, da er am Umsatz der Geschäfte mit den Nazis beteiligt war.
 ?? ?? Thomas J. Watson erhielt 1937 vom Wirtschaft­sminister des nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d Hjalmar Schacht das Bundesverd­ienstkreuz mit Stern. Watson pflegte gute Geschäftsb­eziehungen zu den Nazis – ein dunkles Kapitel in seiner Vita. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s gab Watson im Juni 1940 die Medaille zurück.
Thomas J. Watson erhielt 1937 vom Wirtschaft­sminister des nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d Hjalmar Schacht das Bundesverd­ienstkreuz mit Stern. Watson pflegte gute Geschäftsb­eziehungen zu den Nazis – ein dunkles Kapitel in seiner Vita. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s gab Watson im Juni 1940 die Medaille zurück.

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