Alternativ bummeln
Calle Poeta Quintana mausert sich zur alternativen Shoppingmeile in Alicante – Startups neben Familienunternehmen
Der stadtbekannte Uhrmacher und der urige Kurzwarenhandel waren schon immer in Alicantes Calle Poeta Quintana – jetzt gesellen sich hippe Geschäfte dazu. Abseits der Shoppingmeilen lässt es sich in der schnuckeligen Straße neben der Markthalle herrlich alternativ bummeln.
Die Markthalle nur einen Steinwurf entfernt, kaum Verkehr, die Fußgänger weniger gehetzt als in der parallel liegenden Avenida Alfonso X el Sabio: In Alicantes Calle Poeta Quintana liegt das ursprüngliche Geschäftsleben Alicantes, abseits der großen Einkaufszentren und der Shoppingmeile Avenida Maisonnave.
Seit kurzem mischen sich hier auch junge Unternehmer unter die Alteingesessenen. Der traditionelle Schuster werkelt neben dem hippen Plattenladen, der junge Bäcker von gegenüber bringt Tostada und Café cortado persönlich an den Ladentresen des Schuhhändlers in vierter Generation. Es herrscht munteres Treiben in der kleinen Straße. Eine Zeit lang war das nicht so. Chinesische Billighändler, Einkaufszentren, Wirtschaftskrise – die üblichen Feinde des traditionellen Einzelhandels waren schuld. „Die Straße war so gut wie tot, als ich das erste Mal hierher kam“, erinnert sich Daniela Amenta, die vor 17 Jahren in die Poeta Quintana zog und hier vor knapp zwei Jahren das Hostel Olé eröffnete. Der traditionelle Kurzwarenhandel oder der Uhrmacher seien zwar dank Stammkundschaft schon immer hier gewesen, dazwischen habe es aber große Lücken mit heruntergelassenen Rollläden gegeben. „In vielen Lokalen gab es häufig Wechsel“, erzählt die Argentinierin, in deren sechs Gemeinschaftszimmern sich vor allem junge Deutsche, Briten oder Franzosen einmieten – auch wegen des alternativen Flairs in der Straße und dem naheliegenden Mercado samt samstäglicher Tapasroute, dem Tardeo. „Die neuen Geschäfte verleihen der Straße einen frischen Wind“, sagt Amenta, „hier gehen sowohl die alteingesessenen Ali- cantinos, als auch Erasmus-Studenten einkaufen“. Andrea Abad, Daniel Vázquez und Rubén Sánchez gründeten vor knapp einem Jahr das Café Farmer‘s. „Nach drei gemeinsamen Jahren in England musste ein Projekt her, das vom ersten Tag an Geld brachte“, erklärt Abad. „Das Café war eine verrückte Idee – wir haben alle keine Gastro-Erfahrung, aber wir mochten das Flair in der Straße, und es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein.“
Orangen, Salat und Gemüse für frisch gepressten Saft und belegte Brötchen kaufen die drei Jungunternehmer direkt nebenan in der Markthalle. Ihre besten Kunden sind Sprachschüler, die eine der vielen Akademien im Viertel oder die staatliche Sprachschule Escuela Oficial de Idiomas (EOI) besuchen. „Sprachunterricht oder Tandems haben wir hier oft“, so Abad. Im Farmer’s bieten die drei Alicantinos auch Mittagessen mit Sa- laten und Bocadillos an. „Fast alles, nur so gut wie keinen Alkohol, wir wollen keine Bar sein“, sagt die junge Frau.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht Ángel Barceló hinter dem Tresen des Schuhgeschäfts seiner Frau Paqui Soler. Die hat den Laden in vierter Generation von ihrem Vater übernommen. Neben ein paar vereinzelten Turnschuhen hat Quintana Calzados sich vor allem auf Espadrilles und Hausschuhe made in Spain spezialisiert. „Ich glaube es ist vor allem die persönliche Beratung, die uns kleinen Händlern das Leben rettet“, sagt Barceló. „Mit aggressiven Winterschlussangeboten wie jetzt zu den Rebajas können viele von uns nicht mithalten, aber einen bequemen Hausschuh, der in Spanien produziert wurde, gibt es in Alcampo oder Carrefour eben nicht“, so der Schuhhändler.
Großen Anteil am Erfolg der Einzelhändler in der Calle Poeta Quintana haben auch die Aktionen der örtlichen Händlervereinigung.
Die Asociación de Comerciantes Poeta Quintana organisiert Halloween-, Weihnachts- und Valentinstagsaktionen, manchmal ist die Straße von oben bis unten mit Blumen geschmückt, bei der Noche en Vela im Dezember scheint Poeta Quintana nur im Kerzenlicht. Erst im Dezember verlieh Alicantes Rathaus der Vereinigung deshalb den Handelspreis 2016.
Kurse für Hobbymaler
Vizepresident der Händlervereinigung ist Guillermo Grisalla. Seit 22 Jahren verkauft er gegenüber des bunt bemalten Parkhauses von Quintana Malfarben, Reispapier, Krippenfiguren und Vogelhäuschen. „Unsere besten Kunden sind ältere Damen, aber immer wieder kommen auch Kunststudenten“, erzählt er. Mit der Krise musste sich der Unternehmer neu erfinden, die Krippen verkauften sich schlechter. Seitdem bietet Grisalla auch Kurse für Hobbymaler, Modeschmuckbastler oder angehende Tiffany-Glaskünstler an. Die Händlervereinigung von Poeta Quintana, erzählt er, überlege, dem Rathaus eine Fußgängerzone in der Straße vorzuschlagen. „Besonders den Gastronomen käme das entgegen, ich persönlich bin aber gegen den Vorschlag“, sagt der Vizepräsident. Er habe ja das Parkhaus gegenüber.
Patricia Palao Acevedo von der Kurzwarenhandlung Mercería Tere hätte gegen die Fußgängerzone nichts einzuwenden. „In der Straße herrschte schon immer Leben, auch ohne Autos, früher fand hier regelmäßig ein kleiner Markt statt“, erinnert sie sich. Das Verkaufstalent ist der jungen Frau in die Wiege gelegt. Schon ihre Oma verkaufte Knöpfe, Seidenbänder und Nähgarn. „Klar bekommt man viele Sachen heute auch in den großen Kaufhäusern, aber hier beraten wir individuell, und mit unserer Auswahl kann Corte Inglés nicht mithalten“, sagt Palao. María Teresa Sola betritt den Laden. Sie ist Stammkundin seit 50 Jahren und braucht ein paar Knöpfe: „Solche wie beim letzten Mal und einen anderen Saum für mein Unterhemd – der hier kratzt.“Palao sucht die gewünschten Knöpfe aus einer der vielen Schubladen hinter dem Ladentisch und zeigt der Kundin ein Spitzenband aus Baumwolle. „Diese Nylondinger sollten Sie nicht kaufen, die sind nichts“, kommentiert die quirlige Chefin und schneidet die gewünschten 1,5 Meter von der Rolle.
Schräg gegenüber steht ein Urgestein der Poeta Quintana hinter dem Ladentisch. Juan Vicente Poveda kennt seine Kunden und seine Kunden kennen ihn. Der Schuster ist praktisch an der Poliermaschine aufgewachsen. In vierter Generation repariert er im Laden von Calzado Poveda Schuhe, Taschen, Ledergürtel. „Ich mache fast alles“, sagt er und erzählt von einem seiner besten Kunden, einem Briten, der immer mit einem ganzen Haufen reparaturbedürftiger Schuhe nach Alicante anreist, weil er in der Heimat keinen adäquaten Schuster findet.
Auch ins Reformhaus Santiveri verirrt sich ab und an ein „guiri“, erzählt Raquel Ferri. Ihr Vater, Vicente – ein 82-jähriges Urgestein mit Rübezahlbart – berät seine Kunden seit fast 70 Jahren zu Tees, Nahrungsergänzungsmitteln und verschiedenen Getreidearten.
Wer alte Vinyl-Platten sucht oder loswerden will, ist bei Discos Naranja y Negro richtig. Von Klassik über Rock bis Heavy Metal finden Plattenfans dort günstige Scheiben oder können totgehörte verkaufen. Bücher gibt es in der hübschen Librería Pynchon&Co.
Hippe Biersorten
In der Relojería Vela Rubio stehen die Kunden sogar an einem Donnerstag Schlange. Der kleine Uhrmacher ist eine Institution in Alicante und repariert und verkauft seit jeher Uhren und Schmuck.
Neu in der Straße ist der hippe Beer Shooter, wo die Brüder Víctor Manuel und Ismael Ortíz seit knapp zwei Jahren Bier aus Südamerika, Deutschland, Belgien, aber auch Alicante, Murcia, Alcoy oder Elche verkaufen. „Am besten geht das Hiedromiel“, erklärt Víctor Manuel und zeigt auf einen jungen Kunden, der zielsicher zu zwei der braunen Flaschen aus dem Regal greift und sie auf den Ladentisch stellt.
Das hochprozentige Honigbier wird als Vorgänger des heutigen Gerstensafts gehandelt und hat in den letzten Jahren an Ruhm gewonnen, erklärt der Getränkehändler. Ganz passend zum alternativen Ambiente in Poeta Quintana. Genau deshalb entschieden sich die Brüder Ortíz damals für die Eröffnung des Geschäfts in der Straße. Bereut haben sie es bisher nicht.