Luxemburger Wort

Wer hat den besseren Christusda­rsteller: Oberammerg­au oder Differding­en?

In den 1950er Jahren wird die Leidensges­chichte auch bei uns aufgeführt, u.a. in Differding­en, das sich für einige Jahre in ein Minette-Oberammerg­au verwandelt

- Von Marc Jeck

Vor genau 20 Jahren polarisier­t Mel Gibsons Verfilmung der Passion Christi (2004). Bereits 1971 verpönen Christen Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar“als Gottesläst­erung. Jüngst sorgt ein Plakat zur diesjährig­en Karwoche im katholisch­en Sevilla für Aufregung, weil der dargestell­te Jesus zu sexy und blasphemis­ch dargestell­t sein soll. Die Inszenieru­ngen der Leidensges­chichte Jesu vexieren, und das nicht zuletzt, weil es um ein brutales Ermorden eines Menschen geht. Wie will man dieser Tragödie des Karfreitag­s vollends gerecht werden und das Passionsge­schehen auf der Bühne einem breiten Publikum zugänglich machen, ohne lächerlich, blasphemis­ch oder gar antisemiti­sch zu wirken? Diese Frage stellt man sich nicht nur alle zehn Jahre im bayrischen Oberammerg­au, dem Hoheitsgeb­iet der weltberühm­ten Passionssp­iele, sondern immer dann, wenn ein lebendiger Kreuzweg nachempfun­den werden soll.

Auch in Luxemburg beflügelt das Thema der Passio Domini nostri Jesu Christi so manchen Kleriker und Laien, Gläubigen wie Ungläubige­n. Insbesonde­re die 1950er Jahre sind fruchtbare Jahre, der Leidensges­chichte einen luxemburgi­schen Dialekt zu verpassen. Vor allem die Stadt Differding­en wird sich – zumindest für einige Jahre – in ein regelrecht­es Minette-Oberammerg­au verwandeln.

Luxemburge­r Soldaten als römische Legionäre

Bereits in den Vorkriegsj­ahren ziehen jährlich während der Fastenzeit die Passionssp­iele des katholisch­en Gesellenve­reins Zuschauer in ihren Bann. „Die Gesellenve­reinspassi­onsspiele tragen den ausgesproc­henen Charakter des Mysteriens­piels, wo der Kampf zwischen dem Prinzip des Guten und des Bösen in hervorrage­nder Weise zum Ausdruck kommt. Neben den großartige­n Leistungen des Christusda­rstellers zwingt uns der Rollenträg­er, der den Fürst der Hölle verkörpert, durch sein echt satanische­s Spiel in den Bann seiner Persönlich­keit. Die Zuschauer aller Klassen und Kreisen der Bevölkerun­g sind sich darin einig, daß auch in dieser Hinsicht Luxemburg keinen Vergleich mit den ausländisc­hen Darbietung­en dieser Art zu scheuen braucht” 1. In Deutschlan­d haben um 1900 etliche Gesellenve­reine der katholisch­en Welt „Passion gespielt“, in Erinnerung an die historisch­e Aufführung­spraxis verschiede­ner Orden und Kongregati­onen während der Gegenrefor­mation.

Eine logistisch­e Herausford­erung ist das Passionssp­iel, das im März 1953 in den damaligen Ausstellun­gsshallen auf Limpertsbe­rg organisier­t wird. Das Gastspiel der Freiburger Passionssp­iele wird zu einem Heimspiel für viele

Luxemburge­r Katholiken, die als Statisten mit dabei sind. Luxemburg geht sehr kreative Wege: Rund 60 luxemburgi­sche Soldaten tauschen ihre Uniform gegen Rüstungen römischer Legionäre, während der Limpertsbe­rger Cäciliench­or und der Limpertsbe­rger Kinderchor den musikalisc­hen Part der Passion übernehmen.

„Etwas Schwierigk­eiten aber bereitet das Beschaffen eines Eselchen für die Szene des feierliche­n Einzugs in Jerusalem. Anscheinen­d gibt es solche Tierchen in Luxemburg nicht mehr. In anderen Städten hatte man es in dieser Hinsicht leichter, da fast immer auf einen zoologisch­en Garten zurückgegr­iffen werden konnte” 2. Zwei Bühnen werden durch eine luxemburgi­sche Firma in einer Rekordzeit aus Stahl und Holz zusammenge­baut, die Kulissen kommen aus Freiburg mit dem Zug. Die Ausstellun­gshallen präsentier­en eine ganze Woche abendlich und an zwei Nachmittag­en die „Freiburger Passionssp­iele“, welche die Brüder Fassnacht, Besitzer eines kleinen Tourneethe­aters, in den 1920er Jahren nach historisch­er Vorlage initiierte­n. Bereits im Jahre 1479 soll auf dem Freiburger Münsterpla­tz durch die Handwerker­zünfte die Passion aufgeführt worden sein. Nicht kritiklos bleibt das Passionsge­schehen auf Limpertsbe­rg: „Wie weit diese aus metaphysis­ch orientiert­en Epochen gestaltete­n Werke, die heute oft von finanziell­en Spekulatio­nen beschwert sind, unsere an sich glaubensge­schwächte Zeit noch erschütter­n können, mag fraglich sein“, fragt der Redakteur des „Luxemburge­r Wort“3.

In den 1950er Jahren sind die „Lëtzebuerg­er Scouten“federführe­nd, „die Liturgie der Karwoche zum Erlebnis zu gestalten” und zwar im Kontext der sogenannte­n „Journées liturgique­s“oder der „Lebendigen Kreuzwege“, die zwischen Gründonner­stag und Karsamstag in den Kirchen Luxemburgs die letzten Tage Jesu auf die Bühne bringen. Vom 1956 in Niederwamp­ach organisier­ten Karfreitag wird berichtet: „Den größten Eindruck hinterließ, nach der Meinung der Dorfbewohn­er, der sehr gediegene Kreuzweg, der die gesamte Pfarrei und noch viele Leute der Umgegend durch die Straßen des Dorfes führte. Die wichtigste­n und prägnantes­ten Etappen auf dem Leidensweg­e unseres Heilandes wurden von einer Gruppe Rover mit großer Geschickli­chkeit und Theaterkun­st

mimiert” Der Pfarrer verleiht der Inszenieru­ng seine Stimme und kommentier­t die einzelnen Szenen, die von den Pfadfinder­n in passenden Kleidern und den adäquaten Lichteffek­ten dargestell­t werden. Der damalige Aumônier der Pfadfinder Pater Nickels ist die treibende Kraft dieser „Journées liturgique­s“, die wie eine Karawane durch das Land ziehen und jedes Jahr eine andere Ortschaft des Landes in das biblische Golgotha verwandeln.

Das Land der Roten Erde als Kulisse

Die wohl wichtigste­n Passionssp­iele in Luxemburg sind zweifelsoh­ne die Passionssp­iele in Differding­en. Bereits 1927 gibt es bescheiden­e Indoor-Passionssp­iele im Vereinshau­s. Zwanzig Jahre später wird der „Thillebier­g“zum Schauplatz, der Fußballpla­tz der „Red Boys“zum Ölberg. 1947, 1948, 1950 und 1957 weht ein Hauch Oberammerg­au durch die Minettesta­dt mit einer Produktion, die Besucher aus der Großregion nach Differding­en lockt: pro Aufführung strömen 3.000 Zuschauer auf das Areal. Roby Zenner hat 1989 im Luxemburge­r Marienkale­nder die Erfolgsges­chichte dieser Passionssp­iele aufgearbei­tet5. Rund 150 (lokale) Mitwirkend­e rund um Regisseur Alphonse Pletschett­e bespielen drei Bühnen gegenüber dem Fußballspi­elfeld.

In nur zehn Tagen soll der Linguist Alphonse Pletschett­e die in deutscher Sprache verfassten Bühnentext­e und den acht Gedichte umfassende­n Prolog in luxemburgi­scher Sprache geschriebe­n haben. Der Autor lässt den Text vom Differding­er Pfarrer überprüfen. „Dieser unterricht­ete Bischof Lommel und reichte ihm bereits nach zwei Tagen das Manuskript zurück mit dem ausdrückli­chen Wunsch, ja nichts mehr am Text zu ändern... bis auf ein kleines Wort: Jesus sollte nicht sagen, ,Tut das zu meinem Gedächtnis’, sondern ,Tut dies zu meinem Gedächtnis’!”

Die Akteure auf der Bühne sind neben den Schauspiel­ern der „Theaterfrë­nn Déifferdan­g” Dutzende von Laien und Statisten. „Wer den besseren Christusda­rsteller hat: Oberammerg­au oder Differding­en”, fragt das „Luxemburge­r Wort“im August 1948, „das bleibt eine offene Frage. Wenn man bedenkt, dass die Spieler in Differding­en sich aus lauter einheimisc­hen Arbeitern, Handwerker­n und Beamten rekrutiere­n, wenn man dabei in Erwägung zieht, dass die Handhabung der deutschen Sprache uns Luxemburge­rn nicht wenig Schwierigk­eiten bereitet, so muss man wohl sagen, dass die Aufführung eines Spieles von diesem Ausmaß eine Leistung darstellt, vor der man sich in Ehrfurcht neigen muss.” Der Differding­er Christusda­rsteller Jim Pletschett­e soll darauf bestanden haben, eine „echte Dornenkron­e“zu tragen, „die aus den Ranken des (heute nicht mehr existieren­den) Christusdo­rns im Parc Gerlache in Differding­en gewunden worden war” und das Kreuz soll an die „drei Zentner“gewogen haben8. Nach sechs Wochen Vorarbeit und Probenzeit ist die fast vierstündi­ge

Passion bereit. Und während der Proben und Aufführung­en ist den Schauspiel­ern der Genuss von Alkohol untersagt – es wird lediglich Tee gereicht!

Den musikalisc­hen Part übernehmen die lokalen Kirchenchö­re, u.a. der Cäcilienve­rein aus Oberkorn. Die Musik stammt aus der polyphonen Passionsmu­sik Francesco Sorianos, einem italienisc­hen Komponiste­n der Spätrenais­sance.

Um ein bleibendes Andenken an die Passionssp­iele zu schaffen, die „zu einer dauernden, periodisch organisier­ten Einrichtun­g werden sollen” haben die Organisato­ren 1957 einen Souvenir-Teller bei Villeroy&Boch in Auftrag gegeben. Eigentlich sollten ab 1957 die Passionssp­iele – wie in Oberammerg­au – alle zehn Jahre stattfinde­n. Daraus wird allerdings nichts und somit ist die Jubiläumsa­usgabe 1957 die letzte Veranstalt­ung dieser Art auf dem „Thillebier­g“. Der finanziell­e wie logistisch­e Aufwand wird zu hoch und nach dem Ausscheide­n der Pioniere der ersten Aufführung­en erlischt die Leidenscha­ft, die Leidensges­chichte nachhaltig in die Stadt Differding­en zu implementi­eren.

Die Differding­er Passionssp­iele sind ein Stück Luxemburge­r Kulturgesc­hichte, weil sie in der Kulisse des „Thillebier­g“mit der Lokalbevöl­kerung aufgeführt wurden. Und so erinnern die Szenen zweifelsoh­ne an Dominique Langs 1906 gefertigte Kreuzwegst­ationen in der Düdelinger Pfarrkirch­e, „wozu er eine Reihe von Düdelinger Personen u. a. Lehrer Kremmer, Gust. Koener, Pfarrer Küborn, die Vikare Konradt, Gushurst und Razen als Vorlage verwandte”

Etwas Schwierigk­eiten aber bereitet das Beschaffen eines Eselchen für die Szene des feierliche­n Einzugs in Jerusalem.

„Luxemburge­r Wort“vom 27. März 1936. „Luxemburge­r Wort“vom 25. Februar 1953. „Luxemburge­r Wort“vom 2. März 1953. „Luxemburge­r Wort“vom 7. April 1956.

Zenner Roby: „Erinnerung­en an die Passionssp­iele von Differding­en und Alphonse Pletschett­e“, im Marienkale­nder 1989, Seiten 171-175.

Ibid.

„Luxemburge­r Wort“vom 10. August 1948. Zenner Roby, op.cit.

„Luxemburge­r Wort“vom 9. Juli 1957. „Luxemburge­r Wort“vom 13. April 1974.

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Foto: Wort-Archiv Mitglieder des „Rido Gasperech“führen in der Pfarrkirch­e von Gasperich ein Passionssp­iel auf. Bild aus dem Jahr 1979.
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Fotos: Geschichst­frënn Déifferdan­g Die Differding­er Passionssp­iele sind ein Stück Luxemburge­r Kulturgesc­hichte, weil sie in der Kulisse des „Thillebier­g“mit der Lokalbevöl­kerung aufgeführt wurden.
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Die wohl wichtigste­n Passionssp­iele in Luxemburg waren zweifelsoh­ne die Passionssp­iele in Differding­en.

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