Forscher befreien riesigen Seeskorpion aus Öslinger Schiefer
Bei einer Grabung unter Leitung des Naturmuseums drangen Experten 406 Millionen Jahre in die Vergangenheit vor und stießen auf den seltenen Fund
Wer heute durch das Ösling wandert, kann sich wohl nur schwer vorstellen, dass er seinen Fuß auf versteinerten Meeresboden setzt. Doch Fossilienfunde belegen dies immer wieder. Das Nationalmuseum für Naturgeschichte leitete erst kürzlich eine Forschungsgrabung im Steinbruch Rinnen in Consthum. Mit an der Ausgrabung beteiligt waren Experten von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz und der Palaeontologica Belgica.
Dabei stießen sie auf eine etwa 406 Millionen Jahre alte Gesteinsschicht aus dem Unter-Devon – der Epoche, aus der fast sämtliche im Ösling zu findende Gestein stammt. Die Schicht besteht dort aus dem versteinerten Boden eines einstigen Flussdeltas. Darin eingebettet waren zahlreiche Fossilien, darunter auch ein außergewöhnlicher Fund: 50 Zentimeter lange, noch zusammenhängende fossile Reste eines insgesamt wohl anderthalb Meter langen Seeskorpions.
„Das Delta, in dem er lebte, war wohl ähnlich dem des heutigen Mississippi“, vergleicht Paläontologe Dr. Ben Thuy vom Naturmuseum, der Leiter der Grabung. „Ein paar Ortschaften weiter findet man in dieser Schicht Meeresablagerungen“, erzählt er. „Aber an der Grabungsstelle haben wir Süßwassereinträge festgestellt.“
Neben geochemischen Analysen der Fossilien gibt auch der Blick auf die versteinerten Tiere selbst einen Hinweis auf die einstige Umwelt. Seeskorpione etwa seien Süß- und maximal Brackwassertiere gewesen, so der Grabungsleiter.
Der in Consthum gefundene Seeskorpion lebte etwa 170 Millionen Jahre vor den ersten Dinosauriern, während den modernen Menschen „nur“etwa 65 Millionen Jahre von den letzten Dinosauriern trennen. „Wirbeltiere waren damals noch nicht so weit entwickelt, Gliederfüßer hingegen schon“, erklärt der Paläontologe.
Seeskorpione, die voll ausgewachsen vermutlich Längen bis etwa zweieinhalb Meter erreichen konnten, waren daher mit die größten Beutegreifer ihrer Zeit.
Grabung förderte ganze Lebensgemeinschaft zutage
Gemeinsam mit dem ähnlich langen Riesentausendfüßler Arthropleura dürften sie nach heutigem Wissensstand zu den größten Gliederfüßern gehören, die es je gab. „Sie lebten in einer abwechslungsreichen und dynamischen Landschaft“, beschreibt Thuy den damaligen Lebensraum der Tiere. Aus Ablagerungen ist zu erkennen, dass es in Küstennähe zeitlich vergängliche Flussrinnen und Tümpel sowie pflanzenbewachsene Gezeiten- und Sumpfbereiche gab, aber auch größere stillstehende Gewässer.
Die Forscher fanden neben dem bereits erwähnten Seeskorpion auch zwei oder sogar drei kleinere Seeskorpion-Arten, vier verschiedene Muschelarten sowie verschiedene Krebsarten. Und auch
Reste von – in dieser Epoche sämtlich wasserlebenden – Wirbeltieren wie Panzerfischen und Stachelhaie waren unter den Fossilien. „Daneben fanden wir aber auch Landskorpione und Reste einer urtümlichen Spinne, die vom Festland eingespült worden sein müssen“, ergänzt der Paläontologe mit hörbarer Freude.
Die Überreste dieser Tiere schon im Feld, bestenfalls sogar im Gestein, zu identifizieren, ist nicht immer leicht, berichtet Ben Thuy. „Es ist sogar eine ziemliche Herausforderung, Fossilien korrekt zu erkennen. Jedes Mal, wenn wir eine kleine Struktur sehen, nehmen wir sofort die Einschlaglupe zur Hand.“Auch das Wetter spiele eine Rolle: Während Sonnenschein eine willkommene Hilfe sei, erschwere Regen die Arbeit sehr.
Interessierte können Präparation beiwohnen
Bei der jüngsten Grabung arbeitete ein zwölfköpfiges internationales Team vier Tage lang im Steinbruch. Ben Thuy ist mehr als zufrieden mit der Zusammenarbeit untereinander und mit dem Unternehmen Rinnen, dem der Steinbruch gehört: „Das Unternehmen hat zeitweise mit Baggern geholfen, Gestein freizulegen. Da waren alle Beteiligten baff, denn das ist wirklich Luxus. Und durch die internationale Zusammenarbeit konnten viele Ressourcen mobilisieren. Nicht nur für die Grabung selbst, sondern auch die Arbeit danach.“
Denn diese Arbeit fängt jetzt erst richtig an: Die Fossilien zu präparieren und wissenschaftlich zu beschreiben, könnte durchaus zwei Jahre dauern, schätzt der Paläontologe. Üblicherweise werden die Fossilien und gesammelten Erkenntnisse erst dann der Öffentlichkeit präsentiert. In diesem Fall machen die Forscher aber eine Ausnahme.
Sie haben sich entschieden, das Fossil des Seeskorpions direkt präparieren zu lassen, und zwar an einem öffentlich zugänglichen Ort: dem Dinosaurierpark Teufelsschlucht im grenznahen Ernzen (D). Dort können Interessierte ab dem Osterwochenende der Präparation beiwohnen und einen Blick auf den zu seiner Zeit riesigen Gliederfüßer werfen.