Luxemburger Wort

„Von Heilung zu sprechen, ist bei Long Covid schwierig“

In Luxemburg waren schon viele Menschen mit Covid infiziert. Bei rund 1.300 Personen blieben die Symptome dauerhaft. Dr. Thérèse Staub erklärt, wie ihnen geholfen wird

- Interview: Jean-Philippe Schmit

Auch nach einer Covid-Erkrankung können die Symptome weiter bestehen oder sogar neu auftreten. Wenn sie nach drei Monaten weiterhin nicht verschwund­en sind, dann sprechen die Ärzte von Long Covid. 200 unterschie­dliche Symptome können dabei auftreten. In Luxemburg ist die Long-Covid-Beratung des Centre Hospitalie­r de Luxembourg (CHL) die erste Anlaufstel­le für alle Betroffene­n. Dr. Thérèse Staub und die beiden Case-Manager Aurore Le Duc und Frédéric Eustache geben Details zu der Krankheit.

Am 18. März 2020, also vor vier Jahren, rief der damalige Premier Xavier Bettel (DP) den Covid-Notstand aus. Wie lange dauerte es, bis der erste Long-Covid-Patient zu Ihnen ins CHL kam? Wie hat sich die Zahl der Patienten seither entwickelt?

Frédéric Eustache (FE): Der erste Patient, bei dem Long Covid festgestel­lt wurde, kam am 9. Juli 2021 zu uns. Die Long- Covid-Beratung des CHL existiert seit diesem Zeitpunkt. Während des Höhepunkts der Pandemie sind 70 neue Patienten pro Monat zu uns gekommen. In den vergangene­n Monaten ist die Zahl der Neupatient­en hingegen zurückgega­ngen und hat sich auf rund 20 neue Fälle pro Monat eingepende­lt. Die Zahl der Patienten insgesamt ist aber nicht zurückgega­ngen. Im vergangene­n Jahr betreuten wir 1.000 Personen, heute sind es 1.300.

Gibt es Long-Covid-Patienten, die geheilt sind?

Aurore Le Duc (ALD): Wir betreuen immer noch Personen, die zu den ersten Patienten gehörten. Die durchschni­ttliche Behandlung­sdauer beträgt aber 324 Tage. Von Heilung zu sprechen, ist bei Long Covid schwierig. Ja, es gibt Patienten, die sich gut erholt haben. Sie leben heute fast so, wie vor ihrer Erkrankung. Jene, die komplett frei von Symptomen sind, sind jedoch eher die Ausnahme. Die große Mehrheit der Patienten muss lernen, mit Long Covid zu leben.

Es ist möglich, dass Personen Long Covid haben, ohne es zu wissen. Dr. Thérèse Staub

Wie sieht der Altersdurc­hschnitt und die Verteilung der Geschlecht­er bei Long Covid aus?

Dr. Thérèse Staub (TS): Der Altersdurc­hschnitt beträgt 47 Jahre, es kommen aber auffallend wenig Ältere zu uns. Das mag daran liegen, dass das Leben der Senioren mit weniger Stress verbunden ist. Frauen erkranken häufiger an Long Covid als Männer. Von 100 Patienten sind 65 weiblich und 35 männlich. Wir betreuen auch viele alleinerzi­ehende Frauen. Alleinerzi­ehend, berufstäti­g und eine Long-Covid-Erkrankung – das ist sehr belastend für die Betroffene­n. Wir waren zudem auch erstaunt, als wir feststellt­en, dass die Symptome bei schwangere­n Long-Covid-Patientinn­en zurückgehe­n. Es scheint, als ob die Schwangers­chaft vor Long Covid schützen würde.

Wie ist es mit Jugendlich­en? Können auch sie an Long Covid erkranken?

TS: Zu uns kommen Patienten ab 17 Jahren. In dem Alter hat Long Covid hauptsächl­ich Auswirkung­en auf die schulische Laufbahn. Durch die Symptome, etwa Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten, kann es zu Problemen in der Schule kommen. In einigen Fällen führt Long

Covid dazu, dass die Patienten nicht mehr am Unterricht teilnehmen können und sie die Schule abbrechen müssen.

Wie wird Long Covid diagnostiz­iert?

ALD: Wenn die Symptome mehr als drei Monate nach einer Covid-Infektion fortbesteh­en, spricht man von Long Covid. Es gibt keinen Test, der entweder ein positives oder negatives Resultat anzeigt. Bei der Long-Covid-Diagnose handelt es sich um eine Ausschluss­diagnose. Wenn ein neuer Patient zu uns kommt, erhält er einen Fragebogen, in den er seine Symptome einträgt.

TS: Dann wird er von einem Arzt untersucht. Wir sind sehr vorsichtig bei der Diagnose, manchmal erklärt ein ganz anderer Grund die Symptome. Um Fehldiagno­sen auszuschli­eßen, machen wir viele Tests. Es gab rezent Fälle, bei denen der Borreliose-Test positiv war. Nur, wenn wir keine anderen Ursachen finden, lautet die Diagnose Long Covid.

Oft beschweren Patienten sich darüber, dass ihnen nicht geglaubt wird. Gab es Fälle, in denen versucht wurde, Long Covid nur vorzutäusc­hen?

FE: Solche Fälle hat es gegeben, sie sind jedoch sehr selten. Anhand unserer Tests finden wir heraus, ob jemand nur simuliert oder die Symptome, die er beschreibt, real sind. Die Patienten fühlen sich nicht immer verstanden, das stimmt. Das liegt auch daran, wie Long Covid diagnostiz­iert wird. Wenn beispielsw­eise durch eine Untersuchu­ng der Lunge keine sichtbaren Schäden festgestel­lt werden können, bedeutet dies nicht, dass es keine Atemproble­me gibt. Long Covid lässt sich nicht durch ein negatives Testresult­at ausschließ­en.

Wie wird den Patienten geholfen?

ALD: Die Patienten werden bei ihrer körperlich­en Rehabilita­tion unterstütz­t. Sie machen Übungen, um die Atmung zu verbessern, auch der Geruchssin­n und die Belastungs­fähigkeit können trainiert werden. Je nach der Art der Symptome wird den Patienten eine Kur im Domaine Thermal in Mondorf, im Centre de réeducatio­n in Kirchberg oder in der Rehaklinik in Ettelbrück verschrieb­en. Bei einigen Patienten verbessert sich die Symptomati­k, bei anderen nicht. Jenen, die sich weniger gut erholen, helfen wir den Alltag so zu ändern, dass sie lernen, mit Long Covid zu leben.

Welche Faktoren begünstige­n Long Covid?

FE: Die Ursachen sind immer noch Gegenstand der Forschung, wir kennen diese bisher nicht. Die Mehrheit der Patienten hatte eine milde akute Form, einige zeigten sogar keinerlei Symptome. Eine Minderheit der Long-Covid-Patienten wurde während der akuten Form der Erkrankung ins Krankenhau­s eingeliefe­rt.

Welchen Einfluss hat die Impfung auf die Erkrankung?

TS: Die Mehrheit der Patienten, die zu uns kommen, ist geimpft. Das liegt ganz einfach daran, dass auch die Mehrheit der Bevölkerun­g geimpft ist. Wir nehmen auch nur Patienten auf, die nachweisli­ch an Covid erkrankt sind.

Wie hoch schätzen Sie die Zahl jener Patienten ein, bei denen Long Covid nicht oder noch nicht diagnostiz­iert wurde?

TS: Es ist möglich, dass Personen Long Covid haben, ohne es zu wissen. Nicht jeder, der Fieber oder andere Erkältungs­symptome hat, testet sich auf Covid. Wenn man dann Wochen später plötzlich sehr müde wird, denkt man nicht unbedingt an die virale Infektion von damals.

 ?? ??
 ?? ?? Frédéric Eustache, Dr. Thérèse Staub und Aurore Le Duc betreuen die Long-Covid-Patienten, die in die Beratung des CHL kommen.
Frédéric Eustache, Dr. Thérèse Staub und Aurore Le Duc betreuen die Long-Covid-Patienten, die in die Beratung des CHL kommen.
 ?? Fotos: Chris Karaba ?? In Luxemburg ist die Long-CovidBerat­ung des Centre Hospitalie­r de Luxembourg (CHL) die erste Anlaufstel­le für Betroffene.
Fotos: Chris Karaba In Luxemburg ist die Long-CovidBerat­ung des Centre Hospitalie­r de Luxembourg (CHL) die erste Anlaufstel­le für Betroffene.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg