„Unglaublich“und „ein Witz“: Luxemburger Schiri-Wut erreicht den Siedepunkt
Nach dem bitteren Play-off-Aus in Georgien hagelt es Kritik an José Maria Sanchez und seinem Videoassistenten. Im Mittelpunkt steht ein brutales Foul
Unerwartet gefasst stand Luc Holtz am späten Donnerstagabend in Tiflis vor den Mikrofonen und beantwortete Fragen, auf die er bereits eine Antwort vorbereitet hatte. „Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht von den Gefühlen leiten zu lassen und mich auf das Spiel zu konzentrieren. Aber je mehr ich über diese Szenen nachdenke, desto größer ist die Enttäuschung.“
Was Luxemburgs Nationaltrainer meint, sind die spielentscheidenden Minuten des Halbfinales der EM-Play-offs in Georgien, das seine Mannschaft vor mehr als 50.000 Zuschauern in der Boris Paichadze Dinamo Arena mit 0:2 verloren hatte. In der 53.‘ ließ der spanische Schiedsrichter José Maria Sanchez einen Zweikampf zwischen FLF-Innenverteidiger Maxime Chanot und Georgiens Georges Mikautadze weiterlaufen, nachdem der Stürmer kurz vor dem Strafraum zu Fall gekommen war.
Wenig später – ohne dass das Spiel dazwischen unterbrochen wurde – erzielte Gerson Rodrigues den Ausgleich.
Der Angreifer trat die Eckfahne um und jubelte provokant vor den Heimfans, die laut pfiffen, schrien und Gegenstände warfen. Als die georgischen Spieler zum Anstoß bereitstanden, Sanchez aber nicht wieder anpfiff, machte sich unter den aufgebrachten Zuschauern Verwirrung breit. Nach langer Kommunikation mit dem Video-Schiedsrichter lief der Referee selbst zum Bildschirm und erkannte schließlich nicht nur Rodrigues‘ Treffer ab, sondern zeigte Chanot auch noch nachträglich die Rote Karte wegen einer Notbremse. Während die georgischen Fans die Entscheidung wie ein Tor bejubelten, reagierten Holtz und seine Spieler entsetzt.
„Wenn man bei der Aktion, die ich gesehen habe, ein Foul pfeift und dann die Rote Karte zeigt, dann muss mir jemand den Fußball neu erklären“, sagte der Coach, der sich das Videobeweis-Konzept nicht zum ersten Mal vorknöpfte. „Ich habe gesehen, dass Maxime mit seinem Gegenspieler gestolpert ist. Er ist mehr gerutscht als sonst irgendwas.“
Diese Entscheidung habe den Spielverlauf komplett verändert. „Es ist doch nicht möglich, dass wir jubeln und es dann so lange dauert. Wir sollten mit dem VAR (Video Assistent Referee, Anm. d. Red.) aufhören oder ihn richtig nutzen. Bald spielen wir nur noch Playstation. Es ist wirklich ein Witz.“Als Georgiens Budu Zivzivadze wenig später seinen zweiten Treffer erzielte, hatten die dezimierten Gäste nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Parallelen zum Slowakei-Spiel
„Ich habe das Gefühl, dass schon beim Spiel gegen die Slowakei (0:1, Anm. d. Red.) einige Entscheidungen zu unseren Ungunsten ausgefallen sind“, sagte Mittelfeldspieler Mathias Olesen. „Es war derselbe Schiedsrichter, deshalb ist das sehr frustrierend.“In der Tat hatte die Ansetzung des Spaniers auf die zweite entscheidende FLF-Partie innerhalb kurzer Zeit bereits in den vergangenen Tagen für Unmut gesorgt – allen voran bei Holtz. „Ich hatte mich vor dem Spiel schon darauf eingestellt“, erklärte der 54-Jährige. „Wir kannten das ja schon. Leider hat der Schiedsrichter jetzt zweimal das Spiel mitentschieden.“In der EM-Qualifikation im Oktober gegen die Slowaken hatte Sanchez einen Elfmeterpfiff für Luxemburg nach Foul an Leandro Barreiro zurückgenommen.
Doch haben der Spanier oder der VAR in Tiflis einen Fehler gemacht? „Ich habe mit meinen Kollegen gesprochen und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass der Schiedsrichter bei Chanot kein Foul im Fußbereich geahndet hat, sondern ein Halten an der Schulter“, analysierte Charles Schaack, FLF-Vizepräsident und luxemburgischer Schiri-Chef. Das sei den Regeln entsprechend zwar keine hundertprozentige Fehlentscheidung, allerdings ein „ganz kleinlicher Pfiff, der eigentlich nicht im Sinne der UEFA-Richtlinien ist“.
Dass sich der VAR überhaupt einschaltete, liegt daran, dass es sich bei der Szene zwischen Chanot und Mikautadze um einen potenziellen Platzverweis handelte – also eine Entscheidung, die das Spiel deutlich beeinflussen kann. „Ohne diese mögliche Rote Karte hätte der Videoschiedsrichter nicht eingegriffen“, erläutert Schaack. Am Ende habe jedoch Sanchez, der auch in seiner Heimat bei Fans und Medien regelmäßig in der Kritik steht, das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen.
Offene Sohle und auf Kniehöhe
Keine zwei Meinungen gebe es laut Schaack allerdings bei einer anderen Szene: In der 37.‘ rauschte Otar Kakabadze auf Höhe der Mittellinie mit offener Sohle in Mica Pinto herein und traf den Luxemburger Linksverteidiger auf Kniehöhe. „Diese Aktion war eine klare Rote Karte“, war sich Marvin Martins, der anschließend für den verletzten Pinto eingewechselt wurde, sicher. „Mica hat sogar Narben. Und der Referee hat nicht einmal auf Foul entschieden.“Auch Kapitän Laurent Jans hatte keinerlei Verständnis: „Es ist unglaublich, dass der Georgier für diese Aktion nicht vom Platz geflogen ist.“
Pinto selbst humpelte nach dem Spiel mit versteinerter Miene in den Mannschaftsbus hinein. „Das war eine Rote Karte, wie sie im Regelbuch steht“, stellte Schaack klar. „Offene Sohle, kniehoch und ein Kontakt: Wenn Schiedsrichter ausgebildet werden, ist eine solche Szene immer ein Beispiel für einen Platzverweis. Da hätte der VAR zwingend aktiv werden müssen.“Der Schiri-Boss verriet, dass die FLF zwar keinen Protest einlegen wolle („Das ändert ohnehin nichts“), allerdings vom europäischen Fußballverband eine Erklärung für die Entscheidungen angefragt habe. „Mal sehen, ob eine Antwort kommt“, sagte Schaack.
Obwohl Holtz und seine Spieler nicht verschweigen wollten, dass die Georgier vor allem in der ersten Halbzeit die klar bessere Mannschaft gewesen waren, hinterlässt der Schiri-Ärger von Tiflis einen mehr als faden Beigeschmack. „Ich bin überzeugt, dass wir nach dem 1:1 das Spiel hätten drehen können“, sagte Holtz. „Im Fußball kann es so schnell in eine andere Richtung gehen.“Diese Chance wurde am Donnerstag – im wichtigsten Spiel der Verbandsgeschichte – vor einem Bildschirm im Keim erstickt.
Mica hat sogar Narben. Und der Referee hat nicht einmal auf Foul entschieden. Marvin Martins, Nationalspieler