Schmerzhafte Erfahrungen machten Joëlle Letsch zur Kämpferin
Die ehemalige Präsidentin des nationalen Frauenrats hat in ihrer Kindheit Diskriminierung erlebt. Seit einigen Jahrzehnten engagiert sie sich für die Gleichberechtigung im Sport
Ihr Großvater war zweimaliger Tour-deFrance-Sieger, ihr Vater ein erfolgreicher Fußballer. Joëlle Letsch hat ihre Liebe zum Sport auch ihrer Familie zu verdanken. Als Kind fuhr sie sehr gut Ski, sie war im Leichtathletikverein, spielte Tennis und Fußball. Obwohl die besten Athleten in der Familie Männer waren, war es für Letsch von klein auf selbstverständlich, dass sich auch Mädchen und Frauen im Sport verwirklichen.
„Ich wurde immer wieder ermutigt, alles auszuprobieren“, sagt sie über ihre Jugend. Diese Offenheit hat sie geprägt. Auch die Fairness, die bei ihr zu Hause ein wichtiges Thema war. Und so war für Letsch immer klar, dass sie Ungerechtigkeiten nicht akzeptieren würde. Seit vielen Jahren setzt sie sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein, auch im Sport. Letsch hat sich einen Namen als Expertin für Chancengleichheit der Geschlechter gemacht. In der Sportwelt hat die heute 63Jährige dabei einiges in Bewegung gebracht.
Letschs Großvater war Nicolas Frantz, einer der erfolgreichsten Radsportler Luxemburgs. Er hatte 1927 und 1928 die Tour de France gewonnen. Sein Schwiegersohn Léon Letsch, Joëlles Vater, war mehrfacher Luxemburger Fußballmeister und - Pokalsieger. Als Nationalspieler gehörte er 1952 zur Olympia-Mannschaft, die England besiegte.
Die beiden und die anderen Familienmitglieder unterstützten die Enkelin und Tochter bei all ihren Aktivitäten. Dass irgendeine Sportart für Mädchen vielleicht nicht „geeignet“sein könnte, bekam Letsch nie zu hören, was damals eher ungewöhnlich war. Die Familie betrieb ein Sportgeschäft.
Diskriminierung erlebte sie trotzdem, wenn auch in einem anderen Umfeld. Letsch erzählt von einer Erfahrung als Sechsjährige, die bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen hat: „Auch in unserem Dorf war es Tradition, dass die Kinder vor dem Osterfest Klibbern gehen. Ich habe mich natürlich in die Reihe gestellt, als einziges Mädchen. Und dann durfte ich nicht mitgehen. Es war das erste Mal, dass ich wegen meines Geschlechts ausgeschlossen wurde.“
Ungerechtigkeit nimmt sie nicht hin. „Ich glaube an eine egalitäre Gesellschaft, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, in der sich alle mit ihren Kompetenzen einbringen können“, betont sie. Ihre Überzeugungen setzt sie auch beruflich um. Die studierte Arbeitspsychologin ist Co-Chefin einer Firma für Personalentwicklung und Coaching (ADT-Center). Letsch engagiert sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte, unter anderem im Nationalen Frauenrat (Conseil national des Femmes du Luxembourg), im Verband der Unternehmerinnen (Fédération des Femmes Cheffes d‘Entreprises du Luxembourg) und bei „Femmes pionnières du Luxembourg“.
Frauensport soll größere Bühne bekommen
2012, als sie Präsidentin des Frauenrats war, ging sie konkrete Projekte speziell im Sport an. Zusammen mit dem Journalisten Pierre Gricius, der dazu ein Buch schrieb, wurde die Geschichte des hiesigen Frauensports aufgearbeitet. Erstmals wurden die Leistungen der Luxemburgerinnen bei Olympischen Spielen in einer Ausstellung dokumentiert. Ein Kalender, in dem nationale Sportlerinnen vorgestellt wurden, sorgte ebenfalls für mehr Sichtbarkeit von Athletinnen.
Dass Sportlerinnen in der Öffentlichkeit weniger sichtbar als männliche Athleten waren und sind, hat sie schon als Jugendliche geärgert, beispielsweise, wenn Medien über Leistungen von Männern viel ausführlicher berichteten als über jene von
Frauen. Das Thema, bei dem es noch viel Luft nach oben gibt, ist ihr sehr wichtig: „Sichtbarkeit erhöht die Attraktivität der Sportart und ihren wirtschaftlichen Wert. Wenn Frauen sichtbarer und bekannter werden, dann kommen auch die Sponsoren.“Dass Frauenförderung im Sport noch immer nötig ist, zeigen allein drei Zahlen: Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 sind nur 27 Prozent der bei Luxemburger Verbänden lizenzierten Aktiven weiblich, unter den Mitgliedern der Verwaltungsräte sind es 21 Prozent, unter den Präsidenten sogar nur neun.
Es gibt aber Fortschritte. Zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der Stadt Esch. Gemeinsam stellten Letsch und ihre Mitstreiterinnen Norma Zambon und Nicole Jemming das Projekt „Tou.t.es ensemble vers l’égalité femmes-hommes dans le sport“auf die Beine. Unter anderem machten sie mit öffentlichen Diskussionsrunden auf die Problematik aufmerksam. „Das Thema wurde in die Gesellschaft getragen“, so Letsch. Die Beteiligten arbeiteten eine Charta mit Richtlinien zur Gleichberechtigung aus, an der sich Vereine und Verbände orientieren können. Das tun immer mehr.
Kleine Schritte führen zum großen Ziel
Positiv überrascht hat sie das Echo auf die Initiative zum Internationalen Tag des Frauensports am 24. Januar 2024. Elf Gemeinden machten mit und feierten diesen Tag mit speziellen Aktionen und Sportangeboten. „Da bewegt sich etwas“, sagt Letsch.
Dafür brauchte sie aber Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit. Früher sei ihr Engagement als Feministin auch belächelt worden, berichtet sie. Von Widerständen oder dummen Kommentaren ließ sie sich nie aufhalten. „Ich habe einen langen
Atem“, betont sie. Manchmal sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die ihr Zuversicht geben. Als Beispiel berichtet sie vom Pokal, welcher der siegreichen Frauenmannschaft bei der alljährlichen Coupe des Dames in der Leichtathletik überreicht wird. Er wurde letztes Jahr angepasst, da er vorher immer deutlich kleiner war als derjenige der Männer. Eine symbolische, aber wirksame Aktion, findet Letsch.
„Es ist nicht immer der große Quantensprung“, sagt sie. „Ich bin eher für die Politik der kleinen Schritte. Aber die sollte man gehen, und zwar immer nach vorne. Wir lassen nicht nach.“
Ich glaube an eine egalitäre Gesellschaft, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, in der sich alle mit ihren Kompetenzen einbringen können. Joëlle Letsch