Jean Portante und Marie Jung würdigen Paul Celan
Über die Herausforderungen des Übersetzens von Gedichten des geschundenen Lyrikers. Ein Gespräch mit dem Dichter Jean Portante
Diese schreckliche Nacht hat Paul Celan nie wieder verlassen. Herbst 1942. Die Nazis klopfen an die Tür seiner Eltern und führen sie in den Tod. Celan hat die Bedrohung gespürt, sich versteckt und ist den Henkern entkommen. Nicht aber seine Mutter und sein Vater. Beide verschlingt die Nacht. Paul Celan, der 1920 als Paul Antschel in Czernowitz in der Bukowina (damals rumänisch, heute ukrainisch) geboren wird und am 20. April 1970 in Paris den Freitod wählt, widerspricht Adorno, wonach Poesie nach Auschwitz unmöglich sei. Er baut eine, wie er es nennt, „Gegensprache“auf, um die von den Nazis beschmutzte deutsche Sprache weiterhin verwenden zu können. Nun hat der Luxemburger Poet Jean Portante 30 Gedichte von Paul Celan übersetzt und unter dem Titel „Rayons de nuit“veröffentlicht. Zusammen mit der Schauspielerin Marie Jung nähert er sich in einer zweisprachigen Lesung im Théâtre National du Luxemburg dem Werk von Paul Celan.
Jean Portante, Sie haben Gedichte von Paul Celan übersetzt. Was war Ihr Ansatz dabei?
Ich ging thematisch vor und wählte die Nacht als wiederkehrendes Thema aus Celans Gedichtbänden „Mohn und Gedächtnis“und „Von Schwelle zu Schwelle“. Beide Bände sind am nächsten dran an dem, was ich „la nuit initiatique“nenne. Es ist jene Nacht im Herbst 1942, in der Paul Celans Eltern deportiert wurden. Aus zwei Büchern habe ich 30 Gedichte ausgewählt, um das Thema der Nacht in Celans Dichtung zu erörtern. Das aber war keine „mince affaire“…
Muss man ein Poet sein, um Werke anderer Dichter zu übersetzen?
Man muss es nicht unbedingt. Viele Dichter haben immer wieder die Lyrik anderer übersetzt. Dichtung in einer Übersetzung muss immer noch Dichtung bleiben. Aber es gibt auch Übersetzer, die zu Poeten wurden, je mehr sie Gedichte übersetzt haben.
Zur Person
Jean Portante, geboren 1950 in Differdingen, wuchs als Sohn italienischer Eltern auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Esch/Alzette studierte er Romanistik in Nancy und war zunächst Sekundarschullehrer. 1983 ließ er sich als freier Schriftsteller in Paris nieder. Literarisch debütierte er in den frühen 1980er-Jahren als Lyriker. Der Band „Le Travail de la baleine“(2014) vereint seine Gedichte aus den Jahren 1983 bis 2013. Seit den späten 1980er-Jahren widmete er sich auch der Erzählprosa. Ein Schlüsseltext ist der autobiografisch geprägte Migrations-, Entwicklungsund Künstlerroman „Mrs Haroy ou la Mémoire de la baleine“(1993). (Quelle: Luxemburger Autorenlexikon).
Was macht das Übersetzen von Lyrik so kompliziert?
Paul Valéry sagte, „un poème est une hésitation entre le son et le sens“. Der Sinn eines Gedichtes lässt sich leicht übersetzen, nicht aber der Klang der Sprache. Darin liegt die große Herausforderung. Die Hälfte eines Gedichtes, wenn nicht sogar mehr, besteht aus Klang und Rhythmus. Es geht also darum, ein Gedicht in seiner Tiefe und in seinen Klangfarben zu analysieren, um es dann in die andere Sprache zu überführen.
Bei Paul Celan sind Sinn und Klang aber nicht so leicht voneinander zu trennen. Da wird eine Übersetzung keine „mince affaire“, wie Sie vorhin sagten …
Paul Celan wollte gegen und nicht mit der deutschen Sprache schreiben. Es ist die Sprache jener, die seine Eltern in den Tod geführt haben. Aber dennoch wählte er diese Sprache für seine Dichtung. Er zerstörte sie – und baute sie in seinen Gedichten neu auf.
Können Sie uns dafür einige Beispiele geben?
„Niemandsrose“. Dieses Wort existiert nicht, dafür aber „Niemandsland“. Im Deutschen sind solche Wortschöpfungen erlaubt, nicht aber im Französischen. Das wird dann zu „la rose de personne“. Da ist eine Metapher, nicht aber ein Neologismus, so wie ihn Celan wollte. Er mochte die Metapher nicht, er wollte vielmehr die Sprache neu prägen. Das war sein Anliegen. Ein anderes Beispiel dafür: Das Adjektiv „rostgeboren“kommt von „neugeboren“und „Rost“. In der französischen Sprache wird daraus „né de rouille“. Die Metapher lässt sich in der französischen Sprache vermitteln, nicht aber die darin enthaltene Zerstörung und der Neuaufbau der Sprache. Aber vielleicht brauche ich das ja auch gar nicht, da ich mich in meiner Übersetzung in der französischen Sprache ausdrücke. Ihr hat Paul Celan nichts vorzuwerfen. Also kann ich da diesen Kompromiss finden.
Auch wenn man die deutsche und die französische Sprache beherrscht, so ist das Übersetzen nicht einfach. Paul Celan schreibt kein Deutsch, er schreibt Celan. Jean Portante, Dichter
Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, Paul Celan zu übersetzen?
Im Gespräch mit dem Maler Marc Feld, dessen Gemälde auch im Buch enthalten sind. Er hatte sich mit den Gedichten von Paul Celan malerisch beschäftigt; und gemeinsam hatten wir dann die Idee, aus seinen Bildern und meiner Übersetzung ein Buch zu machen. Wir haben uns an die Nachkommen von Paul Celan gerichtet, an seinen Sohn Eric Celan. Einen ganzen Gedichtband zu übersetzen, wäre für uns finanziell ein Ding der Unmöglichkeit gewesen – hauptsächlich wegen der Autorenrechte, die beim Suhrkamp-Verlag liegen. Nur eine Teilübersetzung war für uns tragbar, und so kam es zu einem thematischen Ansatz. Wir entschieden uns für das Thema der Nacht. Mein Verleger, Le Castor Astral, hat das Ganze mitgetragen und daraufhin begann meine Arbeit parallel zu der des Malers.
Wie gingen Sie vor?
Im Schnitt habe ich eine Woche an jedem der einzelnen Gedichte gearbeitet. Ich musste sie auf mich einwirken lassen, lange überlegen, einiges auch verwerfen und wieder neu anfangen. Auch wenn man die deutsche und die französische Sprache beherrscht, so ist das nicht einfach. Paul Celan schreibt kein Deutsch, er schreibt Celan.
Haben Sie nicht manchmal etwas Hilfe bei anderen Übersetzungen von Paul Celan gesucht, die in weiteren Sprachen vorliegen?
Nein. Ich hatte mir den Zwang auferlegt, nicht in das Schaffen anderer hineinzublicken. Da gibt es bestimmt ganz bemerkenswerte Übersetzungen, wie die ins Englische des Luxemburgers Pierre