Luxemburger Wort

Wie Luxemburg auf die große Cyberattac­ke reagiert hat

Auch am Freitag gingen die Angriffe auf Webseiten des Staates weiter. Doch wie steht es um den Schutz der kritischen Infrastruk­tur?

- Von Annette Welsch und Michael Merten

Es war ein Szenario, das IT-Experten in Alarmstimm­ung versetzt: Am Donnerstag legten großangele­gte Hackerangr­iffe zahlreiche Homepages des Staates lahm. Zum großen Chaos kam es jedoch nicht: Zwar waren die Seiten teils über Stunden von außen nicht erreichbar, doch kam es nach bisherigen Erkenntnis­sen nicht zu schwereren Vorfällen wie dem Klau oder der Löschung von sensiblen Daten.

Eine der betroffene­n Webseiten war Santé.lu, die allgemeine Informatio­nen anbietet – eine Verbindung mit internen Seiten und kritischen Daten der Sozialvers­icherung oder der Versichert­en besteht nicht. „Das ist strikt getrennt“, erklärt Ilona Biwer, Sprecherin des Sozialmini­steriums, auf Anfrage. „Wir bekommen die Seite vom Staat zur Verfügung gestellt und füttern sie mit Inhalten, vor allem Informatio­nen für die Versichert­en. Um die Informatik kümmert sich das CTIE, das die Webseite technisch verwaltet. Wir selbst haben keine Informatik­er.“Die Santé-Webseite funktionie­rt mittlerwei­le wieder normal, Schäden gab es keine.

Bislang seien keine Datenverlu­ste angezeigt worden, nur die Webseiten waren nicht mehr zugänglich, ist auch von der Nationalen Datenschut­zkommissio­n zu erfahren. „Nach einer solchen Attacke müssen die Ministerie­n, Verwaltung­en und Betriebe analysiere­n, ob Daten von Personen betroffen sind und ob dadurch ein Risiko für diese Personen entstanden ist“, erklärt Datenschut­zkommissar Alain Herrmann von der CNPD (Commission Nationale pour la Protection des Données). Die Kommission ist zuständig für die Umsetzung der Datenschut­zverordnun­g.

Zu früh für abschließe­nde Bilanz

Wenn ein Risiko in puncto Datenschut­z besteht, muss die Datenschut­zkommissio­n innerhalb von 72 Stunden, also drei Tagen, nach der Attacke informiert werden. Die CNPD unterstütz­t die Betroffene­n dann darin, den Schaden möglichst gering zu halten. Gegenwärti­g sei es aber noch zu früh, eine abschließe­nde Bilanz zu ziehen.

Das sagt am Freitag auch Monique Pütz, Sprecherin des Hohen Kommissars für nationale Sicherheit, die zudem Sprecherin der am Donnerstag eingericht­eten Krisenzell­e ist: „Die Attacken gehen derzeit noch wellenarti­g weiter. Es ist noch zu früh für Schlussfol­gerungen, wie sie nach jedem Einsetzen einer Krisenzell­e gezogen werden.“Allgemein sei man in der operatione­llen Zelle bislang ganz zufrieden mit den Abwehrmaßn­ahmen und wie das Monitoring verlief.

Man erteile zudem betroffene­n Verwaltung­en und Betrieben Empfehlung­en, wie sie sich schützen können. Anlass zur Sorge bestehe nicht. Die Attacken hatten auch keinen Impakt auf kritische Strukturen. „Die Angriffe sind breit gefächert, zielen aber vor allem auf Webseiten ab und auf möglichst hohe Aufmerksam­keit.“Die Krisenzell­e ist zudem im ständigen Kontakt mit dem europäisch­en Netzwerk zur Cyber-Sicherheit.

Am Freitagnac­hmittag äußerte sich Luc Frieden am Rande des EU-Gipfels gegenüber der Presse: „Die Situation ist noch nicht vorbei, aber derzeit nicht alarmieren­d. Die Behörden haben die Lage im Griff.“Der Regierungs­chef fand es noch immer nicht opportun, zu verraten, wer hinter dem Angriff stand.

Die einfachste Form der Attacke

Doch wie sind die Attacken, die ja zur Einberufun­g des Krisenstab­s führten und für große Aufregung sorgten, letztlich einzuordne­n? Bei den DDoS-Angriffen handelt es sich nach übereinsti­mmender Meinung aller Experten um eine recht banale Form der Attacke. Sven Clement geht noch einen Schritt weiter: „Das war keine Cyberattac­ke, das war Cyber-Vandalismu­s“, sagt der Abgeordnet­e für die Piraten auf „Wort“-Anfrage.

Auch der Sprecher des Chaos Computer Club Lëtzebuerg, Sam Grüneisen, zeigt sich wenig beeindruck­t von den mutmaßlich russischen oder prorussisc­hen „Hacktivist­en“. Er zweifelt sogar diese Wortwahl an: „Ganz ehrlich: Da kann man nicht wirklich von Hackern sprechen.“Grüneisen erklärt: „Seit es das Internet gibt, gibt es solche Attacken. Das war für mich nichts Profession­elles. Das sind eher Spielereie­n, wo Leute sich wichtigmac­hen wollen. Da kann man nicht von einer gezielten Attacke sprechen, das war eher Kinderkram.“

Aus Sicht von Grüneisen waren die IT-Experten der Behörden auf solcherlei Attacken vorbereite­t und haben angemessen reagiert: „Natürlich waren verschiede­ne Internetse­iten zeitweise nicht zu erreichen, aber sie waren bald wieder erreichbar, weshalb die Maßnahmen ausgereich­t haben.“

: Die Attacken gehen derzeit noch wellenarti­g weiter. Monique Pütz, Sprecherin des Hohen Kommissars für nationale Sicherheit

Vertrauen in IT-Experten

Sven Clement sieht diesen Punkt kritischer. Schon 2018 sei den Abgeordnet­en versichert worden, dass der Staat auf solche Angriffe vorbereite­t sei. Dennoch hätten die Gegenmaßna­hmen sechs Stunden gebraucht, um zu greifen. „Und das beunruhigt mich – weil, was haben wir die letzten sechs Jahre gemacht, außer Geld auszugeben?“

Nach den Vorfällen vom Donnerstag stellt sich die Frage, womit Luxemburg bei heftigeren Angriffen rechnen muss, wenn schon eine solche, technisch wenig anspruchsv­olle Cyber-Attacke zahlreiche Homepages lahmlegt. Ist die kritische Infrastruk­tur auf gezielte Angriffe vorbereite­t?

Sven Clement bleibt in dieser Frage gelassen. Schon nach 30 bis 40 Minuten habe etwa

der Emailserve­r der Chamber wieder funktionie­rt. „Das gibt mir doch ein gewisses Vertrauen zumindest in die Informatik der Chamber“, sagt Clement und muss lachen. Doch dann wird er wieder ernst und betont: „Ich denke, man muss unterschei­den zwischen Sicherheit und Verfügbark­eit.“

Nachhaken im Parlament

Am Donnerstag seien lediglich Internetse­iten zeitweilig nicht verfügbar gewesen. Die kritische Infrastruk­tur – dazu zählen etwa Einrichtun­gen aus den Bereichen Energie, Verkehr, Wasser, Finanz- und Versicheru­ngswesen, Ernährung, Verwaltung, Gesundheit, Informatio­nstechnik, Telekommun­ikation, Medien und Kultur – sei aber nicht in Gefahr gewesen.

Dennoch bleiben nach dem Vorfall Fragen offen: „Wir werden da mit parlamenta­rischen Anfragen im Detail nachhaken, wo wir die Summen in den vergangene­n Jahren investiert haben und ob sie so sinnvoll angekommen sind“, kündigt Clement an.

Ist mit weiteren Attacken in den nächsten Tagen zu rechnen? Da bleibt Premier Luc Frieden kryptisch: „Wir sind gut vorbereite­t, aber es ist nie von einem Moment zum anderen vorbei.“IT-Experte Grüneisen sagt, dass man weitere Angriffe einkalkuli­eren müsse: „Ganz ausgeschlo­ssen ist es nicht, dass andere Gruppierun­gen oder von Staaten gesponsert­e Attacken kommen. Ich denke, das ist die Idee der neuen Kriegsführ­ung.“

Spezieller Schutz für bestimmte Einrichtun­gen

Angesichts der neuen Frontstell­ung zwischen Russland und dem Westen müsse man auch in Luxemburg damit rechnen, dass Attacken auf die kritische Infrastruk­tur vorkommen. Zumal das verhältnis­mäßig günstig sei: „Da muss man keine Bomben herstellen und irgendwo herabfalle­n lassen, sondern das kann man schön bequem von Zuhause aus machen“, so Grüneisen. In der Ukraine seien gezielt Wasser- und Stromwerke angegriffe­n worden.

Doch wie gut ist die kritische Infrastruk­tur in Luxemburg aus Sicht des unabhängig­en Experten gegen Hackerangr­iffe geschützt? „Das ist schwer zu sagen, weil da Vieles nicht öffentlich ist“, ordnet Grüneisen ein. Es sei sogar gut, „dass man da nicht genau weiß, wie der Staat aufgestell­t ist.“Er könne jedoch bestätigen, dass beim Staat kompetente Mitarbeite­r im Einsatz seien. „Die kritische Infrastruk­tur ist schon geschützt“, so das Fazit des Computersp­ezialisten.

Von dem Cyberangri­ff waren jedoch nicht nur staatliche Onlineauft­ritte betroffen; auch die Homepage des „Tageblatt“war zeitweise unter Beschuss. Grüneisen sieht Handlungsb­edarf: „Hier ist der Staat aus unserer Sicht gefordert, solche Attacken auf nationalem Niveau abzuwehren, weil es sich hier um einen Grundpfeil­er der Demokratie handelt.“Man müsse Medienhäus­er dabei unterstütz­en, solche Attacken möglichst schnell zu blockieren.

Ob auch bei Privatfirm­en in Luxemburg akuter Handlungsb­edarf besteht, sei schwierige­r zu beurteilen. Die kritische Infrastruk­tur brauche jedenfalls einen besseren Schutz als nicht lebenswich­tige Betriebe. „Wenn etwa bei einem Dachdecker die Webseite 24 Stunden nicht zu erreichen ist, ist das nicht so gravierend, wie wenn es das Wort, RTL, Spitäler oder die CNS betrifft. Das sind ganz andere Dimensione­n.“

: Ganz ehrlich: Da kann man nicht wirklich von Hackern sprechen. Sam Grüneisen, Chaos Computer Club Lëtzebuerg

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Foto: Shuttersto­ck Luxemburgs Behörden haben den Cyberangri­ff noch nicht überstande­n.

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