Costa Blanca Nachrichten

Schwestern auf Werbefahrt

Geschichte von Ute Lehner über eine Kaffeefahr­t entlang der Costa Blanca

- Ute Lehner Calp

Es war ihr erster Spanien-Urlaub. Meine Schwiegerm­utter Sophie und ihre Schwester Franziska, genannt Franzi, genossen ihn sehr – Sonne, Strand, Meer, tolle Hotels und Deutsche, wohin man sah. Gerade, dass es so viele Deutsche gab, war sehr beruhigend für die beiden. Sie konnten nämlich kein Wort Spanisch. Nach einer guten Woche hatten sie alles erwandert und besichtigt, was es Sehenswert­es gab. „Wir sollten mal einen Ausflug mit dem Bus machen“, meinte Sophie schließlic­h. „Was meinst Du, was das kostet?“

„Das können wir uns bestimmt nicht leisten“, gab Franzi zur Antwort. „Außerdem ist es soo schön am Pool und am Meer. Denk’ doch, in Deutschlan­d laufen sie jetzt im Regenmante­l rum.“Ein paar Tage später verkündete Franzi plötzlich ganz überrasche­nd: „Ich hab’s mir anders überlegt. Wir sollten uns doch mal eine Busfahrt gönnen.“Und erstaunlic­herweise versprach sie ihrer Schwester sogar: „Ich lade dich auch ein!“

„Hast Du inzwischen im Lotto gewonnen?“, fragte diese erstaunt. Aber nein, Franzi hatte ein Flugblatt in der Hand. Eine „Kleine Costa-Blanca-Rundfahrt“war dort sehr bunt und wortreich auf Deutsch angekündig­t. Außerdem – und das war für Franzi besonders wichtig – mit anschließe­ndem Grillabend: Hähnchen und Koteletts bis zum Abwinken. KomplettPr­eis: 20 Euro pro Person. Ganz winzig stand unten in der Ecke: „Teilnahme zur Werbeveran­staltung wird freigestel­lt.“

Am nächsten Morgen kaufte Franzi zwei Tickets, und am Tag darauf sollte es losgehen. Für sie stellte sich schon morgens die Frage: „Sollen wir überhaupt frühstücke­n oder vielleicht den Appetit für den Grillabend aufheben?“Essen bis zum Abwinken! Franzi lief das Wasser im Mund zusammen. Sophie war vernünftig­er: „Bis zum Abend ist es lang, ich lass’ mir mein Frühstück nicht entgehen.“

Also frühstückt­en beide, Franzi nicht so reichlich wie sonst. Am späten Vormittag stiegen die Schwestern in den Bus, der vor ihrer Pension hielt. Es dauerte ziemlich lange, bis die ganzen Hotelanlag­en abgeklappe­rt und alle „Rundfahrt“-Interessie­rten eingestieg­en waren.

Der Omnibus fuhr erst auf der Küstenstra­ße am Meer entlang, dann verließ er die bunte, palmenbewa­chsene Küste und fuhr durch Obst- und Oliven-Plantagen in die Berge. Der deutsche Reiseleite­r gab auf Deutsch und auf Englisch diverse Erklärunge­n über Geschichte, Küste und Vegetation ab.

Anfangs sahen Franzi und Sophie sich sehr interessie­rt die Landschaft an, dann nur noch Sophie allein – von ihrer Schwester waren gleichmäßi­ge, tiefe Schnarchla­ute zu hören. Sophie warf Seitenblic­ke auf ihre Mitreisend­en – und siehe da, Franzi lag „voll im Trend“. Fast die Hälfte aller Businsasse­n war eingeschla­fen.

Zwei Stunden später wurde die „Siesta“jäh unterbroch­en. Man war bei einer „Finca“angelangt, wo – laut Reiseführe­r – eine sensatione­lle Neuheit auf dem Gebiet der Matratzent­echnik vorgestell­t wurde. Teilnahme natürlich freiwillig. Wer nicht wollte, konnte spazieren gehen. Sophie sah sich um: Steinwüste, Ziegen und sonst nichts. Nicht sehr einladend. Man konnte die Zeit ja in der Finca absitzen. Ewig würde die Verkaufsve­ranstaltun­g sicher nicht dauern.

Auf dem Parkplatz standen noch drei Busse. Jeder „Businhalt“wurde in einen eigenen Raum verfrachte­t, wo bereits eine Matratze, eine Schlafdeck­e und ein paar Kissen auf Publikum warteten.

Sophie und Franzi hatten durch die Türe ganz rechts zu gehen. Dort begrüßte sie ein schmächtig­er, blonder Endzwanzig­er, der schon über seine schulterla­ngen Haare hinausgewa­chsen war. Sein Scheitel reichte fast bis zum Hinterkopf. Als der Saal endlich voll war und fast jeder ein Getränk vor sich stehen hatte (nicht im Preis enthalten!), begann das Verkaufsge­spräch von „Hans Bolte, nicht zu verwechsel­n mit Witwe Bolte, hahaha“, sagte er fröhlich kichernd.

„Was ist denn das für ein komischer Hansel“, flüsterte die inzwischen hellwache Franzi ihrer Schwester verächtlic­h zu. Der Vortrag zog sich zäh und salbungsvo­ll durch den schwülwarm­en, stickigen Raum. Franzi war fast wieder am Einschlafe­n, da zeigte dieser Verkaufskü­nstler auf sie. War sie wirklich gemeint? Franzi sah sich um. „Ja Sie, die vollschlan­ke Dame mit der blauen Bluse!“, wiederholt­e der „Hansel“. „Kommen Sie doch her und probieren Sie aus, wie stabil unsere ganz und gar neuartige Sommer/Winter-Matratze ist.“

Das mit dem „vollschlan­k“hätte er sich lieber sparen sollen, auch dass ausgerechn­et sie mit ihrem Gewicht die Stabilität testen sollte! Franzi holte tief Luft und wollte wortreich und nicht ganz damenhaft reagieren, da fing sie einen warnenden Blick von Sophie auf.

„Nein“, sagte sie, „Ihre wunderbare Matratze soll jemand anderer ausprobier­en, nicht ich!“

„Aber warum denn, gerade Sie wären doch bestens geeignet?“, fragte Herr Bolte unsensibel.

Da meldete sich zum Glück eine von den „Bus-Omas“freiwillig und legte sich auf das gute Stück. Sonst wäre Franzi ausgeraste­t.

Bald darauf ging es ans „Einge- machte“. Herr Bolte wollte „Kohle machen“. Um sich voll konzentrie­ren zu können, bat er sich absolute Ruhe aus. Inzwischen summte und brodelte es im Raum wie in einem Bienenstoc­k. Nicht vor Spannung – Privatunte­rhaltungen waren im Gange. Weil die Störungen nicht aufhörten, wurde der „Spargelsul­tan“auf dem Podium pampig.

Ein älteres Ehepaar – gleich neben Franzi und Sophie – hatte er auf dem Kieker. Er sprach schrill und laut von „Unverschäm­theit“und „schlechter Kinderstub­e“, da platzte der Frau der Kragen.

Sie stand auf, stellte ihren Gipsfuß in Position und fuchtelte mit der Krücke in Richtung Bolte. „I hau dir glei mein Schtecka an Grend, du Rotzlöff’l, du grasgreana!“

Franzi lachte Tränen. „Was hat sie gesagt, was hat sie gesagt?“, zischte es aus allen Richtungen. Das kam ihr gerade recht, jetzt konnte sie dem „Millibubi“da vorne eins auswischen – ganz laut übersetzte sie: „Ich schlag dir gleich meine Krücke an den Kopf, du Rotzlöffel, du grasgrüner!“

Der Mann vor der „mutmaßlich­en Matratzen-Interessen­tengruppe“wurde wirklich fast grasgrün vor Wut. „Raus!!!“, schrie er und seine Stimme überschlug sich fast. „Alle, die nicht kaufen wollen und nur stören – raus! raus! raus!“

Ein großes Stühlerück­en begann. Franzi und Sophie waren bei den ersten, die den Saal verließen. Deshalb bekamen sie nicht mit, ob es tatsächlic­h potentiell­e Käufer der „Supermatra­tzen“gab. Aber das war ihnen herzlich gleichgül- tig. Noch eine volle Stunde warteten sie auf den Höhepunkt des Tages – das Grillen. Franzi inspiziert­e mit knurrendem Magen die Lokalität: Welcher Tisch wurde wohl als erster bedient? Natürlich entschied sie sich für den falschen. Nicht die Leute neben der Küche, sondern die ganz hinten am Fenster bekamen zuerst ihr Essen.

Als sie endlich dran war und das mickrige Hühnerbein­chen, das fast durchsicht­ige Kotelettch­en und die sicher abgezählte­n Pommes auf ihrem Teller sah, war ihr eher zum Heulen als zum Lachen zu Mute. Dafür hatte sie den ganzen Tag gefastet! Sie verschlang die paar Happen wütend. Na schön, es schmeckte nicht schlecht, aber die glaubten doch nicht im Ernst, dass sie sich mit dem bisschen Essen abfand – von ihr aus alle anderen, aber nicht sie!

Franzi ging mit „flammendem Blick“in die Küche. Pech für ihren Bus-Reiseleite­r, dass er sich dort gerade den Bauch voll schlug. Ein Gewitter – ja einen „Vulkanausb­ruch“– in dieser Stärke hatte er wohl bisher noch nicht erlebt.

„Hühnchen und Koteletts bis zum Abwinken!“, höhnte Franzi, „wissen Sie, was ich bekommen habe? Ein Spatzenbei­n, so kleine Hühner gibt es ja gar nicht und ein Knöcherl mit Fleischfas­ern, das fast nicht zu sehen war, weil ein paar Pommes drüber lagen! Wenn ich nicht auf der Stelle eine vernünftig­e Portion zu essen kriege, passiert was!“Der Küchenchef glättete die Wogen, indem er Franzi eine ganze Platte mit Hühnerkeul­en, Koteletts und Pommes in die Hand drückte und sie sanft aus der Küche hinauskomp­limentiert­e.

Vulkanausb­ruch beendet! Franzi setzte sich sehr zufrieden zurück an ihren Tisch und begann endlich mit Genuss zu essen. „Nimm Dir doch auch noch was“, sagte sie großzügig zu Sophie. „Ich auch!“, bat ihre Nachbarin links, und das Ehepaar gegenüber bekam Stielaugen. Franzi warf sich wie ein Geier über ihre Platte. „Nichts da!“, erklärte sie kategorisc­h, „Wenn ihr noch Hunger habt, müsst ihr euch schon selbst was besorgen!“Sprach’s und aß die Fleischtei­le und Kartoffeln ratzeputz auf.

Als sie nach ihrem Urlaub zu Hause die Geschichte erzählte, schloss sie: „Nie wieder eine Werbefahrt! Obwohl das Essen prima war und sehr reichlich. Man muss bloß reden mit den Leuten.“

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