Wie der Ukrainekrieg die Ampel-Koalition zerrüttet
Die Bundesregierung ist kein Hort der Einigkeit. Nun aber eskaliert der Streit in Sachen Waffen für die Ukraine an einem einzigen Wort
So wie die Lage ist in Europa, ist Vorsicht geboten beim Verwenden von Vokabeln wie „Krieg“oder „Feindschaft“, selbst „Gefecht“sagt sich nicht mehr so einfach dahin, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Beim Beschreiben der intrakoalitionären Lage der deutschen Bundesregierung samt der sie tragenden Parteien gerät man deshalb akut in die Klemme. Am Mittwoch fliegen zwischen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), und der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, Wörter hin und her, die an Aggression das noch toppen, was Strack-Zimmermann und die Präsidentin des Bundestagstags, die Sozialdemokratin Bärbel Bas, sich seit Tagen in Briefen schreiben.
Es geht dabei, ganz grundsätzlich, noch immer um die Taurus-Marschflugkörper, die Strack-Zimmermann der Ukraine liefern möchte — der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz aber nicht. Es geht außerdem darum, dass aus einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses über eine von Russland abgehörte und veröffentliche Videokonferenz höchster Bundeswehr-Offiziere zum Thema Taurus erneut Informationen an die Öffentlichkeit gerieten, die als geheim eingestuft wurden.
Zwei Online-Medien berichten Details, Strack-Zimmermann bittet Bas schriftlich um Strafermittlungen wegen Geheimnisverrats — und Bas sagt das zwar zu, antwortet aber, sie sei erstaunt, „dass insgesamt 105 Personen an der Sondersitzung“teilgenommen hätten. Sie halte das mit dem Grundsatz, „den Kreis möglicher Geheimnis- und Wissensträger bei eingestuften Sitzungen möglichst kleinzuhalten, für nur schwer vereinbar“. Das klingt gerade noch so kollegial — ist aber das Gegenteil.
Stein des Anstoßes: „Einfrieren“
Dabei sind Schreiberin und Adressatin Koalitionärinnen, dazu qua Amt im Fokus der Öffentlichkeit. Wer Strack-Zimmermann am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk zuhört, muss das schon wissen; aus dem, was sie sagt, erschließt es sich nicht. Erst wirft sie der Bundestagspräsidentin vor, das Thema zu verfehlen: „Ich kann die nicht raussetzen — Frau Bas weiß das.“Und dann attackiert sie Bas’ Parteigenossen, den SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.
Er hat, vergangenen Donnerstag, im Bundestag einen Eklat ausgelöst — mit einem Wort. In der Taurus-Debatte fragte er: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“Das Protokoll vermerkt „Beifall bei der SPD, der Linken und dem BSW sowie bei Abgeordneten der AfD“. Tatsächlich rührt sich bei Grünen und FDP nicht bloß keine Hand; es beginnt ein Aufruhr, der selbst für Ampel-Verhältnisse heftig ist, um das Wort „einfrieren“.
Außenministerin Annalena Baerbock belässt es im Bundestag noch bei indigniertem Kopfschütteln. Strack-Zimmermann aber wirft nun Mützenich Abkehr „von der Außenpolitik der Bundesrepublik“vor, nennt seine Rede „skandalös“und zürnt über „sozialdemokratische Appeasement-Politik“. Das ist auch nicht weniger als das, was am Mittag im Parlament Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) unter Bezug auf Mützenich dem Kanzler hinschleudert: „Einem solchen skrupellosen Kriegsverbrecher“wie Russlands Präsident Wladimir Putin „kann man nicht mit Feigheit begegnen“.
Scholz wiederum hat erst, wie üblich, über Tage nichts gesagt, auch nicht, als Bundesverteidigungsminister Boris Pis
torius — Sozialdemokrat wie er und wie Mützenich — befindet, ein Einfrieren des Kriegs „würde am Ende nur Putin helfen“. Am Dienstag dann sagt Scholz dem „Tagesspiegel“: „Diese Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.“Und lästert, unter seinem üblichen Verweis, dass Deutschland zweitgrößter Unterstützer der Ukraine sei nach den USA, über „Befindlichkeits-Diskussionen“.
Man darf das — als Botschaft eines Regierungschefs an seine Partner — durchaus ebenso für ein Zeichen akuter und chronischer Zerrüttung halten wie Strack-Zimmermanns Verweis auf eine Nähe Mützenichs zu notorischen Samthandschuh-Trägern in Sachen Putin: „Dass Herr Höcke, Frau Wagenknecht und der ehemalige Kanzler das goutieren, sagt alles.“Gemeint ist der Sozialdemokrat Gerhard Schröder.
„Niveaulos und bösartig“schilt das keine zwei Stunden später Katja Mast. Ein Wortgefecht ist das nun mindestens. Zu Mützenichs „Einfrieren“sagt Mast, da werde „eine Frage skandalisiert“und „bösartig missverstanden“. Und dass Mützenich nur „die Debatte geweitet“habe und die ganze SPD-Fraktion das so sehe. Allerdings ist in der Fraktion über das „Einfrieren“gar nicht geredet worden, offiziell. Vorsichtshalber.