Luxemburger Wort

Wenn die Kirchenglo­cken nach Rom „fliegen“

Ab Gründonner­stag werden die Klibberkin­der wieder unterwegs sein. Tanja Konsbrück erklärt diesen Jahrhunder­te alten Brauch

- Von Jean-Philippe Schmit

Sobald der Chor in der Abendmesse am Gründonner­stag verstummt, werden auch die Glocken schweigen. „Von dem Moment an übernimmt die Jugend des Ortes die Aufgabe, die Christen zur Kirche zu rufen. Von einem Chorknaben angeführt, durchziehe­n die Kinder die Straßen mit hölzernen Klappern, Klibberkla­ber und Jarr genannt, und verkünden mit Rufen und Schreien die Zeit des Gottesdien­stes“, so beschreibt Edmond de la Fontaine das Klibbern im Jahr 1883 in seinem Buch „Luxemburge­r Sitten und Bräuche“.

In seinem Werk geht er auch auf den Ursprung dieses uralten Brauches ein. Im alten Ägypten habe man während der religiösen Trauerzeit nach dem Tod des Osiris versucht, den bösen Geist Typhon mit einem Sistrum, dem Klapperins­trument der Isis, zu vertreiben. „Aus dem Nillande stammt auch dieser kirchliche Brauch an den letzten drei Tagen der Karwoche“, schreibt de la Fontaine.

Für Tanja Konsbrück, Leiterin der Vereinigun­g Lëtzebuerg­er Massendéng­er, ist es wichtig, die Bedeutung der Karwoche hervorzuhe­ben. „Schon die Kinder sollen verstehen, worum es geht“, sagt sie. Das Wort „Kar“bedeutet Trauer. In der Karwoche werde an das Leiden und Sterben Jesu gedacht. Sie fügt hinzu, „dass die Glocken nach Rom gehen, um dort zu beichten“.

Während dieser Zeit ist es die Aufgabe der Ministrant­en, die Rolle der Glocken zu übernehmen. Und das mindestens dreimal am Tag. „Das Klibbern ist schon eine anstrengen­de Aufgabe“, betont Konsbrück. So komme es vor, dass die Klibberkan­ner während der Osternacht­feier, zu der sie selbst gerufen haben, einfach einschlafe­n.

Die Suche nach neuen Klibber-Produzente­n

Trotz der Anstrengun­g ist das „Klibberego­en“vielen Kindern in Erinnerung geblieben. In der Obermoselz­eitung aus dem Jahr 1923 meint der Autor, dass das „Klibbern oder Garren“für die Buben gleichbede­utend mit unumschrän­kter Freiheit gewesen sei. „Das Klibbern trug gewaltig zur Befriedigu­ng der besonders der Jugend innewohnen­den Radaulust bei, welche auf diese Weise in erlaubte Bahnen gelenkt und sogar belohnt wird.“

Auch für Tanja Konsbrück war das Klibbern immer „der Höhepunkt des Messdiener­jahres“. Als Kind habe sie am Klibbern teilgenomm­en, und „als Erwachsene habe ich es weitergefü­hrt, um die Kinder für das Klibbern zu begeistern“. Wie ernst diese das nehmen, zeigt ein Beispiel: „In unserem Dorf gab es einen Jungen, der am Vorabend so aufgeregt war, dass er komplett angezogen ins Bett ging, um am nächsten Morgen sofort bereit zu sein“.

Wie es zumindest früher weiterging, schildert die Obermoselz­eitung: „In aller Herrgottsf­rühe, um 4 Uhr, zogen unsere Klibberjun­gens ihrerseits durchs Dorf, pfiffen ein lustiges Lied, rüttelten hier an einer Tür, weckten dort einen Kameraden aus dem Schlaf und brachten die Hundemeute außer Rand und Band“. Manche seien sogar überzeugt gewesen, dass ohne ihren Einsatz „die Sonne nicht aufgegange­n wäre“.

Der Lärm in aller Herrgottsf­rühe habe auch zu „vielen Verwünschu­ngen der Schlafhung­rigen“geführt. Das gilt zum Teil noch heute. So soll es laut Konsbrück „Einwohner geben, die schimpfen, wenn die Kinder morgens vor 7 Uhr zu viel Lärm machen“. Auch wenn die Kinder am Karsamstag ihren Lohn abholen, stünden sie manchmal vor verschloss­enen Türen.

„Das kirchliche Leben ist zurückgega­ngen“, erklärt Konsbrück. Damals hätten auch mehr Kinder den Religionsu­nterricht besucht und seien so zum Klibbern animiert worden. „Früher gab es auch weniger andere Aktivitäte­n in den Dörfern“, erklärt sie. Heute seien die Kinder oft gar nicht zu Hause, wenn sie klibbern sollen. „Sie sind dann in der Schule, in der Maison relais oder haben Musik- oder Sportunter­richt.“Manche Kinder seien sogar in den Ferien.

Das Brauchtum dürfe aber nicht verloren gehen, betont sie. „Deswegen wurde das Klibbern am 20. Dezember 2022 in die Liste des luxemburgi­schen Kulturerbe­s eingetrage­n“, freut sich Konsbrück. Die Lëtzebuerg­er Massendéng­er sind die Trägergese­llschaft. „Das Klibberego­en fördert den sozialen Zusammenha­lt und markiert das menschlich­e Zusammenle­ben“, so lautete die Begründung für die Aufnahme in die Liste.

Das Klibbern ist schon eine anstrengen­de Aufgabe Tanja Konsbrück

Klibbern-Gehen als immateriel­les Kulturerbe anerkannt

Einst wurden die lauten Holzkisten vom Dorfschrei­ner gezimmert und „von Vater an den Sohn weitergere­icht“. Neue Klibberen seien heute selten geworden. „Zur Journée du Patrimoine im vergangene­n Jahr hatten wir die Leute dazu aufgerufen, ihre alte Klibber mitzubring­en“, so Konsbrück. Mehrere Modelle kamen so zu den Lëtzebuerg­er Massendéng­er. Das älteste Modell stamme aus dem Jahr 1866.

Aber das eigentlich­e Ziel war es, neue Modelle zu produziere­n. Auf der Suche nach einem neuen Hersteller sprach Tanja Konsbrück mit dem Schreinerm­eister aus dem Gefängnis Schrassig. Dieser habe sich dann ein Modell angeschaut und einen Prototyp gebaut. „Die Klibber ist geschlosse­n, man kann keinen Finger hineinstec­ken“, sagt Konsbrück. Der Tischler hat auch ein Modell für Linkshände­r entwickelt, damit die Kinder „keine komischen Bewegungen“mehr machen müssen.

Die Produktion innerhalb der Gefängnism­auern ist bereits abgeschlos­sen. 35 Euro kostet eine Klibber. „26 Stück sind noch zu haben“, sagt Konsbrück. Interes

senten können sich unter massendeng­er@cathol.lu melden oder mittwochs zwischen 15 und 17.45 Uhr im Centre Convict vorbeischa­uen. Denn wer beim Klibbern mitmachen will, braucht ein solches Gerät.

Ob und wann in der eigenen Gemeinde geklibbert wird, können die Eltern aus dem Pfarrbrief oder den sozialen Medien entnehmen. Je nach Ortschaft lautet die Moiesklack am Karfreitag bereits zwischen 6 und 8 Uhr, gegen Mittag heißt es dann „D’Mëttesklac­k laut!“und am Abend läutet die „Owesklack“.

Interessan­t wird es am Karsamstag. Denn an diesem Tag dürfen die Kinder das bekannte Lied zum Besten geben: „Dik Dik Dak – Dik Dik Dag, muer ass Ouschterda­g.“„Sie erhalten dann Geld, Schokolade oder Ostereier“, sagt Tanja Konsbrück.

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 ?? Fotos: Tanja Konsbrück ?? Die Klibberkin­der aus Rindschlei­den beim Einsammeln des Klibberloh­nes.
Fotos: Tanja Konsbrück Die Klibberkin­der aus Rindschlei­den beim Einsammeln des Klibberloh­nes.
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Foto: Lëtzebuerg­er Massendéng­er Patrick Dondelinge­r vom Kulturmini­sterium testet das neue Klibbermod­ell.
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Foto: Privatsamm­lung Famill Konsbruck-Weber Im Jahr 1962 waren in Berdorf nur Jungs unterwegs, heute auch Mädchen.
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Das Klibberbau­atelier während der Semaine du patrimoine im Jahr 2023.

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