Rückwirkende Besteuerung bei deutschen Grenzgängern sorgt für Verunsicherung
Am 1. Januar 2024 traten neue Regelungen für Lohnzuschläge und Überstundenvergütung in Luxemburg in Kraft – und irgendwie hatte es keiner mitbekommen
Das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und Deutschland wurde letztes Jahr geändert. Mit direkten Auswirkungen auf Menschen, die in Deutschland wohnen und in Luxemburg arbeiten. Die vereinbarten neuen Regelungen finden grundsätzlich seit dem 1. Januar 2024 Anwendung.
Was besagt das Änderungsprotokoll?
Durch das Änderungsprotokoll vom 6. Juli 2023 wird das Abkommen zwischen Luxemburg und Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Verhinderung der Steuerhinterziehung geändert. Unter anderem wird darin die Arbeit im Homeoffice für grenzüberschreitend tätige Beschäftigte steuerlich vereinfacht – es geht hier um die Möglichkeit, dass Grenzgänger, die in Deutschland leben, 34 Tage Homeoffice machen dürfen, ohne in Deutschland besteuert zu werden.
Unterzeichnet wurde das Abkommen von der damaligen Finanzministerin Yuriko Backes und ihrem deutschen Homologen Christian Lindner. Doch es fehlten gewisse Umsetzungsvorgehensweisen.
Ein gravierendes Element besagt: „Sofern Luxemburg Einkünfte besteuern darf, aber tatsächlich nicht besteuert, darf Deutschland diese Einkünfte besteuern.“
Das hätte zur Folge, dass Zuschläge für Nachtschichten, Überstunden oder Sonntagsarbeit, die Grenzgänger aus Deutschland leisten und die in Luxemburg nicht besteuert werden, ab dem 1. Januar 2024 vom deutschen Fiskus besteuert werden.
Was sind die neuen steuerlichen Aspekte?
In einer Vereinbarung und „Klarstellung“, die Anfang Januar 2024 nun an die deutschen Steuerbehörden versendet wurde, findet sich auf Seite 13 unter (3.) der Satz: „Als tatsächlich nicht besteuert gelten die Löhne, die für Überstunden gezahlt werden, die in Luxemburg vollständig einkommensteuerfrei sind.“Ferner heißt es hier: Als tatsächlich besteuert gelten Einkünfte oder Teile von Einkünften, die im jeweiligen Vertragsstaat in den Gesamtbetrag der Einkünfte einbezogen werden, auf den in diesem Staat Steuern entrichtet werden. Auch als tatsächlich besteuert gelten Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit, die neben dem Grundbruttolohn gezahlt werden, soweit diese in einem Kalenderjahr in ihrer Summe den Grundbruttolohn nicht übersteigen.
Auch wird sofort ein Beispiel mitgeliefert: „B, eine in Deutschland ansässige natürliche Person, ist von einem luxemburgischen Arbeitgeber angestellt und übt ihre unselbständige Arbeit in Luxemburg aus. B erhält vom Arbeitgeber ein Geschenk in Höhe von 2.500 Euro wegen einer 40-jährigen ununterbrochenen Beschäftigung bei diesem Arbeitgeber. Dieses Geschenk wird in Luxemburg nicht besteuert, da der Freibetrag 3.400 Euro beträgt. Ergebnis: Diese Einkünfte in Höhe von 2.500 Euro sind insgesamt als tatsächlich besteuert anzusehen.“
Wie waren die ersten Reaktionen?
„Wir waren erstaunt – wie die Umsetzung nun aber erfolgt, weiß man nicht“, sagt James Marsh, Geschäftsführer der deutschen Grenzgänger-Sektion der Gewerk
schaft OGBL. Marsh bezweifelt, dass man sich in Luxemburg beim Abschluss der Vereinbarung über die Tragweite der Entscheidung bewusst war.
„Die erste Reaktion der Arbeitnehmer ist natürlich: Ich mache keine Überstunden mehr!“Doch viele Arbeitnehmer haben auch die Überstunden in ihren finanziellen Überlegungen mit eingerechnet – genauso wie so manches Unternehmen. Was geschieht also nun, wenn keine Überstunden mehr geleistet werden wollen – erzwingen kann man sie nicht. Werden nun Überstundenkonten angelegt? Wie hoch dürfen sie aufgestockt werden? Viele offene Fragen, so Marsh.
Die Handelskammer betont auf Anfrage, dass schon die Komplexität des Textes es für die meisten Unternehmen nicht einfach mache, die Regelung korrekt anzuwenden. Das bringe einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich. „Auch wenn das Doppelbesteuerungsabkommen als solches nicht geändert wurde, so sollten im Allgemeinen nachträgliche Änderungen in bi- oder multilateralen Abkommen generell die Rechtssicherheit für die Steuerzahler verbessern und keine neuen Belastungen verursachen“, sagt eine Sprecherin der Handelskammer. „Ein Abkommen sollte auch nicht zu weiteren administrativen Hürden für die Unternehmer führen. Eine unterschiedliche Behandlung von Grenzgängern in den Nachbarländern trägt außerdem sicherlich nicht dazu bei, die Sache zu erleichtern.“René Winkin, Geschäftsführer des Luxemburger Industrieverbands Fedil, sagt, dass die Betriebe von der Änderung überrascht worden seien. „Wir haben schon Rückmeldungen von Unternehmen bekommen, die befürchten, dass die Bereitschaft, Überstunden zu machen, dadurch zurückgeht“, sagt er. Zudem bestünde die Gefahr, dass Arbeitnehmer aus Deutschland weniger Interesse daran haben könnten, nach Luxemburg zu kommen.
Was sagen die deutschen Finanzämter?
Rückwirkend zum 1. Januar 2024 müssen mit dem reformierten Doppelbesteuerungsabkommen in Luxemburg tätige Arbeitnehmer eine Steuererklärung in Deutschland einreichen, auch wenn sie nur eine Überstunde gemacht haben. Dies selbst dann, „wenn man bisher noch nie Steuererklärung in Deutschland gemacht hat“, sagt James Marsh.
Doch wohl selbst die deutschen Finanzämter wissen aktuell noch nicht genau mit dieser Konsultationsvereinbarung umzugehen. Gilt ein Pausch-, also Freibetrag? Wie hoch wird versteuert? „Anfragen an das Finanzamt bitte nur schriftlich, damit sich die Finanzexperten damit beschäftigen können“, heißt es auf Nachfrage. Ganz zu schweigen von den Arbeitnehmern, die nicht wissen, wie hoch der Anteil, der besteuert wird, nun ausfällt.
Was sagt das Luxemburger Finanzministerium?
Minister Gilles Roth bestätigte aus London dem Luxemburger Wort gegenüber, dass diese Regelung effektiv auf dem Doppelbesteuerungsabkommen in der geänderten Version von 2023 beruhe, aber nun unter seiner ministeriellen Verantwortung ratifiziert wurde. Roth spricht von „einer Regelung mit Tragweite, denn viele seien davon betroffen“. Die Beamten seines Finanzministeriums seien in Kontakt mit den deutschen Kollegen, um hier eine Lösung herbeizuführen, so Roth.
Wie soll es nun weitergehen?
James Marsh vom OGBL betont: „Egal wie, man muss grundsätzlich festhalten, dass wir gerne eine diesbezügliche europäische Lösung haben würden“– doch davon ist man sicherlich noch weit entfernt.
Der OGBL fordert die Regierungen von Luxemburg und Deutschland daher kurz und knapp auf, die Kooperationsvereinbarung umgehend zurückzunehmen. Denn es könne nur ein Ergebnis geben: „Überstunden müssen steuerfrei bleiben, auf beiden Seiten der Grenze“, so Marsh.