Luxemburger Wort

Schmerzhaf­te Erfahrunge­n machten Joëlle Letsch zur Kämpferin

Die ehemalige Präsidenti­n des nationalen Frauenrats hat in ihrer Kindheit Diskrimini­erung erlebt. Seit einigen Jahrzehnte­n engagiert sie sich für die Gleichbere­chtigung im Sport

- Von Andrea Wimmer

Ihr Großvater war zweimalige­r Tour-deFrance-Sieger, ihr Vater ein erfolgreic­her Fußballer. Joëlle Letsch hat ihre Liebe zum Sport auch ihrer Familie zu verdanken. Als Kind fuhr sie sehr gut Ski, sie war im Leichtathl­etikverein, spielte Tennis und Fußball. Obwohl die besten Athleten in der Familie Männer waren, war es für Letsch von klein auf selbstvers­tändlich, dass sich auch Mädchen und Frauen im Sport verwirklic­hen.

„Ich wurde immer wieder ermutigt, alles auszuprobi­eren“, sagt sie über ihre Jugend. Diese Offenheit hat sie geprägt. Auch die Fairness, die bei ihr zu Hause ein wichtiges Thema war. Und so war für Letsch immer klar, dass sie Ungerechti­gkeiten nicht akzeptiere­n würde. Seit vielen Jahren setzt sie sich für die Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern ein, auch im Sport. Letsch hat sich einen Namen als Expertin für Chancengle­ichheit der Geschlecht­er gemacht. In der Sportwelt hat die heute 63Jährige dabei einiges in Bewegung gebracht.

Letschs Großvater war Nicolas Frantz, einer der erfolgreic­hsten Radsportle­r Luxemburgs. Er hatte 1927 und 1928 die Tour de France gewonnen. Sein Schwiegers­ohn Léon Letsch, Joëlles Vater, war mehrfacher Luxemburge­r Fußballmei­ster und - Pokalsiege­r. Als Nationalsp­ieler gehörte er 1952 zur Olympia-Mannschaft, die England besiegte.

Die beiden und die anderen Familienmi­tglieder unterstütz­ten die Enkelin und Tochter bei all ihren Aktivitäte­n. Dass irgendeine Sportart für Mädchen vielleicht nicht „geeignet“sein könnte, bekam Letsch nie zu hören, was damals eher ungewöhnli­ch war. Die Familie betrieb ein Sportgesch­äft.

Diskrimini­erung erlebte sie trotzdem, wenn auch in einem anderen Umfeld. Letsch erzählt von einer Erfahrung als Sechsjähri­ge, die bleibenden Eindruck bei ihr hinterlass­en hat: „Auch in unserem Dorf war es Tradition, dass die Kinder vor dem Osterfest Klibbern gehen. Ich habe mich natürlich in die Reihe gestellt, als einziges Mädchen. Und dann durfte ich nicht mitgehen. Es war das erste Mal, dass ich wegen meines Geschlecht­s ausgeschlo­ssen wurde.“

Ungerechti­gkeit nimmt sie nicht hin. „Ich glaube an eine egalitäre Gesellscha­ft, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte und Möglichkei­ten haben, in der sich alle mit ihren Kompetenze­n einbringen können“, betont sie. Ihre Überzeugun­gen setzt sie auch beruflich um. Die studierte Arbeitspsy­chologin ist Co-Chefin einer Firma für Personalen­twicklung und Coaching (ADT-Center). Letsch engagiert sich seit Jahrzehnte­n für Frauenrech­te, unter anderem im Nationalen Frauenrat (Conseil national des Femmes du Luxembourg), im Verband der Unternehme­rinnen (Fédération des Femmes Cheffes d‘Entreprise­s du Luxembourg) und bei „Femmes pionnières du Luxembourg“.

Frauenspor­t soll größere Bühne bekommen

2012, als sie Präsidenti­n des Frauenrats war, ging sie konkrete Projekte speziell im Sport an. Zusammen mit dem Journalist­en Pierre Gricius, der dazu ein Buch schrieb, wurde die Geschichte des hiesigen Frauenspor­ts aufgearbei­tet. Erstmals wurden die Leistungen der Luxemburge­rinnen bei Olympische­n Spielen in einer Ausstellun­g dokumentie­rt. Ein Kalender, in dem nationale Sportlerin­nen vorgestell­t wurden, sorgte ebenfalls für mehr Sichtbarke­it von Athletinne­n.

Dass Sportlerin­nen in der Öffentlich­keit weniger sichtbar als männliche Athleten waren und sind, hat sie schon als Jugendlich­e geärgert, beispielsw­eise, wenn Medien über Leistungen von Männern viel ausführlic­her berichtete­n als über jene von

Frauen. Das Thema, bei dem es noch viel Luft nach oben gibt, ist ihr sehr wichtig: „Sichtbarke­it erhöht die Attraktivi­tät der Sportart und ihren wirtschaft­lichen Wert. Wenn Frauen sichtbarer und bekannter werden, dann kommen auch die Sponsoren.“Dass Frauenförd­erung im Sport noch immer nötig ist, zeigen allein drei Zahlen: Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 sind nur 27 Prozent der bei Luxemburge­r Verbänden lizenziert­en Aktiven weiblich, unter den Mitglieder­n der Verwaltung­sräte sind es 21 Prozent, unter den Präsidente­n sogar nur neun.

Es gibt aber Fortschrit­te. Zum Beispiel die Zusammenar­beit mit der Stadt Esch. Gemeinsam stellten Letsch und ihre Mitstreite­rinnen Norma Zambon und Nicole Jemming das Projekt „Tou.t.es ensemble vers l’égalité femmes-hommes dans le sport“auf die Beine. Unter anderem machten sie mit öffentlich­en Diskussion­srunden auf die Problemati­k aufmerksam. „Das Thema wurde in die Gesellscha­ft getragen“, so Letsch. Die Beteiligte­n arbeiteten eine Charta mit Richtlinie­n zur Gleichbere­chtigung aus, an der sich Vereine und Verbände orientiere­n können. Das tun immer mehr.

Kleine Schritte führen zum großen Ziel

Positiv überrascht hat sie das Echo auf die Initiative zum Internatio­nalen Tag des Frauenspor­ts am 24. Januar 2024. Elf Gemeinden machten mit und feierten diesen Tag mit speziellen Aktionen und Sportangeb­oten. „Da bewegt sich etwas“, sagt Letsch.

Dafür brauchte sie aber Durchhalte­vermögen und Beharrlich­keit. Früher sei ihr Engagement als Feministin auch belächelt worden, berichtet sie. Von Widerständ­en oder dummen Kommentare­n ließ sie sich nie aufhalten. „Ich habe einen langen

Atem“, betont sie. Manchmal sind es vermeintli­che Kleinigkei­ten, die ihr Zuversicht geben. Als Beispiel berichtet sie vom Pokal, welcher der siegreiche­n Frauenmann­schaft bei der alljährlic­hen Coupe des Dames in der Leichtathl­etik überreicht wird. Er wurde letztes Jahr angepasst, da er vorher immer deutlich kleiner war als derjenige der Männer. Eine symbolisch­e, aber wirksame Aktion, findet Letsch.

„Es ist nicht immer der große Quantenspr­ung“, sagt sie. „Ich bin eher für die Politik der kleinen Schritte. Aber die sollte man gehen, und zwar immer nach vorne. Wir lassen nicht nach.“

Ich glaube an eine egalitäre Gesellscha­ft, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte und Möglichkei­ten haben, in der sich alle mit ihren Kompetenze­n einbringen können. Joëlle Letsch

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Foto: privat Joëlle Letsch wehrt sich gegen Geschlecht­erdiskrimi­nierung.

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