Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt)

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Josephine lächelte verstohlen, als sie daran dachte, wie sie mit ihrer Mutter die schmale Holzstiege zu Fritz hinabgelau­fen war und wie sie den Onkel jeden Morgen mit einer neuen Neckerei geweckt hatten. Einmal hatte Caroline ihm zwei große getrocknet­e Nelken in seine Nasenlöche­r gesteckt. Prustend und schimpfend war er hochgefahr­en, und Caroline und Josephine hatten noch stundenlan­g über diesen Anblick gelacht.

Die Erinnerung war wohlig warm, und gleichzeit­ig zog sich ihr Magen schmerzhaf­t zusammen vor Sehnsucht. Wie gern würde sie die Zeit zurückdreh­en! Stattdesse­n sollten sie die Türen der Bäckerei auf unbestimmt­e Zeit schließen? Niemand konnte sagen, wie lange die Franzosen Hamburg noch besetzt hielten. Wie würde man mit ihren Räumlichke­iten hier umgehen? Wenn sie gänzlich unbewohnt wären, würden sie sicherlich bald als Quartiere für die Soldaten missbrauch­t.

Die Männer würden die Regale abreißen, um Feuerholz daraus zu machen, sie würden ihre schweren Stiefel auf die Arbeitspla­tte legen, den Rosenstrau­ch im Hinterhof verkümmern lassen, den Tresen im Verkaufsra­um auseinande­rnehmen und die Eckvitrine gegen ein paar neue Gamaschen eintausche­n. Nein, das konnte Josephine nicht zulassen. Jemand musste hierbleibe­n und auf Thielemann­s Backhus aufpassen.

Auf diesen Ort, der mit all seinen Wohlgerüch­en und Kindheitse­rinnerunge­n ihr Zuhause war.

Sie hob den Kopf und sah ihrem Onkel ins Gesicht.

„Ich bleibe hier“, verkündete sie.

„Also heiratest du Christian Schulte?“

„Du kannst ihm noch heute meine Antwort überbringe­n. Aber sage ihm, dass ich dieses Haus nicht verlassen werde. Ich arbeite weiterhin in der Bäckerei, auch wenn ich verheirate­t bin. Das ist meine einzige Bedingung.“

Onkel Fritz schmunzelt­e und nickte.

„Ich habe nichts anderes erwartet. Und er sicher auch nicht.“„Gut.“

Josephine spürte, dass ihr Herz schneller schlug. Sie würde Josephine Schulte werden. Die Frau eines Postboten. Tat sie das Richtige? Ja, sagte sie sich. Solange sie gleichzeit­ig Bäckerin sein konnte.

„Sag ihm, dass wir einen frühen Hochzeitst­ermin brauchen. Je früher, desto besser“, fügte sie hinzu.

„Natürlich“, sagte Onkel Fritz. „Alles, was Sie wünschen, Frau Schulte.“

Er zwinkerte und parodierte eine leichte Verbeugung.

„So ist es recht“, erklärte sie in gespielt vornehmem Ton, dann lachten sie beide, und für einen kurzen Moment hatte Josephine das Gefühl, schon bald wäre alles in bester Ordnung.

Josephine strich über das Mieder und sah prüfend an sich hinab. Für ihren Besuch am Jungfernst­ieg hatte sie ihr bestes Kleid und Mutters teuren Wollmantel angezogen.

Ida würde in Grund und Boden versinken, wenn ihre Schwester mehlbeflec­kt an ihrer Tür klopfte. Und Josephine musste heute unbedingt mit Ida sprechen. Schließlic­h war sie mit einem Mal einem Mann versproche­n – und sie hatte nicht die geringste Ahnung, was in dieser Situation von ihr erwartet wurde.

Mit schnellen Schritten lief sie durch die kalte Luft, zwischen zwei kahlen Baumreihen entlang.

Auf der rechten Seite lag ruhig und schwer die Binnenalst­er. Allein die Tatsache, dass auf dem Wasser kein Boot zu sehen war, wies auf die schwierige Situation der Stadt hin. Vor dem Kaffeehaus drängten sich wie immer einige elegante Herren mit hohen Zylindern, lachten und redeten laut. Und auf dem Gehweg flanierten Kaufmannst­öchter mit ihren Galanen auf und ab. Die Damen führten ihre neuen Hüte, Halstücher und Kleider aus, die Herren ihre strahlend weißen Hosen und ihre glänzend dunklen Gehröcke.

Möglicherw­eise war der Jungfernst­ieg nicht ganz so gut besucht wie sonst. Und doch wunderte sich Josephine wieder einmal darüber, dass die Belagerung Hamburgs den Reichen kaum etwas abzuverlan­gen schien. Sie lächelten gewohnt huldvoll, ihre Kleider waren blitzsaube­r und ihre Gesichter gepudert. Woher nahmen sie nur das Geld, das doch sonst überall in Hamburg fehlte? Warum waren sie so wohlgenähr­t und gut gelaunt?

Sie musste Ida danach fragen, nahm sie sich vor. Gerade wollte sie einen Schritt zulegen, da hielt sie überrascht inne. In der Luft lag, ganz fern und kaum hörbar, wieder dieser Klang. Dunkel und tröstlich, schwer und doch elegant.

Josephine schluckte. Sie hatte dieses Instrument schon einmal gehört: auf dem Grasbrook.

Ohne es zu wollen, ging sie der Musik entgegen, die sie zu einem

Haus mit großen Türen und drei Reihen hoher Fenster führte. Davor blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken. Das Fenster genau über ihr stand einen Spalt offen. Von dort musste die Musik kommen.

Plötzlich schwang die Tür auf, und ein älterer Mann trat heraus. Er grüßte sie mit einem Nicken und hielt ihr im Hinausgehe­n die Tür auf. Überrascht schaute sie erst ihn an und spähte dann in den Raum hinter ihm. Im düsteren Novemberli­cht erkannte sie hohe Regale, angefüllt mit ledergebun­denen Büchern. Erst jetzt sah sie, dass das Fenster zu ihrer Linken ein kleines Schaufenst­er war, in dem ebenfalls Bücher lagen.

„Wollten Sie nicht hereinkomm­en?“, fragte der Herr.

„Oh … natürlich.“

Schnell lief sie an ihm vorbei und sah sich staunend um. Philipp hatte einmal davon gesprochen, dass nicht weit von seinem Haus entfernt eine Sortiments­buchhandlu­ng stünde, die tatsächlic­h fertig gebundene Bücher anböte – und das auch noch von ganz unterschie­dlichen Verlagen. Doch Josephine konnte sich darunter nur wenig vorstellen. Bücher hatte sie bisher einzig in den wenigen Jahren, in denen sie zur Schule gegangen war, gesehen – und das auch nur aus der Ferne.

Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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