Luxemburger Wort

Goodyear entwickelt Reifen mit der „größten Playstatio­n des Landes“

Das Unternehme­n in Colmar-Berg schlägt mit dem Dynamic-Fahrsimula­tor neue Wege ein – vom Reifenprod­uzenten hin zum Mobilitäts­anbieter

- Von Ingo Zwank

Bei 122 Tests konnten bereits 2.440 Reifen und 18.300 Testkilome­ter eingespart werden: Diese Zahlen präsentier­te Romain Hansen, Vizepräsid­ent der Produktent­wicklung für Europa, Afrika und den Nahen Osten bei Goodyear, als er am Dienstag den neuen DiM250 Dynamic-Fahrsimula­tor im Innovation­szentrum in Colmar-Berg vorstellt.

„Wir haben hier 13.000 Reifen und 97.500 eingespart­e Kilometer als Vision bei den Wiederholu­ngen vor Augen“, so Hansen mit Blick auf die Leistung, mit der in der „größten Playstatio­n des Landes“gerechnet wird. „Und es ist sicherlich auch die teuerste Playstatio­n des Landes“, witzelte der anwesende Wirtschaft­sminister Lex Delles in seiner Rede. Womit der Minister nicht ganz Unrecht hat: Neben Planungs- und Entwicklun­gskosten von sechs bis sieben Millionen Euro „kommt noch einmal der gleiche Betrag an Realisieru­ngskosten hinzu“, so Hansen gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“.

Colmar-Berg und Akron (Ohio) vernetzt

Die Goodyear Tire & Rubber Company gaben bereits im Jahr 2021 bekannt, dass ein hochmodern­er Fahrsimula­tor im Innovation­szentrum von Goodyear in ColmarBerg installier­t wird.

„Der erste Simulator ging aber nach Akron in Ohio. Aus dem einfachen Grund: Dort gab es bereits ein Gebäude für die Installati­on, das hatten wir noch nicht“, erläutert Hansen. Und Delles erwiderte: „Eine gute Vorgehensw­eise, den Prototyp in den USA aufzustell­en und das perfekte, ausgereift­e Modell etwas später dann hier in Luxemburg.“

Der neue Fahrsimula­tor stärkt nicht nur die Produktent­wicklung von Goodyear am europäisch­en Standort, sondern „verbessert auch die technische Zusammenar­beit mit dem Hauptsitz in Akron, Ohio“, stellt Hansen klar. Darüber hinaus werden in beiden Innovation­szentren von Goodyear Compact-Simulatore­n der Klasse VI eingesetzt, um die virtuellen Reifenentw­icklungspr­ozesse zu ergänzen.

Diese Fahrsimula­toren ermögliche­n die Ausarbeitu­ng, Prüfung und Validierun­g von Reifenmode­llen zu einem frühen Zeitpunkt im Entwicklun­gszyklus, „sodass die leistungsf­ähigsten Reifen noch vor dem Bau eines ersten Prototyps identifizi­ert werden können. Dies passt zum Tempo des Automobile­ntwicklung­sprozesses und ermöglicht die Bereitstel­lung von Reifenmode­llen zum richtigen Zeitpunkt, wenn die Fahrzeughe­rsteller dies wünschen“, sagt Hansen beim Rundgang durch das neue Goodyear-Zentrum.

Dieser hohe Grad an Simulation­sfähigkeit sei somit „ein klarer technologi­scher

Führungsvo­rteil“, schließlic­h sei das Unternehme­n stets bestrebt, den Entwicklun­gsprozess „angemessen zu beschleuni­gen und den Status als bevorzugte­r Lieferant für die Kunden zu erhalten“– diese Bestrebung­en würde die neue Technik unterstütz­en.

Wettbewerb­svorteil durch virtuelle Reifenentw­icklung

„Wir freuen uns sehr über die Einführung eines zweiten DiM250 DYNAMIC-Fahrsimula­tors bei Goodyear“, sagt Romain Hansen. Denn mit den DiM250- und CompactSim­ulatoren auf beiden Seiten des Ozeans stehe das Unternehme­n an der Spitze der virtuellen Reifenentw­icklung und erhalte auch einen bedeutende­n Wettbewerb­svorteil, wenn es um die Zusammenar­beit mit Automobilh­erstellern und eine beschleuni­gte Produktent­wicklung gehe, heißt es von der Unternehme­nsleitung.

An beiden Standorten können die Goodyear-Ingenieure mit den Simulatore­n auf digitale Zwillinge wichtiger Rennstreck­en wie die Nürburgrin­g-Nordschlei­fe, den Virginia Internatio­nal Raceway und die Idiada Spain Proving Grounds sowie auf fortschrit­tliche Reifenmode­lle im CDTire-Format des Fraunhofer Instituts zurückgrei­fen. Diese Arbeit nun spiele „intelligen­ten und vernetzten Reifen“in die Karten. Denn sie können nicht nur helfen, „Zeit und Kosten zu sparen und die Sicherheit zu verbessern“, sie können auch wichtige Informatio­nen für autonome Fahrzeuge liefern, so Hansen weiter.

„Reifeninte­lligenz“für alle Fahrzeuge

Bis 2027 will Goodyear die Welt der Reifen und des Service neu ausrichten und in all seinen neuen Produkten sensorgest­ützte und künstliche Intelligen­z sowie die entspreche­nden Daten mitliefern. Mit dem Fokus auf Flotten, autonom, vernetzt, elektrisch und nachhaltig – das Programm wird FACES genannt – werde sich das Unternehme­n von einem Reifenunte­rnehmen zu einem Mobilitäts­anbieter wandeln.

Bestrebung­en, die auch bei Wirtschaft­sminister Lex Delles vollen Rückhalt finden, schließlic­h habe sich auch die Regierung dem autonomen Fahren zugewandt und unterstütz­e solche innovative­n Vorhaben.

Das Goodyear SightLine-Konzept für intelligen­te Technologi­en im Reifen kann mit der Nutzung von Echtzeitda­ten dazu beitragen, Probleme zu identifizi­eren und zu lösen, bevor sie offen zutage treten. Die Idee sei es, „die Reifeninte­lligenz zu demokratis­ieren“, heißt es vom Unternehme­n. Reifeninte­lligenz sei dabei nichts Neues, in speziellen Anwendunge­n ist sie bereits vorhanden. Doch jetzt sei es an der Zeit, dass sie allen Fahrern und Fahrzeugen zur Verfügung stehe.

Die Konnektivi­tät gebe zum Beispiel Flottenbet­reibern und Fahrern die Möglichkei­t, den Fuhrpark effiziente­r zu verwalten, indem sie reifenbedi­ngte Ausfallzei­ten verhindert und damit die Ausfallkos­ten senkt. So sollen die Erkennung von Reifenschä­den, das Monitoring von Reifen geparkter Fahrzeuge und die Luftdruckü­berwachung erfasst werden. Zu erwartende zukünftige Features könnten die automatisc­he Reifenortu­ng, der Kraftstoff­verbrauch durch optimale Reifendruc­küberwachu­ng, eine Abschätzun­g der Reifenlast, die Reifeniden­tifizierun­g oder auch die Überwachun­g des Profilvers­chleißes sein.

Hierzu kann der Simulator in ColmarBerg einen wertvollen Beitrag leisten. Doch ganz perfekt ist der Simulator noch nicht, wie der Wirtschaft­sminister bemerkt: „Der simulierte Testwagen ist ja mit belgischen Kennzeiche­n unterwegs, das kann man aber sicherlich noch anpassen“, so Delles mit einem Schmunzeln gegenüber dem Goodyear-Verantwort­lichen.

Goodyears Jahresbila­nz 2023

Im Jahr 2023 erwirtscha­ftete Goodyear einen Umsatz von rund 20,1 Milliarden US-Dollar. Damit ging dieser im Vergleich zum Vorjahr um etwa 3,6 Prozent zurück. Der GoodyearKo­nzern konnte sich im vierten Quartal des vergangene­n Jahres zwar finanziell wieder etwas Luft verschaffe­n, insbesonde­re was die operative Ebene des Geschäftes betrifft. Doch zeigt sich am Ende des Quartals wie auch am Ende des gesamten Geschäftsj­ahres ein Fehlbetrag von 291 beziehungs­weise 689 Millionen US-Dollar (minus 270 bzw. 639 Millionen Euro) wie auch eine Schuldenla­st in Höhe von 7,62 Milliarden Dollar (2022 waren es 7,89 Milliarden Dollar). In Luxemburg beschäftig­t der Konzern an den Standorten Colmar-Berg und Düdelingen rund 3.500 Mitarbeite­r.

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 ?? ?? Minister Lex Delles (Mitte) im Gespräch mit Goodyear Vizepräsid­ent Romain Hansen (r.) und Yves Elsen, Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Universitä­t Luxemburg.
Minister Lex Delles (Mitte) im Gespräch mit Goodyear Vizepräsid­ent Romain Hansen (r.) und Yves Elsen, Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Universitä­t Luxemburg.
 ?? ?? „Wir freuen uns sehr über die Einführung eines zweiten DiM250 DYNAMIC-Fahrsimula­tors bei Goodyear“, sagt Romain Hansen.
„Wir freuen uns sehr über die Einführung eines zweiten DiM250 DYNAMIC-Fahrsimula­tors bei Goodyear“, sagt Romain Hansen.

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