Filmemacher Sissako zeigt, wie Afrika und China zusammenrücken
Wie Kontinente zusammenfinden können, verdeutlicht der Mauretanier in seinem neuen Film „Black Tea“. Die Luxemburger Koproduktion läuft derzeit im Kino
Abderrahmane Sissako ist ohne Zweifel der bedeutendste Filmemacher Afrikas. Während des Luxembourg City Film Festivals vorige Woche trafen wir ihn in seinem Hotel zum Gespräch. Dabei plauderte er ganz unbeschwert über seinen neuen Film „Black Tea“, den er mit einer Luxemburger Filmcrew gedreht hat. Mit „Black Tea“will der Mauretanier, der in der ehemaligen Sowjetunion Film studiert hat, vor allem verdeutlichen, dass Kontinente auch zusammenfinden können und sich nicht abschotten müssen, so wie es Europa gegenüber Afrika tut. Im Interview erklärt er auch, warum er die afroamerikanische Sängerin Nina Simone mag.
Abderrahmane Sissako, Sie haben einen Film über eine Beziehung zwischen einer Afrikanerin und einem Chinesen gedreht. Wie kamen Sie auf diese Idee?
In meinem Film „En attendant le bonheur“aus dem Jahr 2002 hatte ich bereits eine kleine Szene gedreht, in der ein chinesischer Verkäufer mit einer Afrikanerin zu Abend isst. Es ist eine zarte Liebesbeziehung, die sich da aufbaut. Damit habe ich versucht, eine Welt zu zeigen, die sich allmählich verändert. Es gibt viele Menschen, die nach Afrika einwandern, über die aber nicht viel gesprochen wird. Man will nur die Menschen sehen, die Afrika verlassen. Wir wollen eine globalisierte Welt, aber ich habe den Eindruck, dass wir die Augen nicht genügend dafür öffnen, um zu erkennen, wie und wo diese Globalisierung stattfindet. Es gibt heute eine neue Dynamik.
Die ist sehr kommerziell, aber auch sehr menschlich. Die Welt ist in Bewegung. Meine Rolle als Künstler ist es, auf diese Dinge zu verweisen. Mit „Black Tea“will ich diese neue Welt, die da im Entstehen ist, zeigen.
Ist ihr Film nicht auch eine versteckte Kritik an den Europäern, die ihre Grenzen schließen? Vielleicht auch der Hinweis „Hört mal, da passiert was, da entgeht euch was!“an die Menschen im Westen?
Jeder kann die Botschaft verstehen, die er möchte. Im Vergleich zum Rest der Welt ist Europa sehr klein. Afrika hingegen enorm, und dessen Bevölkerung wird in den nächsten 30 Jahren noch weiter wachsen. Ohne Afrika glorifizieren zu wollen, glaube ich fest daran, dass Europa eines Tages Afrika mehr brauchen wird, als umgekehrt. Aber vielmehr denke ich noch, dass wir uns alle gegenseitig brauchen. Alles ist eine Geschichte der Begegnung. Völker mischen sich, und ab einem bestimmten Zeitpunkt weiß man nicht mehr, wer ein Migrant ist und wer nicht. Ich schließe nicht aus, dass es auch in China Ablehnung und Rassismus gegenüber den Afrikanern gibt.
: Alles ist eine Geschichte der Begegnung. Völker mischen sich, und ab einem bestimmten Zeitpunkt weiß man nicht mehr, wer ein Migrant ist und wer nicht. Abderrahmane Sissako, Filmregisseur
Das kommt in meinem Film auch vor. Es ist eine Realität, die ich nicht leugne, aber sie ist nicht die einzige Besonderheit meines Films.
In „Black Tea“führen Sie uns „Chocolate City“vor, das afrikanische Viertel in Guangzhu, obwohl Sie dort nicht filmen durften. Erklären Sie uns „Chocolate City“!
Guangzhu liegt in der Nähe von Hongkong. Es ist eine große Stadt und „Chocolate City“ist ein Teil dieser Stadt, ein Geschäftsviertel, in dem viele Afrikaner leben. 200.000 Afrikaner kommen regelmäßig da vorbei, um all die Dinge zu kaufen, die Afrika braucht. China ist die Fabrik der Welt. Viele Afrikaner leben dort, um denjenigen zu helfen, die nur zum Kaufen kommen. Sie sprechen Chinesisch. Es ist ein Beispiel dafür, dass der chinesische Aufschwung auch damit zusammenhängt, dass es in China keine Barrieren gibt, während Europa sich als Festung aufbaut. Die Mauern, hinter denen sich Europa abschottet, haben die afrikanische Nachfrage nach China umgelenkt. Und „Chocolate City“ist vielleicht das, was die ganze Welt in 50 Jahren sein wird: Ein „melting pot“.
Aya, die Heldin aus „Black Tea“, verlässt Afrika und geht nach China. Sie zeigen im Film, wie sie von einer afrikanischen in eine chinesische Straße wechselt. Es sind zwei Welten, die sich gar nicht soviel unterscheiden. Wollten Sie damit die Fluidität verdeutlichen, die zwischen Afrika und China neuerdings besteht?
Ja, einerseits ist es ein fließender, einfacher Übergang in eine neue Zukunft, andererseits aber auch ein Abschied. Aya hat Nein zu der Ehe gesagt. Es war eine Ehe,
die man ihr gewissermaßen aufgezwungen hat. In diesem Moment ist sie so einsam, dass sie nicht anders kann, als nur fortziehen, weg, möglichst weit, auch wenn ich diese Reise im Film so darstelle, als wäre es nur eine Straße, die von einem Stadtteil in einen anderen führt.
Ist es eine Reise in ein Exil oder ein Aufbruch zu etwas Neuem?
Es ist ein Neuanfang. Jeder kann diese Reise antreten, wenn, er oder sie, halt auch mal Nein sagen kann.
Was ist das Weibliche in Ihren Filmen?
Als Frau ist Aya keine afrikanische Besonderheit, weder in dem, was sie erlebt, d. h. die Last der Gesellschaft, noch in dem, was sie beschließt zu tun, nämlich ihre Familie zu verlassen. Natürlich wollte ich eine starke Frau zeigen, die zu dem auch fähig ist. Um von der Gesellschaft abgelehnt zu werden, reicht es manchmal schon aus, in seinem Dorf nicht zu heiraten. Aya ist ein Opfer, wie es auch andere in meinem Film gibt. Es schien mir wichtig, den Wiederaufbau jeder dieser Frauen zu zeigen, wobei aber keine von ihnen in Reue versunken ist.
Die afroamerikanische Sängerin Nina Simone ist eine weitere Frau, der Sie in Ihrem Film einen wichtigen Platz eingeräumt haben. Ihr Lied „Feeling good“wird von Fatoumata Diawara gesungen. Warum Nina Simone? Warum Fatoumata Diawara?
Nina Simone ist eine Künstlerin, die ich wegen ihres Kampfes als schwarze Frau liebe. Aber auch wegen ihrer Art und Weise, wie sie in ihren Liedern von ihrem Schmerz erzählt. Sie ist eine sehr starke Persönlichkeit. In meinem Film wollte ich einen Übergang von der Elfenbeinküste nach China. Da Aya Nein zu ihrer Hochzeit sagt, bricht für sie ein neuer Tag an. Es schien mir richtig, das Lied „Feeling good“von Nina Simone zu verwenden, aber gesungen von Fatoumata Diawara. Dies wegen der Kraft dieses Liedes, aber auch wegen Fatoumatas Persönlichkeit, die ebenfalls eine außergewöhnliche Frau ist. Dass sie Nina Simone auf Bambara singt, entspricht meinem Antrieb für diesen Film: Dem Wunsch, von der Möglichkeit einer Welt zu erzählen, die sich in Richtung Harmonie bewegt.
Sie haben zehn Jahre in der Sowjetunion verbracht, als Sie am Föderalen Filminstitut in Moskau waren, um das Filmemachen zu erlernen. Wie beurteilen Sie die heutigen Ereignisse in Russland?
Ich habe die Sowjetunion zu der Zeit der Perestroika verlassen. Das ist lange her und ich kenne das Land nur aus der Ferne. Damals war mir klar, dass diese Union scheitern musste. Ohne die Zustimmung der Völker kann man keine Einheit schaffen. Für mich war das Ende der Sowjetunion weder eine Überraschung noch ein Bedauern. Was heute in Russland und der Ukraine geschieht, macht mich zutiefst traurig. Man kann eine Bevölkerung nicht durch einen Krieg gewinnen. Ein Land anzugreifen, um es zu verändern, ist verlorene Mühe. Das ist genauso bedauerlich wie der Angriff der Hamas auf Israel und Israels Gegenangriff auf Gaza. Wir müssen uns eine Welt vorstellen, die in der Lage ist, Probleme mit Diplomatie und Frieden zu lösen.
Es war mein Wunsch, von der Möglichkeit einer Welt zu erzählen, die sich in Richtung Harmonie bewegt. Abderrahmane Sissako, Filmregisseur