„Noch sechs Monate und es wäre zu spät gewesen“
Während sich Krebsüberlebende, Betreuer und Unterstützer auf die diesjährige Auflage des „Relais pour la Vie“vorbereiten, sprechen vier Menschen über ihren Weg mit der Krankheit
Tausende Menschen werden an diesem Wochenende rund um die Leichtathletikbahn der Coque in Kirchberg laufen oder gehen und 24 Stunden lang ununterbrochen den Staffelstab weitergeben. Damit sammeln sie Geld für die Krebshilfe, um die Betroffenen zu unterstützen und um denjenigen zu gedenken, die ihren Kampf gegen die Krankheit verloren haben.
In Luxemburg wird jedes Jahr bei rund 3.000 Menschen Krebs diagnostiziert. Laut der Website der Fondation Cancer leben hierzulande etwa 18.000 Menschen mit dieser Krankheit. Zu denjenigen, die gegen den Krebs kämpfen mussten, gehört Noah. Er war 13 Jahre alt, als bei ihm eine seltene Form von Blutkrebs diagnostiziert wurde, die dazu führte, dass er nicht genügend neue Blutzellen produzieren konnte.
„Als Kind verstand er es so: ,Ich muss das tun und dann geht es weiter'“, sagte seine Mutter Lilian Waxweiler. „Als Elternteil sieht man die Dinge anders. Wenn es um dein Kind geht, möchtest du, dass es dich trifft. Man will nicht, dass das eigene Kind so etwas durchmachen muss. Dass Kinder Krebs haben, ist einfach schrecklich.“
Noah verbrachte sieben Monate in einem Krankenhaus in Brüssel, bevor er für eine Stammzellentransplantation nach Hamburg gebracht wurde – die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten. Dabei war er die ganze Zeit über isoliert, da es für ihn ohne Blutzellen zu riskant war, mit Außenstehenden in Kontakt zu kommen. „Wir brachten ihm einen Laptop mit, damit er Videospiele spielen konnte, wenn er wollte“, so Waxweiler weiter. Und fügt hinzu: „Für einen 13-Jährigen war das eine sehr lange Zeit in der Isolation.“
Noahs Eltern jonglierten zwischen Arbeit, Krankenhausbesuchen, Alltag und der Unterstützung ihres Sohnes. Dazu haben sie auch den Sonderurlaub genutzt, den es Eltern von schwer erkrankten Kindern erlaubt, eine längere Auszeit zu nehmen oder nach ihren Möglichkeiten arbeiten können, erklärt Lilian Waxweiler.
Vier Jahre später, im Jahr 2022, wurde bei Noah eine andere Art von Blutkrebs diagnostiziert, der derzeit zurückgeht. „Es war sehr schwierig, dass ich auch darüber reden musste“, sagt sie. „Die Isolation, die man erfährt, wenn das eigene Kind krank ist, hat die größten langfristigen Auswirkungen. Die Leute wissen nicht, was sie sagen oder fragen sollen. Aber manchmal ist es besser, etwas Unangenehmes zu sagen, als gar nichts zu sagen“, betont Lilian Waxweiler.
Dann fährt sie fort: „Mein Rat an Eltern, die eine solche Situation durchmachen, lautet: Sprechen Sie mit den Menschen, gehen Sie auf sie zu und informieren Sie die Menschen in Ihrem Umfeld. Bleiben Sie nicht in einer Blase für sich allein.“
Wenn plötzlich alles sehr schnell geht
Krebs ist die Ursache für ein Viertel aller Todesfälle in Luxemburg. Laut Daten der Fondation Cancer sterben jährlich etwa 1.000 Menschen an dieser Krankheit. Die häufigsten Krebsarten sind Brust-, Prostata-, Lungen- und Dickdarmkrebs.
Kim Schortgen aus Esch/Alzette erhielt an ihrem 50. Geburtstag einen Brief, in dem sie zu einer Mammografie gebeten wurde – ein Brief, den hierzulande alle Frauen in die
sem Alter erhalten. „Ich war eine Woche zuvor beim Gynäkologen, der nichts feststellen konnte“, erzählt sie. „Bei der Mammografie wurde es sehr, sehr früh entdeckt. Die Geschwulst war so klein, dass der Arzt sie nicht hätte ertasten können. Dann ging alles sehr schnell. Sie sagten mir, dass es sechs Monate später zu spät gewesen wäre.“
Innerhalb weniger Monate unterzog sich Kim Schortgen einer Mastektomie und erhielt eine Chemotherapie. Als Psychologin im Lyzeum war sie entschlossen, während der gesamten Zeit eine positive Einstellung zu bewahren.
„Ich musste den Stier bei den Hörnern packen und akzeptieren, dass das Leben nicht mehr dasselbe sein würde, aber dass ich ein gutes Leben haben kann und nicht der Vergangenheit nachweinen müsse. Stattdessen sollte ich sehen, was ich aus meinem Leben machen kann“, sagte sie. „Das hat mich dazu gebracht, das Leben anders zu betrachten. Meine neue Einstellung zum Leben ist es, glücklich zu sein, das Beste daraus zu machen und mir der kleinen Freuden des Lebens bewusst zu sein. Ich bin positiver, egoistischer und lasse mich nicht mehr von Dingen ärgern“, fügt sie hinzu. Außerdem hat sie ihre Beziehungen zu engen Freunden und Familienmitgliedern vertieft, die ihr auf ihrem Weg beigestanden haben.
Betreuer als wichtiger Bestandteil der Behandlung
Eine weitere Überlebende, die denjenigen, die sie auf ihrem Weg unterstützt haben, viel zu verdanken hat, ist Carol Halpern. Sie befindet sich in Remission, nachdem vor zwei Jahren ein Knoten in ihrer Brust entdeckt wurde. Der Knoten wuchs in nur zwei Wochen um zwei Zentimeter, woraufhin die zweifache Mutter sich einer Mastektomie unterzog.
„Wir sprechen oft nicht genug über die pflegenden Angehörigen, aber sie sind genauso wichtig wie die Behandlung“, sagte sie. Als sie die Diagnose erhielt, beschloss sie, ihren Teenagern gegenüber offen zu sein.
„Die Welt fällt einem auf den Kopf, wenn man die Diagnose erhält und man an den Tod denkt“, erklärte sie. Ihre Kinder hatten Angst gehabt, dass ihre Mutter sterben würde. Sie hingegen habe großes Glück, dass sie ihre Kinder habe, da sie sehr hilfsbereit und aufmerksam seien. Dann fährt sie fort: „Nach meiner Diagnose ging ich in den Kämpfermodus über. Ich war schon immer eine Kämpferin, ich bin früh aufgestanden, um zu tun, was ich tun musste, habe mich um die Kinder gekümmert, bin zur Chemotherapie gegangen. Ich war in einem Kampf.“
Die Isolation, die man erfährt, wenn das eigene Kind krank ist, hat die größten langfristigen Auswirkungen. Lilian Waxweiler
Die Geschwulst war so klein, dass der Arzt es nicht hätte ertasten können. Dann ging alles sehr schnell. Kim Schortgen
Zusammenbruch nach Haarausfall
Auch Carole Noël, bei der vor zwölf Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde, wird heute am „Relais pour la Vie“teilnehmen. „Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich nur an diesen Tag denke“, sagt sie. Und: „Ich werde an viele Momente denken, die ich erlebt habe, an Menschen, die ich getroffen habe und es nicht geschafft haben. Ich werde an meine Tochter denken, die meine Hauptbezugsperson war, und daran, was sie durchgemacht hat.“
Noël hatte weder Schmerzen noch Symptome und erhielt die Schockdiagnose nach einer Routine- Mammografieuntersuchung. „Bei meinem ersten Besuch im Krankenhaus fragte ich die Krankenschwester, ob ich meine Haare verlieren würde“, fügt sie hinzu. „Daran denken viele Frauen“, gibt sie zu verstehen. Dann sei es auch so gekommen: „Ich verlor meine Haare, meine Nägel, musste mich übergeben und hatte überall Schmerzen.“Zeitweise habe sie wegen der Chemotherapie weder sitzen noch essen oder schlafen können.
„Wir werden nie wieder zu dem zurückkehren, was wir vorher waren“, unterstreicht Noël. Dabei erinnert sie sich an die Zeit zurück: „Bei meiner ersten Chemotherapie saß eine ältere Frau neben mir, die sagte, dass ich mich verändern werde. Ich denke oft an diese Frau.“Für sie geht es an diesem Wochenende darum, jenen Hoffnung zu geben, die derzeit gegen Krebs kämpfen, und an die Menschen zu denken, die nicht überlebt haben.