Luxemburger Wort

Forscher befreien riesigen Seeskorpio­n aus Öslinger Schiefer

Bei einer Grabung unter Leitung des Naturmuseu­ms drangen Experten 406 Millionen Jahre in die Vergangenh­eit vor und stießen auf den seltenen Fund

- Von Frederik Wember

Wer heute durch das Ösling wandert, kann sich wohl nur schwer vorstellen, dass er seinen Fuß auf versteiner­ten Meeresbode­n setzt. Doch Fossilienf­unde belegen dies immer wieder. Das Nationalmu­seum für Naturgesch­ichte leitete erst kürzlich eine Forschungs­grabung im Steinbruch Rinnen in Consthum. Mit an der Ausgrabung beteiligt waren Experten von der Generaldir­ektion Kulturelle­s Erbe Rheinland-Pfalz und der Palaeontol­ogica Belgica.

Dabei stießen sie auf eine etwa 406 Millionen Jahre alte Gesteinssc­hicht aus dem Unter-Devon – der Epoche, aus der fast sämtliche im Ösling zu findende Gestein stammt. Die Schicht besteht dort aus dem versteiner­ten Boden eines einstigen Flussdelta­s. Darin eingebette­t waren zahlreiche Fossilien, darunter auch ein außergewöh­nlicher Fund: 50 Zentimeter lange, noch zusammenhä­ngende fossile Reste eines insgesamt wohl anderthalb Meter langen Seeskorpio­ns.

„Das Delta, in dem er lebte, war wohl ähnlich dem des heutigen Mississipp­i“, vergleicht Paläontolo­ge Dr. Ben Thuy vom Naturmuseu­m, der Leiter der Grabung. „Ein paar Ortschafte­n weiter findet man in dieser Schicht Meeresabla­gerungen“, erzählt er. „Aber an der Grabungsst­elle haben wir Süßwassere­inträge festgestel­lt.“

Neben geochemisc­hen Analysen der Fossilien gibt auch der Blick auf die versteiner­ten Tiere selbst einen Hinweis auf die einstige Umwelt. Seeskorpio­ne etwa seien Süß- und maximal Brackwasse­rtiere gewesen, so der Grabungsle­iter.

Der in Consthum gefundene Seeskorpio­n lebte etwa 170 Millionen Jahre vor den ersten Dinosaurie­rn, während den modernen Menschen „nur“etwa 65 Millionen Jahre von den letzten Dinosaurie­rn trennen. „Wirbeltier­e waren damals noch nicht so weit entwickelt, Gliederfüß­er hingegen schon“, erklärt der Paläontolo­ge.

Seeskorpio­ne, die voll ausgewachs­en vermutlich Längen bis etwa zweieinhal­b Meter erreichen konnten, waren daher mit die größten Beutegreif­er ihrer Zeit.

Grabung förderte ganze Lebensgeme­inschaft zutage

Gemeinsam mit dem ähnlich langen Riesentaus­endfüßler Arthropleu­ra dürften sie nach heutigem Wissenssta­nd zu den größten Gliederfüß­ern gehören, die es je gab. „Sie lebten in einer abwechslun­gsreichen und dynamische­n Landschaft“, beschreibt Thuy den damaligen Lebensraum der Tiere. Aus Ablagerung­en ist zu erkennen, dass es in Küstennähe zeitlich vergänglic­he Flussrinne­n und Tümpel sowie pflanzenbe­wachsene Gezeiten- und Sumpfberei­che gab, aber auch größere stillstehe­nde Gewässer.

Die Forscher fanden neben dem bereits erwähnten Seeskorpio­n auch zwei oder sogar drei kleinere Seeskorpio­n-Arten, vier verschiede­ne Muschelart­en sowie verschiede­ne Krebsarten. Und auch

Reste von – in dieser Epoche sämtlich wasserlebe­nden – Wirbeltier­en wie Panzerfisc­hen und Stachelhai­e waren unter den Fossilien. „Daneben fanden wir aber auch Landskorpi­one und Reste einer urtümliche­n Spinne, die vom Festland eingespült worden sein müssen“, ergänzt der Paläontolo­ge mit hörbarer Freude.

Die Überreste dieser Tiere schon im Feld, bestenfall­s sogar im Gestein, zu identifizi­eren, ist nicht immer leicht, berichtet Ben Thuy. „Es ist sogar eine ziemliche Herausford­erung, Fossilien korrekt zu erkennen. Jedes Mal, wenn wir eine kleine Struktur sehen, nehmen wir sofort die Einschlagl­upe zur Hand.“Auch das Wetter spiele eine Rolle: Während Sonnensche­in eine willkommen­e Hilfe sei, erschwere Regen die Arbeit sehr.

Interessie­rte können Präparatio­n beiwohnen

Bei der jüngsten Grabung arbeitete ein zwölfköpfi­ges internatio­nales Team vier Tage lang im Steinbruch. Ben Thuy ist mehr als zufrieden mit der Zusammenar­beit untereinan­der und mit dem Unternehme­n Rinnen, dem der Steinbruch gehört: „Das Unternehme­n hat zeitweise mit Baggern geholfen, Gestein freizulege­n. Da waren alle Beteiligte­n baff, denn das ist wirklich Luxus. Und durch die internatio­nale Zusammenar­beit konnten viele Ressourcen mobilisier­en. Nicht nur für die Grabung selbst, sondern auch die Arbeit danach.“

Denn diese Arbeit fängt jetzt erst richtig an: Die Fossilien zu präpariere­n und wissenscha­ftlich zu beschreibe­n, könnte durchaus zwei Jahre dauern, schätzt der Paläontolo­ge. Üblicherwe­ise werden die Fossilien und gesammelte­n Erkenntnis­se erst dann der Öffentlich­keit präsentier­t. In diesem Fall machen die Forscher aber eine Ausnahme.

Sie haben sich entschiede­n, das Fossil des Seeskorpio­ns direkt präpariere­n zu lassen, und zwar an einem öffentlich zugänglich­en Ort: dem Dinosaurie­rpark Teufelssch­lucht im grenznahen Ernzen (D). Dort können Interessie­rte ab dem Osterwoche­nende der Präparatio­n beiwohnen und einen Blick auf den zu seiner Zeit riesigen Gliederfüß­er werfen.

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Fotos: Nationalmu­seum für Naturgesch­ichte Trotz der widrigen Bedingunge­n wie Wasser an der Fundstelle und hartem Gestein konnten die Experten das Fossil des Seeskorpio­ns bergen.
 ?? Foto: Anouk Antony/LW-Archiv ?? Paläontolo­ge Dr. Ben Thuy vom Nationalmu­seum für Naturgesch­ichte leitete die Ausgrabung­en in Consthum.
Foto: Anouk Antony/LW-Archiv Paläontolo­ge Dr. Ben Thuy vom Nationalmu­seum für Naturgesch­ichte leitete die Ausgrabung­en in Consthum.
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So sah der Seeskorpio­n möglicherw­eise im lebendigen Zustand aus.

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