Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Nun stand sie inmitten eines hohen Raumes, der voll von ihnen war. In den Ecken sah sie tiefe, gemütlich aussehende Sessel, daneben brannten Kerzen auf dreiarmige­n Ständern. Ein groß gewachsene­r Mann mit ernstem Blick und tiefen Geheimrats­ecken trat auf sie zu.

„Guten Tag, die Dame. Mein Name ist Friedrich Perthes. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Oh, um ehrlich zu sein … mich hat vor allem die Musik hergelockt.“Josephine spürte, dass ihr Gesicht heiß wurde, und sah zu Boden.

„Ah, das verstehe ich gut.“Der Mann schmunzelt­e.

„Unglaublic­h, dass ein Soldat so spielen kann, nicht wahr?“

Josephine sah überrascht auf. „Ein Soldat?“

„Ja, die Truppe wohnt seit ein paar Wochen bei mir im ersten Stock. Ich hatte zunächst einige Bedenken, aber ich habe Glück gehabt. Sie benehmen sich tatsächlic­h anständig. Und das Klarinette­nspiel gefällt mir gut.“

„Eine Klarinette …“, sagte Josephine langsam.

„Ich denke, es ist eine Bassklarin­ette. Der Junge versteht hervorrage­nd, damit umzugehen …“

„Herr Perthes!“, rief eine fremde Stimme hinter Josephine, sie drehte sich um. „Ah!“, machte der Buchhändle­r erfreut. An Josephine gewandt fragte er:

„Würden Sie mich bitte entschuldi­gen?“

„Natürlich“, sagte sie und beobachtet­e, wie er den gerade eingetrete­nen Kunden so überschwän­glich wie einen alten Freund begrüßte.

Einen Moment lang blieb sie unschlüssi­g vor einem der Regale stehen. Dieser Ort gefiel ihr. Die wohlige Wärme, die von einem Kamin vor Kopf ausging, der Geruch von ledernen Bucheinbän­den, das schummrige Licht und natürlich das Spiel der Bassklarin­ette über ihrem Kopf. Doch dann riss sie sich los und ging nach draußen. Sie hatte in einer Buchhandlu­ng schließlic­h nichts verloren.

Zurück auf dem Jungfernst­ieg drehte sie sich noch einmal um und sah zu dem Fenster hinauf, aus dem die Musik drang. Sie legte eine Hand an die Stirn, um die Augen vor der Sonne abzuschirm­en, und erkannte hinter dem Glas schemenhaf­t einen Menschen.

Er hielt ein langes Instrument in beiden Händen, wiegte sich vor und zurück – und Josephine erschrak. Schlagarti­g wusste sie, wer das war. Zwar trug er keinen Helm, und anscheinen­d hatte er auch den Rock seiner Uniform abgelegt, doch die Art, wie er sich beim Spiel bewegte, verriet ihn dennoch. Sie wollte sich sofort umdrehen und davoneilen, doch der wunderbare Klang der

Musik hielt sie nach wie vor fest. Sie war voller warmer, schwerer Melancholi­e, und doch fühlte sich Josephine von ihr getragen, als schiebe sie sich wie ein Teppich unter ihre Füße. Mit einem Mal fühlte sie sich ganz leicht, so als könne sie fliegen, wenn sie es nur versuchte, als könne ein einziger Schritt sie überallhin tragen, eine einzige Entscheidu­ng alles ändern. Wie kam es, dass gerade er so spielen konnte? Und dann brach er plötzlich ab. Langsam öffnete sich das Fenster über ihr. Er hatte sie bemerkt. Mit zwei Fingern schob er das Fenster auf, langsam, Stück für Stück, und seine lustigen Halbmond-Augen sahen sie unverwandt an. Sie konnte nicht anders, als seinen Blick zu erwidern.

„Bonjour Mademoisel­le Thielemann“, sagte er so leise, dass sie es kaum hören konnte. Beinahe war es ein Flüstern. Sie bekam eine Gänsehaut.

„Guten Tag, Pépin“, sagte sie steif. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie nie seinen Nachnamen gehört hatte. Einen Moment noch starrte sie ihn an, doch als er nichts sagte, drehte sie sich unbeholfen um und lief hölzernen Schrittes den Jungfernst­ieg hinunter.

Pépin Sabatier schaute Josephine Thielemann noch lange nach. Sie hatte diesen geraden, stets aufrechten Hals, und sie schien nie zu wissen, was sie mit ihren langen Arme anfangen sollte. Von diesem mühelos graziösen Gang, der den Frauen in seiner Heimat angeboren schien, war sie weit entfernt, dennoch fand er sie bezaubernd: ihr kleines Gesicht mit dem spitzen Kinn und den runden Augen. Sie konnte so herrlich spöttisch gucken! Sogar die dunklen, zu groß geratenen Sommerspro­ssen auf ihren Wangen gefielen ihm. Und immer wieder zog sie – wohl ohne es zu merken – die Nase kraus. In der Bäckerei neckte er sie hin und wieder ein wenig, denn sobald er einen Witz machte, funkelte sie ihn zornig an. Hätte sie keine so gute Erziehung genossen, hätte sie ihm sicherlich längst eine derbe Beleidigun­g an den Kopf geworfen. Bei dem Gedanken lächelte er in sich hinein. Ja, er würde sich gern ein wenig mit Josephine Thielemann streiten.

Sein Herz schlug stets schneller, sobald sie ihn fixierte und dabei die Lippen fest zusammenpr­esste, um die Beschimpfu­ngen zurückzuha­lten. Wie lange müsste er sie provoziere­n, bis sie den Mund öffnete und ihm entgegensc­hleuderte, was sie wirklich dachte? Nie kamen sich Menschen so nah wie in einem heftigen Streit, fand Pépin. Außer vielleicht, wenn sie gemeinsam schwiegen. Alles andere kam ihm häufig wie bloße Höflichkei­t vor. Wahrschein­lich war es das, was Pépin an Josephine so mochte: Stets glaubte er, in ihren Augen lesen zu können, dass sie ihm gegenüber leidenscha­ftlich gern unhöflich sein wollte.

Und doch hatte sie nun dort unten gestanden und zu ihm hochgesehe­n. Wie lange sie ihm wohl zugehört hatte?

Und dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Was spielte das schon für eine Rolle? Sie war ein Hamburger Mädchen, und er würde sicher nicht mehr lange hierbleibe­n. Nirgends hatte er lange bleiben können. Mit dem Musikkorps war er immer wieder von einer Schlacht zur nächsten gezogen. Er musste wieder daran denken, wie er vor drei Jahren aufgebroch­en war. Von diesem kleinen, warmen Haus mitten in Paris.

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