Es kommt Bewegung in den Fall Assange
Die USA haben drei Wochen Zeit, Zusicherungen abzugeben, die das Verfahren gegen den WikiLeaks-Gründer betreffen. Es gibt Spekulationen über einen Vergleich
Julian Assange hat in seinem Kampf gegen die Auslieferung an die USA eine weitere Verschnaufpause erhalten. Der High Court in London gab der US-Regierung in einer am Dienstagvormittag veröffentlichten Entscheidung drei Wochen Zeit, eine Reihe von Zusicherungen abzugeben. Sollten sich die USA weigern, würden die Richter Assanges Antrag gewähren, ein weiteres Mal in Großbritannien gegen seine Auslieferung in Berufung zu gehen.
„Werden diese Zusicherungen nicht abgegeben, dann wird die Erlaubnis zur Berufung erteilt und es wird dann eine Berufungsanhörung geben“, schrieben die Richter in einer Zusammenfassung ihres Urteils. Sollten die USA die Zusicherungen abgeben, „werden wir den Parteien die Möglichkeit geben, weitere Stellungnahmen abzugeben, bevor wir eine endgültige Entscheidung über den Antrag auf Erlaubnis zur Berufung treffen.“
So verlangen die Richter eine Bestätigung, dass sich Assange im Fall eines Verfahrens in den USA auf den Ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten berufen könne. Dieser schützt die Meinungsfreiheit. Die Richter verlangten zudem Zusicherungen, dass Assange weder bei der Verhandlung noch bei der Verurteilung wegen seiner australischen Staatsangehörigkeit benachteiligt würde. Die USA müssten zudem zusichern, dass Assange im Fall einer Verurteilung nicht zum Tode verurteilt würde.
Die Richter wiesen jedoch einige andere Argumente, die Assanges Anwälte vorgebracht hatten, zurück – etwa, dass Assange wegen seiner politischen Ansichten verfolgt werde. Die nächste Anhörung soll am 20. Mai erfolgen. Dann werden die Richter darüber entscheiden, ob die USA die geforderten Bedingungen erfüllt haben.
Vorwürfe in Richtung CIA
Assanges Frau, die Anwältin Stella Assange, wiederholte nach der Entscheidung den Vorwurf, der US-Geheimdienst CIA habe geplant, Assange zu entführen und zu töten. Ein Investigativbericht im vergangenen Jahr legte nahe, Mike Pompeo, CIA-Direktor und Donald Trump, habe angeordnet, eine solche Operation zu planen. Unabhängig bestätigt sind diese Vorwürfe nicht.
WikiLeaks-Anwältin Jennifer Robinson forderte die USA dazu auf, die Anklage gegen Assange ganz fallen zu lassen. „Das heutige Urteil zeigt, dass bei einer Auslieferung Julians an die Vereinigten Staaten ein echtes Risiko besteht, dass ihm der Schutz der freien Meinungsäußerung nicht gewährt wird.“
Die Risiken für Julian Assange und die für Pressefreiheit blieben trotz der Verzögerung des Urteils des High Courts hoch, sagte Michelle Stanistreet, Generalsekretärin der National Union of Journalists. „Die Verfolgung von Assange durch die USA richtet sich gegen Aktivitäten, die für investigative Journalisten tägliche Arbeit sind.“
Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Seine Enthüllungsplattform WikiLeaks hatte 2010 und 2011 Hunderttausende interne Dokumente des US-Militärs und geheime diplomatische Depeschen veröffentlicht. Die Dokumente enthielten Hinweise darauf, dass es sowohl in Afghanistan als auch im Irak mehr zivile Todesopfer durch amerikanische und Koalitionstruppen gab, als Washington öffentlich zugab. Die brisanten Papiere deuteten zudem darauf hin, dass die USA wussten, dass irakische Sicherheitskräfte Kriegsgefangene folterten.
Vergleichsangebot von den USA?
Assange wurde schon damals schnell zu einer zunehmend kontroversen Figur. 2012 floh er in die ecuadorianische Botschaft in London, um sich einer Aus
Die Verfolgung von Assange durch die USA richtet sich gegen Aktivitäten, die für investigative Journalisten tägliche Arbeit sind. Michelle Stanistreet, National Union of Journalists
lieferung nach Schweden zu entziehen. Dort warfen ihm zwei Frauen sexuelle Übergriffe während eines Stockholm-Besuchs im August 2010 vor. Im April 2019 – und nach reichlich Streit mit den Gastgebern – gab die Regierung Ecuadors grünes Licht für seine Festnahme in der Botschaft. Ein Gericht in London verurteilte Assange zu 50 Wochen Haft, weil er gegen seine Kautionsauflagen verstoßen hatte. Der WikiLeaks-Gründer landete im Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis im Osten Londons. Dort sitzt er bis heute fest.
Denn nach seiner Festnahme machten die USA eine versiegelte Anklage aus dem Jahr 2018 öffentlich. Darin wurde Assange vorgeworfen, er sei Teil einer Verschwörung zum Eindringen in Computersysteme gewesen. Am 23. Mai 2019 fügte eine US-Geschworenenjury 17 Spionageanklagen hinzu. Seitdem drohen Assange im Fall einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Die schwedischen Behörden ließen ihre Vorwürfe fallen, um eine Auslieferung an die USA zu ermöglichen.
Im Sommer 2022 genehmigte die damalige britische Innenministerin Priti Patel Assanges Auslieferung an die USA. Seine Anwälte versuchen seitdem, diese vor britischen Gerichten zu stoppen.
Ein Dilemma für Biden
Die USA könnten den Aufschub dazu nutzen, um das scheinbar endlose juristische Hickhack abzukürzen und auf eine Auslieferung zu verzichten. Die Biden-Regierung steckt in Sachen Assange in ohnehin einem Dilemma: Präsident Barack Obama hatte während seiner Amtszeit aus Sorge um die Pressefreiheit darauf verzichtet, gegen Assange wegen der Leaks vorzugehen.
Die Trump-Regierung trieb hingegen eine Anklage unter dem kontroversen Espionage Act aus dem Jahr 1917 voran. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Schließlich hatte WikiLeaks 2016 mit der Veröffentlichung tausender interner Emails des nationalen Organisationsgremiums der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten der Kampagne der damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton offenbar bewusst erheblichen Schaden zugefügt. Sicherheitskreise vermuten, dass russische Hacker hinter dem Leak steckten. Es ist gut möglich, dass dieser Leak Trump dabei geholfen hat, die Präsidentschaftswahl knapp zu gewinnen.
Nun scheint es innerhalb der Biden-Regierung Überlegungen zu geben, Assange ein Vergleichsangebot zu machen, das es ihm erlauben würde, sich des weitaus weniger schweren Vorwurfs schuldig zu bekennen, Geheimdokumente fahrlässig behandelt zu haben. Alle anderen Anklagepunkte sollten im Gegenzug fallen gelassen werden, berichtete das Wall Street Journal. Assanges Haftzeit in London könnte auf seine Strafe angerechnet werden. Er könnte schon in Kürze freikommen. Assanges Anwälte erklärten nach dem Bericht jedoch, sie wüssten nichts von einem solchen Vergleichsangebot.