Überall Vuelta
600.000 Euro, wertvolle Fernsehbilder und Begeisterung für den Radsport – Die Spanienrundfahrt in der Provinz Alicante
Jubelnde Sportfans, gut gelaunte Schaulustige und drahtige Rennradprofis beherrschten am Wochenende das Ambiente in Jávea, Calp und Benidorm. Bei zwei Etappen sollte die Vuelta a España bis zu 600.000 Euro in die Kassen spülen. Das Fazit fällt durchwachsen aus.
Jávea/Calp – ms/sk.
Freitagmorgen kurz vorm Start des Einzelzeitfahrens in Jávea. Der Tross der Vuelta a España, bestehend aus 2.500 Personen, stellt das beschauliche Hafenviertel auf den Kopf. Aus den Sattelzügen in den Querstraßen brummen die Generatoren für die VIP-Zone, Chinesen verkaufen ihr Vuelta-Merchandising, Passanten flanieren, kolumbianische Nationalflaggen wehen, Nationalpolizisten patrouillieren.
Radfahrer schlängeln sich durch die Menge entlang der abgesperrten Startbahn an der Hafenpromenade, vorbei an den bunten Begleitfahrzeugen, den VodafoneMotorrädern und den Organisatoren in ihren schwarzen Polo-Hemden, die überall herumwuseln. „Ich habe wirklich keine Zeit, da warten 400 Leute entlang der Strecke auf mich“, würgt ein Schwarzhemd eine Frage ab und weg ist er. Was ist denn bloß in Jávea los?
Brand, Fiestas, Vuelta
So viel Trubel nach dem Brand und den Fiestas. „Wir werden international berühmt“, flachst Vicent Cardona von der Eisenwarenhandlung La Clau. „Im Ernst, die Vuelta ist eine tolle Sache, gute Werbung für Jávea.“Deswegen macht die Provinz Alicante so viel Rummel um die Vuelta Ciclista a España. Einer Wirtschaftsstudie zufolge generiert die Spanienrundfahrt bei bei den Etappen in der Provinz Alicante 600.000 Euro.
Dutzende Gemeinden entlang der Strecke des Einzelzeitfahrens am Freitag und der Bergetappe am Samstag fiebern nicht nur den Übernachtungen, Einkäufen und Restaurantbesuchen der Radsportfans und 2.500 Personen des Vuelta-Trosses entgegen, sondern vor allem den Fernsehaufnahmen.
Das Sportevent allererster Klasse flimmert über die Bildschirme von 190 Nationen und erzielt vor allem in Ländern potenzieller Costa-Blanca-Urlauber wie Holland, Dänemark und Belgien Einschaltquoten jenseits der 40 Prozent. Der Präsident der Provinzverwaltung Alicante, César Sánchez (PP), beziffert die Zuschauerzahl im Fernsehen auf 19 Millionen. Kein Wunder, dass alle Kommunen auf möglichst idyllische Aufnahmen ihrer Strände hoffen und mit ihren touristischen Reizen an diesen Ta- gen nicht geizen. „Die Vuelta zählt mit Sicherheit zu den Sportevents, die in Bezug auf Tourismuspromotion weltweit mit die größte Wirkung erzielen“, sagte er. Und so greift der Politiker die Vuelta auch auf, um an die Gemeinden der Costa Blanca zu appellieren, künftig Radfahrer mehr zu berücksichtigen, bei ihrer Stadtplanung, bei ihren Investionen.
Als erstes Team rollt in Jávea übrigens das Cycling Country vom Start. Große Chancen auf den Sieg schreibt den Radtouristen auf den ersten Blick wohl niemand zu. Meist Frauen und Männer zwischen 50 und 70, mit ein paar Pfunden mehr um die Hüften als Alejandro Valverde oder Alberto Contador. Trotzdem hat Sarah Fitzgerald gestern Chris Froome im Hotel getroffen. „Wir fahren seit einer Woche bei der Vuelta mit“, erklärt die Australierin. Der Pulk – die meisten davon aus den USA, Australien und Neuseeland – hat einen Radsporturlaub mit dem offiziellen Touroperator der Spanienrundfahrt gebucht. CyclingCountry-Führer Dean Kinnerley liefert ein hautnahes Vuelta-Erlebnis, Zutritt zum VIP-Bereich, Aufenthalt in den gleichen Hotels wie die Profis und natürlich Touren entlang der Vuelta-Strecken. „Wir kommen durch viele Orte, ich weiß nicht, was für einen Eindruck wir dort hinterlassen, aber ich habe wirklich das Gefühl, dass die Vuelta überall, wo sie vorbeikommt, viel Geld lässt“, sagt Fitzgerald. Dann fällt gegen 11 Uhr der Startschuss und der Tross fährt vor den Profis die bereits abgesperrte Strecke für das Einzelzeitfahren nach Calp ab. Sogar Zuschauer jubeln ihnen zu.
Aus sportlicher Sicht enttäuscht die Vuelta beim Einzelzeitfahren die Zuschauer im Fernsehen und entlang der 39 Kilometer langen Strecke nicht, die vom Hafen in Jávea durch den Arenal, rüber nach Benitachell, hoch nach Teulada, runter nach Moraira und über die Küstenstraßen nach Calp führt. Der Brite Christopher Froome (Sky) rollt um 16.54 Uhr als vor-
Beim Einzelzeitfahren kommt Froome dicht an Quintana heran
letzter Starter über die Rampe und legt so einen Affenzahn hin, dass er schon nach 46 Minuten und 33 Sekunden im Ziel bei der Lonja im Calper Hafen ankommt und dem führenden Nairo Quintana auf der Strecke 2 Minuten und 16 Sekunden abnimmt. Nun liegt der Tourde-France-Sieger in der Gesamtwertung nur noch 1 Minute und 21 Sekunden hinter dem bis dahin überragend fahrenden Kolumbianer Quintana vom Team Movistar zurück. Bei der Vuelta ist wieder alles offen, die Entscheidung muss auf der Bergetappe von Benidorm hoch auf den Alto de Aitana fallen.
Während Froome, Quintana und Contador mit 50 Sachen im Schnitt gegen die Zeit fahren, wirft Calp sich für die Kameras in Schale. Fahrräder werden per Hubschrauber auf den Peñón d’Ifach gehievt, ein riesiger Calp-Schriftzug ziert den Fossa-Strand. Doch das Millionenpublikum im Fernsehen bekommt davon leider gar nichts mit. „Wir sind überhaupt nicht zufrieden mit der Darstellung Calps. Wir können Regentänze aufführen – wenn die Kamera nichts davon einfängt, bringt alle Mühe nichts“, erklärt Tourismusstadtrat Jan van Parijs. Weil Calp kaum im Bild ist, reicht das Rathaus eine Beschwerde beim spanischen Fernsehen TVE ein. Ein Hubschrauber sei ausgefallen, teilt dann der Sender Calp mit.
Radsport immer populärer
Etwas von der Faszination Radsport bleibt zurück, auch nachdem kurz vor 17 Uhr die letzten Profis über die Startrampe in Jávea rauschen. „Viele Leute aus dem Viertel hatten eigentlich keine Vorstellung, was Radsport eigentlich ist. Wenn die dann all die Busse sehen, die Sportler, Fans, die Leute und alles was da dazu gehört, das ist beeindruckend und gut für den Radsport, für Jávea und die Region“, sagt Martin Stadlhofer, der Inhaber von Xabia’s Bike. Radfahren als Breitensport wird an der Costa Blanca immer populärer, sowohl Rennrad als auch Mountainbike. Die neuen Elektroräder haben diesen Trend noch weiter angeschoben. „Wenn Amateure vorher 40 Kilometer gefahren sind, können sie mit diesen Rädern 80 oder 100 fahren“, sagt Stadlhofer.
Der Sportbeauftragte der Polizei Mönchengladbach, Erik Block, klettert nicht zuletzt wegen der faszinierenden Bilder der Vuelta den ein oder anderen Berg in der Region wie den Coll de Rates hinauf. „Bei uns daheim ist ja alles flach, hier geht es schon ordentlich hoch. Da wird man gefordert“, sagt der Hauptkommissar, der mit dem Rad aus Moraira angefahren ist und ebenfalls via Trikot für seine Behörde wirbt. Im Hafen von Jávea geht es zu wie auf einem Festival, an einen Platz in einem der Restau- rants oder Cafés ist gar nicht mehr zu denken. Die Abordnung aus dem belgischen Jabbele kommt per Rad. Bürgermeister Daniël Vanhessche und seine werbewirksam in leuchtend gelben Trikots gekleidete Seniorengruppe fährt zugunsten der Krebshilfe im Windschatten des Vuelta-Trosses. Tausend Kilometer strampeln sie gegen den Krankheit.
In Calp bietet sich ein ähnliches Bild, und entlang der Küstenstraße feuern Massen die vorbeirauschenden Radprofis an. Für die Calper Gastronomen am Fischerhafen, wo das Ziel des Einzelzeitfahrens liegt, ist es ein erfolgreicher Tag. „Sie haben einen super Umsatz gemacht“, so Stadtrat van Parijs.
Wo immer der Vuelta-Tross Station macht, wird er begeistert empfangen. Obwohl sich die Menschen hinter die Absperrung drängen und zusehen, wie die Mechaniker die letzten Teile justieren und die Räder überprüfen – Kontakt zur Bevölkerung knüpfen die Mitarbeiter der Vuelta kaum. „Die Vuelta ist mehr eine Welt für sich“, sagt Roberto San Emeterio. Seit 8.30 Uhr bereiten er und seine zwölf Kollegen das Rennen vor. Für Schwätzchen bleibt wenig Zeit. Gegenüber hat Irene Iglesias vom Ca Tomaca alle Hände voll zu tun, Vuelta-Fans sitzen kaum in ihrem Lokal. „Bis jetzt sind es die gleichen Gäste, die wir sonst auch haben, Leute aus dem Viertel und Besucher.“
Die Mechaniker in den blauen Fahrzeugen von Shimano haben keine Zeit für Brotzeit, sie müssen Radfahrern zu Hilfe eilen, wenn sie einen Platten haben oder einen Sturz erleiden. Das will vorbereitet werden, erfordert viel Koordination. Die schnelle Hilfstruppe ist immer als erste zu Stelle, oft wichtige Minuten vor den Assistenzwagen der Teams, und springt für jeden Fahrer in die Bresche, egal für welches Team er in die Pedale steigt.
Am nächsten Tag leistet die blaue Flotte den Profis Schützenhilfe, als sie von Benidorm auf den Alto de Aitana fahren. 193,2 Kilometer über Pässe wie den Coll de Rates, Vall d’ Ebo, Alto de Tollos und Tudons. Sieben Mal attackiert Verfolger Froome seinen führenden Rivalen Quintana, der am Ende des 21 Kilometer langen Aufstiegs auf den Alto de Aitana noch genug Kraft in den Beinen hat, um an Froome vorbeizufahren und die Etappe und die Vuelta für sich zu entscheiden.
Im Hafen von Jávea geht es zu wie bei einem Festival