Der Aufbruch des Siki
Kurzgeschichte zum Schmunzeln
Jetzt ist der elegant gekleidete Herr an der Reihe. Er beginnt, den Inhalt seines voll gefüllten Einkaufswagens auf das Förderband an der Kasse zu sortieren. Flink zieht die Kassiererin ein Teil nach dem anderen am zufrieden piepsenden Scanner vorbei, worauf der Gestylte seine neu erworbenen Schätze wieder im Gitterwagen verstaut. „146 Euro 73, bitte“, lässt sich die Kassiererin vernehmen.
„Moment bitte“, antwortet der Herr und beginnt nach einem prüfenden Blick auf den Kassenmonitor an den Ärmelknöpfen seines Jacketts zu fummeln. Neugierig schaut die Kassiererin dem ungewohnten Treiben zu: „146 Euro 73, bitte“. „Moment... gleich... also hm, hm, hm und hm.“Wie auf ein Handy tippt der Herr murmelnd auf die Ärmelknöpfe.
„Affentheater hier“, bemerkt ungeduldig und grimmig ein Raviolikäufer aus der Reihe der Wartenden. „Iss was?“, erkundigt sich die Kassiererin verwirrt. „Meine PIN. Geht nicht. Gedächtnislücke. Also noch mal...“, stottert der Elegante und stupft mit dem Zeigefinger hastig auf die Ärmelknöpfe. „Wenn Sie mit Karte bezahlen wollen, brauch’ ich erst mal die Karte“, erinnert die Kassenmaid ungerührt.
„Ja, aber ich komm’ an meine Geldbörse nicht dran. Da sind mein Geld und die Kreditkarte drin. Ich habe heute den Siki an und krieg’ ihn nicht auf“, stammelt entschuldigend lächelnd der Kunde. „Was haben Sie an?“„Den Siki, den Sicherheitskittel. Ich kann die Jacke erst öffnen, wenn ich die PIN eingegeben habe. Da haben Taschendiebe keine Chance. Aber ich hab‘ grad‘ die PIN nicht im Kopf“. „Hat der überhaupt ‚was im Kopf?“, erschallt es aus der Reihe. „Und wenn Sie den Siki aufschneiden?“, so eine neue Wortmeldung. „Oder abfackeln...“, empfiehlt eine stämmige Dame mit Warenkorb hilfreich. „Sicherheitsfutter. Lässt sich nicht schneiden. Tut mir leid“, erklärt schuldbewusst der Sikibesitzer, „im Moment weiß ich mir nicht zu helfen“.
„Der hat zu lange in der Tiefkühltruhe gewühlt. Hirn eingefroren!“quengelt herzlos der RavioliFeinschmecker weiter. „Vielleicht kann mal jemand von oben in meine Jacke greifen. Meine Geldbörse ist in der linken Innentasche“, bettelt aufgelöst der Sikiträger. „Oder mal kräftig von unten zupacken“, schlägt eine Dame mit zwei Müslischachteln unter dem Arm vor, „ich möchte heute noch nach Hause“. Erfreulicherweise scheint nun Rettung zu nahen, denn ein freundlich lächelnder Mittzwanziger schiebt sich an der Warteschlange vorbei. „Das kann doch nicht so schwer sein“, sagt er beruhigend und drückt der Kassiererin seine Milchtüten in die Hand: „Halten Sie mal, bitte!“
Ein Mann der Tat! „Ich hol’s raus“, verspricht er und blickt heldenhaft in die Runde. „Gehen Sie mal ein bisschen in die Hocke“, weist er den Kittelträger an, wäh- rend er sich die Ärmel hochkrempelt „und jetzt den Kopf zurücklegen.“„Wir werden das Ding schon kriegen. Jaa, sooo. Gleich hammer’s.“
„Ausatmen und Atem anhalten!“Die Kassenschlange wird indessen immer länger. Die Zahl der Zuschauer nimmt zu. Hoppla, die Nummer läuft ja ganz ausgezeichnet, denkt sich der frohgemute Helfer und beginnt, seinen allseits bestaunten Auftritt leutselig zu moderieren: „Aufrecht bleiben!“„Ihr Hals ist nämlich länger als meine Arme, Mann-oh-Mann.“„Oha, jetzt ist da auch noch ein Reißverschluss im Weg – man hat’s nicht leicht.“
„Aber es ja gibt keine Probleme. Nur Lösungen. Heißt es doch. Hähähä“. Stumm beobachtet die neugierige Menge, wie der Arm des Nothelfers in der Jacke werkelt, während sich das Gesicht ihres kauernd zur Decke starrenden Trägers bläulich zu verfärben beginnt. „Na, also“verkündet der Hilfsbereite endlich, „na, bitte! Fündig!“Zügig bringt er die Geldbörse ans Tageslicht, versetzt dem aufatmenden Jackenträger einen Stoß und flitzt wie ein geölter Blitz aus dem Laden.
Lähmendes Entsetzen! Mit einem kreischenden „Polizei! Polizei!“findet die Müsli-Dame als Erste die Sprache wieder. Der ratlos dreinblickende Sikiträger sitzt auf dem Boden, fummelt hastig ein Handy aus der Jacken- tasche, tippt drauf los, erstarrt – und röchelt: „Verdammt, nicht mein Tag – jetzt ist mir auch noch die Handy-PIN entfallen!“