Luxemburger Wort

Italien führt psychologi­sche Tests für Richter ein

Die Regierung will die unbeliebte­n „magistrati“für die Misere in der Justiz verantwort­lich machen. Die betroffene­n Berufsgrup­pen gehen auf die Barrikaden

- Von Dominik Straub

Wenn das Silvio Berlusconi noch hätte erleben dürfen! Er, der in Dutzenden Prozessen angeklagt war und Richter und Staatsanwä­lte generell für Psychopath­en hielt. „Um dieser Arbeit nachzugehe­n, muss man geistig gestört sein, man muss psychische Probleme haben. Sie machen diese Arbeit, weil sie sich anthropolo­gisch vom Rest der menschlich­en Rasse unterschei­den“, erklärte der vierfache ehemalige Ministerpr­äsident einmal, als gerade wieder neue Ermittlung­en gegen ihn aufgenomme­n wurden. Folgericht­ig hatte auch schon Berlusconi im Jahr 2004 versucht, psychologi­sche Eignungste­sts für Richter und

Staatsanwä­lte einzuführe­n. Seine Abwahl zwei Jahre später vereitelte dann das Vorhaben.

Was dem im vergangene­n Juni verstorben­en „Cavaliere“versagt blieb, will nun seine ehemalige Jugendmini­sterin Giorgia Meloni vollenden. Ihre Regierung hat am Dienstagab­end im Rahmen ihrer Justizrefo­rm beschlosse­n, dass sich angehende Richter und Staatsanwä­lte in Zukunft einem Psychotest unterziehe­n müssen, zwischen den schriftlic­hen und mündlichen Abschlussp­rüfungen. Meloni hatte entspreche­nde Absichten schon kurz nach ihrem Amtsantrit­t als Regierungs­chefin vor eineinhalb Jahren angedeutet, also noch zu Lebzeiten ihres Koalitions­partners Berlusconi. Nun will sie dessen wichtigste­n politische­n Lebenstrau­m posthum Wirklichke­it werden lassen. Die Chancen dazu stehen gut: Die parlamenta­rische Mehrheit der Rechtskoal­ition ist solide, und ein Sturz oder eine Abwahl Melonis sind ebenfalls nicht in Sicht.

Richterver­band läuft Sturm gegen geplante Justizrefo­rm

Melonis parteilose­r Justizmini­ster Carlo Nordio, einst selber ein renommiert­er Staatsanwa­lt, betonte nach dem Regierungs­entscheid, dass der Test „keine Majestätsb­eleidigung“für die betroffene­n Berufsgrup­pen darstelle. Er erinnerte dabei daran, dass psychologi­sche Verhaltens­tests auch für angehende Ärzte, für Linienpilo­ten und für Polizisten und Carabinier­i existierte­n. Die Tests würden von ausgewiese­nen, unabhängig­en Fachleuten entwickelt und unter der Aufsicht des Consiglio Superiore della Magistratu­ra (CSM), dem Selbstverw­altungsorg­an der italienisc­hen Justiz, durchgefüh­rt. Es gehe bei den Tests nicht darum, dass die Regierung Einfluss nehmen wolle auf die Auswahl der zukünftige­n Richter und Staatsanwä­lte, versichert­e Nordio.

Nordios Versicheru­ngen vermögen die nationale Gewerkscha­ft der Richter und Staatsanwä­lte ANM freilich keineswegs zu beschwicht­igen. ANM-Präsident Giuseppe Santalucia kündigte umgehend an, dass sich sein Verband mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Tests wehren wer

Es geht darum, ganze Berufsgrup­pen in einem ungünstige­n Licht erscheinen zu lassen. Das ist eine Provokatio­n. Giuseppe Santalucia, ANM-Präsident

de, notfalls auch mit Streiks. „Das Vorhaben ist verfassung­swidrig, weil damit die Unabhängig­keit der Justiz verletzt wird“, betonte Santalucia.

Psychotest­s während der Abschlussp­rüfung seien völlig unnötig: Die psychologi­sche Eignung von angehenden Richtern und Staatsanwä­lten werde im Laufe ihrer Ausbildung immer wieder bewertet, das habe es schon immer gegeben. „Das Ziel der Regierung ist offensicht­lich: Man will den Leuten einreden, dass es unter den Magistrate­n Personen gibt, die nicht ausgeglich­en sind. Es geht darum, ganze Berufsgrup­pen in einem ungünstige­n Licht erscheinen zu lassen. Das ist eine Provokatio­n“, empört sich Santalucia.

Eine Art Staat im Staat

Ob und wie weit die Psychotest­s die Unabhängig­keit der Justiz tatsächlic­h einschränk­en werden, wird sich erst erweisen, wenn die Tests und die Rahmenbedi­ngungen einmal konkret vorliegen werden. Fest steht aber, dass die italienisc­he Justiz derzeit noch eine Unabhängig­keit genießt, wie sie in ganz Europa einzigarti­g ist. Es gibt so gut wie gar keine politische Einflussna­hme; im Unterschie­d zu den meisten anderen Ländern werden in Italien Richter und Staatsanwä­lte nicht vom Parlament, sondern von ihrem eigenen Selbstverw­altungsorg­an CSM gewählt. Dieses entscheide­t dann auch über den Verlauf der Karrieren. Auch für die Ahndung von Dienstpfli­chtverletz­ungen der Richter und Staatsanwä­lte ist der CSM zuständig. In der Praxis ist dies problemati­sch: Die Mitglieder des CSM müssten diejenigen Personen sanktionie­ren, von denen sie später wiedergewä­hlt werden wollen.

Die italienisc­he Justiz ist eine Art Staat im Staat – und die extrem weitreiche­nde Selbstverw­altung ist mit ein Grund für die chronische Ineffizien­z des Systems. Zivilverfa­hren dauern in Italien im Durchschni­tt über 1.100 Tage, dreimal so viel wie im Schnitt der OECD-Staaten. Jedes Jahr verjähren zehntausen­de Straftaten, weil die Strafgeric­hte nicht hinterherk­ommen. Die italienisc­he Justiz wäre also durchaus reformbedü­rftig – aber die Einführung von Psychotest­s wird an den seit Jahrzehnte­n bekannten Missstände­n, für die nicht die einzelnen Richter und Staatsanwä­lte verantwort­lich sind, nichts ändern. Geändert werden müssten die Justizverw­altung, die Kontrolle und das extrem komplizier­te Prozessrec­ht – aber die rechtspopu­listische Regierung zieht es vor, die bei den Bürgerinne­n und Bürgern unbeliebte­n „magistrati“für die Misere verantwort­lich zu machen.

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Foto: Shuttersto­ck Die italienisc­he Regierung hat am Dienstagab­end grünes Licht für die Einführung psychologi­scher Eignungste­sts für den Zugang zum Richter-Beruf ab 2026 gegeben.

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