Der größte Steuerzahler Luxemburgs
Ein dynamischer, wettbewerbsfähiger Finanzsektor ist die Vorbedingung für den Erhalt des materiellen Wohlstands und des Sozialstaats
Unser Land beherbergt einen der größten Finanzplätze innerhalb der Europäischen Union. Diesem kommt nicht nur international, sondern auch national eine spezifische Bedeutung zu, da die verschiedenen Akteure und Aktivitäten, welche sein Profil ausmachen, zu einem wesentlichen Teil unseres Bruttoinlandsproduktes (BIP) und des nationalen Steueraufkommens beitragen.
Rund 25 Prozent des BIP werden von der hiesigen Finanzindustrie erwirtschaftet. Je nach Berechnung sichert diese auch um die 30 Prozent der Steuereinnahmen. Alleine die von den Investmentfonds entrichtete „Taxe d’abonnement“bringt dem Staat je nach Börsenentwicklung zwischen 900 und 1.200 Millionen Euro jährlich ein.
Ein vielfältiger Standort
Der Luxemburger Finanzsektor stellt also ein umfangreiches und mittlerweile sehr diversifiziertes Ökosystem dar. Grob zusammengefasst ruht er auf drei Säulen: den Banken, den Investmentfonds sowie den Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaften. Hinzu gesellen sich zahlreiche andere Dienstleister und Start-ups. Am Finanzplatz arbeiten derzeit rund 60.000 Angestellte. Zählt man die Versicherungsgesellschaften hinzu, kommt man auf fast 70.000. All diese Menschen arbeiten in Banken, Zahlungsgesellschaften oder z. B. in Investmentfonds. Übrigens: Das Nettovermögen dieser Fonds belief sich Ende 2023 auf stolze 5.152 Milliarden Euro. Zu diesem Ökosystem gehören auch Fondsmanager, Pensionsfonds, Auditfirmen und Investitionsgesellschaften.
Als Standort ist unser Land vielsprachig und innovativ. Es ist ein zuverlässiger und anpassungsfähiger Partner mitten in der EU. Dank der „Luxembourg Green Exchange“hat unsere Börse mittlerweile eine große Kompetenz im Bereich der grünen Anleihen entwickelt, die strengen Kontrollen und Standards unterworfen sind.
Ohne die Dynamik, die von diesem Sektor ausgeht, wäre unser materielles Wohlergehen gefährdet.
Als die Covid-Pandemie ausbrach, konnte unser Bankenplatz dank der Digitalisierung weiter funktionieren, derweil andere Aktivitäten zum Stillstand kamen. Die spezifische Wirtschaftsstruktur Luxemburgs trug dazu bei, dass ein solch unvorhersehbarer Schock besser als in anderen Ländern abgefedert werden konnte. Hätte die Produktionsstruktur unseres Standortes anders ausgesehen, wäre der finanzielle Einbruch und somit das Defizit im öffentlichen Haushalt stärker ausgefallen.
Aufgrund seiner geringen Landesfläche hat sich Luxemburg stets durch einen vorherrschenden Sektor ausgezeichnet. So entwickelte sich unser Land von einem armen Agrarstaat über einen bedeutenden Stahlstandort hin zu dem internationalen Finanzplatz, den wir heute kennen und der, neben Handwerk, Handel und Industrie, einen beträchtlichen Teil unseres Wohlstandes ausmacht.
Dieses besondere Merkmal wirkt sich unweigerlich auf die Struktur der
Staatseinnahmen aus, denn diese hängen spürbar vom Gedeihen des Finanzplatzes ab. Gerade deshalb ist es so wichtig, die Abhängigkeit unserer Steuereinnahmen von der Entwicklung des Finanzplatzes zu erfassen und die damit verbundenen Wechselwirkungen genau zu kennen.
Ob man die wirtschaftliche Vormachtstellung der hiesigen Finanzindustrie nun gut findet oder nicht, eines steht fest: Ohne die Dynamik, die von diesem Sektor ausgeht, wäre unser materielles Wohlergehen gefährdet. Die Einkünfte unseres Staates bewegten sich auf deutlich niedrigerem Niveau. Deshalb lohnt es sich, den Finanzplatz weiter zu diversifizieren, ihn stets aufs Neue zu erforschen und somit zukünftige Entwicklungen vorauszusehen.
Finanzplatz auf Zukunft vorbereiten
In diesem Zusammenhang stellen sich manche Fragen: Wie wirkt sich die künstliche Intelligenz (KI) auf die Aktivitäten am Finanzplatz aus? Wie viele Arbeitsplätze drohen dadurch verloren zu gehen? Riskiert dies etwa, zu weniger Steuereinnahmen zu führen? Wie entwickelt sich der Wettbewerb mit anderen Standorten – droht der Verlust weiterer Marktanteile im Fondsgeschäft? Gelingt es uns neue und innovative Talente an
zuziehen, die keineswegs durch KI ersetzt werden können? Reichen die angekündigten fiskalischen Maßnahmen in diesem Kontext aus? Entspricht das bisherige Umfeld den Vorstellungen junger Spezialisten, die einen Teil ihrer Karriere an unserem Finanzstandort absolvieren möchten? Können wir neue Aktivitäten („front office“) entwickeln, die einen deutlich höheren Mehrwert generieren und so dazu beitragen, mehr Steuereinnahmen zu erzielen?
Dies alles setzt voraus, dass wir im Wettbewerb um spezialisierte Experten attraktiver werden. Denn auf diesem Gebiet schläft die Konkurrenz aus Dublin, Zürich oder Paris nicht. Ganz im Gegenteil: So hat Frankreich z. B. eine attraktivere Steuerregelung für ausländische Talente geschaffen („régime d’impatriés“) als das Großherzogtum. Wer also in einer schnelllebigen Welt innovativen Arbeitnehmern interessante Perspektiven bietet, dem gelingt es eher als anderen, Standortvorteile abzusichern und neue Aktivitäten zu erschließen. Denn darauf kommt es an, wenn man den Finanzplatz resilienter gestalten und den Luxemburger Sozialstaat stärken will.
In Zeiten knapper, ja defizitärer Kassen und wachsender Risiken wird es also nicht an Herausforderungen fehlen. Dabei sollte uns stets bewusst bleiben, dass das Steueraufkommen unseres Staates in
hohem Maße vom Finanzplatz abhängt und wir deshalb bei allen Entscheidungen fiskalischer und wirtschaftlicher Natur ein spezielles Augenmerk auf diesen richten müssen.
Dies hat nichts mit Lobbyismus zu tun, sondern mit der simplen Erkenntnis, dass auch die Finanzierung unseres Sozialstaates in nicht unwesentlichem Maße auf den Erfolg der Finanzindustrie angewiesen ist und jede politische Fehlentscheidung, die deren Entfaltung beeinträchtigte, möglicherweise fatale Folgen hätte.
Der Autor ist DP-Abgeordneter und Vizepräsident der parlamentarischen Finanzkommission.