Der Friedensforscher
Der berühmte Wissenschaftler Johan Galtung gewährt den Literaturfreunden Einblick in die Vermittlung von Konflikten
Gabriela Sonnenberg
nicht leichtfertigen, sondern tiefgründigen und fundierten Antworten, ermutigt er alle, sich nicht zu scheuen und an fest eingefrorenen Meinungen, die meistens durch Einwirkung der Medien subtil gelenkt werden, zu rütteln. So kommt es, dass man zuweilen das Gefühl hat, jeder seiner Sätze sei mehrschichtig aufgebaut.
Wie die Zukunft aussieht
Wie sieht denn die künftige Welt in den Augen eines dermaßen gut informierten und erfahrenen Wissenschaftlers aus? Natürlich, stets in Bewegung und erstaunlich positiv, trotz besorgniserregender Ereignisse, die uns allen momentan ziemlich viel Kopfzerbrechen bereiten. „Das sind Störfaktoren“, meint er, „Sand im Getriebe eines Prozesses, der die Geschicke des Planeten auf lange Sicht unfehlbar in die richtigen Bahnen lenkt, egal ob es uns gefällt oder nicht.“
Natürlich stellte ihm das Publi- kum jede Menge konkrete Fragen, einige davon fast rührend, denn man kann schließlich von niemandem erwarten, mit hundertprozentiger Sicherheit die Zukunft der Kanzlerin, den Bestand der EU oder das Verfallsdatum der USA zu nennen. Jedoch sind viele wichtige Eckdaten über die langfristigen Überlebenschancen der Demokratie nach westlichem Muster, die Flüchtlingswelle, oder wie sehr man den Gerüchten über den Untergang der nordamerikanischen Weltmacht glauben sollte, bekannt
So sagte Galtung, dass die Lebensqualität der Nordamerikaner seit den neunziger Jahren rasant abgenommen hätte; US-Amerikaner lebten im Durchschnitt fünf bis sechs Jahre weniger als früher. Dies wertet er als Zeichen für die schwindende Lebensqualität und zunehmende Abhängigkeit des Volkes vom Staat, einen Zustand, der unweigerlich eine große Krise eines jeden Imperiums ankündige.
„Ich liebe die amerikanische Republik, aber ich hasse das amerikanische Imperium“, ist ein bekannter Satz von Johan Galtung, der die gewaltigen Interventionen der Nordamerikaner in verschiedenen Konflikten weltweit als gravierende Bedrohung des Friedens sieht. Seiner Meinung nach ist dies eine subtile Form des modernen Kolonialismus, in alter Tradition der Großmächte vergangener Jahrhunderte. Ob im Namen des katholischen Glaubens oder im Namen der Demokratie, täuschen kann man sich trotzdem, auch wenn man sich im guten Glauben wähnt.
Auch Europa hat Probleme, doch Galtung zeigte sich diesbezüglich optimistischer. Die EU würde diese neue Völkerwanderung „überleben“, aber auf diese Wortwahl bestand er; schließlich hätte Europa es mit mehr als einer einfachen Flüchtlingswelle zu tun. Seiner Schätzung nach werden noch etwa 50 Millionen Flüchtlinge hierher kommen. Viele würden sich nicht gern anpassen, Forderungen stellen und für den Raub ihrer natürlichen, heimatlichen Umgebung entschädigt werden wollen. Bewegende Zeiten!
Die Frage nach der möglichen Bedrohung durch einen Dritten Weltkrieg beantwortete er mit großer Sorgfalt. Der Begriff „Weltkrieg“sei mittlerweile inhaltslos, meint Galtung. Denn die Konflikte würden bereits auf Ebenen ausgetragen, die uns gar nicht mehr als sichtbare „Kriegserscheinungen“zugänglich seien.
Als Gründer der Theorie der Strukturellen Gewalt zog Johan Galtung eine ernüchternde Bilanz über verdeckte Konflikte. Wirtschaftliche Sanktionen, Mangel an sozialer und medizinischer Assistenz, keinen Zugang zu Bildung und schlicht und einfach Verarmung oder Hunger bedrohten heute weit mehr Menschen als Waffengewalt. Übrigens nicht nur in den ärmeren Ländern, sondern verstärkt auch in den westlichen Staaten.
Ein paar Regeln, die man bei der Lösung von Konflikten anwenden kann, sogar in privaten Lebensbereichen, gab er dem Publikum noch mit. Nämlich dass man unbedingt mit allen Konfliktparteien reden muss, und zwar separat, egal ob man ihnen zustimmt oder nicht. Man muss einfach jedem zu- hören, um seine Vorstellung von der Endsituation kennen zu lernen. Nicht die Kritik am Gegner darf dabei im Vordergrund stehen, sondern die Suche nach konkreten Details der gewünschten Zielsituation. Das sind die Ausgangspunkte bei der Verhandlung eines Friedensprozesses.
Der nächste Schritt sei das Entwerfen einer Vision, in der man möglichst allen Beteiligten Zugeständnisse macht. Mit Kompromissen beginnt die Arbeit an die Verwirklichung dieser Vision – eine bittere Wahrheit. Im Moment arbeite er aktiv an der Schlichtung zwischen dem Islamischen Staat (IS) und dem Westen mit. Eine gewaltige Zielsetzung.
Natürlich gab es im Laufe der Geschichte nicht nur „gute“, son-
„Es gibt keine bösen Menschen, es gibt aber böse Ideen. Eine böse Idee ist, dass es böse
Menschen gibt“
dern auch „schlechte“Visionen, die von Diktatoren oder Tyrannen knallhart verwirklicht wurden. Doch Johan Galtungs Überlegungen gehen dahin, dass man sich von eindeutigen Denkmustern lösen müsse und die Welt nicht mehr in Positiv und Negativ teilen dürfe. „Es gibt keine bösen Menschen, es gibt aber böse Ideen. Eine böse Idee ist, dass es böse Menschen gibt“, sagt der Professor, der nachweislich an mehr Universitäten als jeder andere Professor weltweit unterrichtet hat.
Zielsetzung sei, die brauchbaren Bestandteile des vermeintlich Bösen zu entdecken und die nicht ganz so optimalen Seiten des vermeintlich Guten auszuschließen. Dann könne etwas entstehen, das wirklich allen zugute käme. „Findet das Gute und verbindet es“ist der Schlüssel den uns Johan Galtung als Motto mitgab, bevor er sich mit seinem charmanten, geheimnisvollen Lächeln in seine Welt zurückzog. Eine Welt, in der man nicht bloß von Harmonie träumt, sondern mit einer unglaublichen Energie Menschen verbindet und Konflikte auf höchstem Niveau schlichtet, um durch aktives Vermitteln „ Frieden für uns alle“zu ermöglichen.