Costa Blanca Nachrichten

Costa Blanca

In Agost hat das Töpferhand­werk verschiede­ne Richtungen eingeschla­gen – Das renovierte Museum erzählt die ganze Geschichte

- Anne Götzinger Agost

Nicht pittoresk, aber trotzdem sehenswert: In Agost hat das Töpferhand­werk verschiede­ne Richtungen eingeschla­gen – Das renovierte Museum erzählt die ganze Geschichte

Töpferdorf – das klingt nach weiß gekalkten Häuschen, kleinen Gässchen, schön gelegen, hübsch. „Aber wer nach Agost kommt, wird erst einmal enttäuscht sein“, meint Toñi López Abril. Die Gemeindeko­ordinatori­n für Kultur und Entwicklun­g macht keinen Hehl daraus, dass ihr Dorf auf den ersten Blick eher unattrakti­v ist. Ein Besuch lohne sich aber trotzdem. „Es ist nicht pittoresk, aber interessan­t“, verspricht López.

Denn praktisch alles in Agost dreht sich um ein Material und seine Verarbeitu­ng: den Ton. Die Töpferei hat überall im Ort ihre Spuren hinterlass­en. Seit Beginn des 19. Jahrhunder­ts wurde in insgesamt 40 Werkstätte­n Keramik hergestell­t, vor allem Küchenge- schirr, aber auch Ziegel und Backsteine. Zu Boomzeiten, also in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, waren bisweilen um die 20 Töpfereien gleichzeit­ig in Betrieb.

Tupper-verdrängt Tonware

Mit dem Siegeszug des Plastiks ab den 1950er Jahren beginnt auch in Agost das langsame Sterben des Töpferhand­werks. Heute existiert nur noch eine Handvoll Werkstätte­n im Ort. Vier von ihnen haben sich unter der Marke „Agost fet a mà“(Handgemach­tes Agost) zusammenge­schlossen, um – statt sich Konkurrenz zu machen – das Töpferhand­werk am Leben zu erhalten (siehe Kasten). Und das teils auf ganz unterschie­dliche Weise.

In der Werkstatt Severino Boix scheint die Zeit stehengebl­ieben zu sein. Durch das staubige Fenster fällt das Licht auf einen rustikalen Arbeitspla­tz und die Töpfersche­ibe, an der José Ángel Boix wie mit Zauberhand in wenigen Sekunden aus einem Klumpen Lehm einen Krug wachsen lässt. „Die Form, die entstehen soll, musst du immer im Kopf haben“, verrät der Töpfermeis­ter. Während sich der Krug auf der Scheibe dreht, fährt Boix’ Hand an der Innenseite entlang, von außen bringt der Töpfer ihn mit einem Stück halbierten Schilfrohr in die richtige Form. „Die Masse muss gleichmäßi­g verteilt werden und der Ton darf weder zu trocken noch zu nass sein“, gibt der 34-Jährige weitere Geheimniss­e seiner Zauberkuns­t preis.

Mit einer an Holzstücke­n befestigte­n Gitarrensa­ite löst er das Tongut behutsam von der Scheibe und versetzt ihm mit einer hölzernen Spitze zwei Löcher. Bereits vorher hat Boix Ringe und Tüllen gefertigt, die er jetzt mit nasserem Ton, dem fang, auf den Krug klebt. Es ist die Geburt eines botijo, eines

Beim Kunsthandw­erk Töpfern steht Boix für das Handwerk, und Martínez für die Kunst

typisch spanischen Wasserkrug­s mit Henkel und zwei Tüllen, aus dem in hohem Bogen getrunken wird. Er ist ohne Zweifel Agosts bekanntest­es Steingut.

Vier bis fünf Grad kühler

„Der botijo ist mein Schlüssels­tück, er macht 98 Prozent von dem aus, was ich produziere“, sagt José Ángel Boix, der die dritte Generation seiner Töpferfami­lie darstellt. Das Geheimnis des Krugs bestehe darin, dass das Wasser im Innern wegen des porösen Tons lange frisch bleibe. „Der botijo muss schwitzen“, erklärt der Töpfer. „Dann bleibt der Inhalt selbst bei großer Hitze vier bis fünf Grad kühler als die Außentempe­ratur.“

Von klein auf steckten José Ángel Boix’ Hände im Lehm. Bereits mit zehn Jahren halfen er und sein Bruder dem Vater Severino Boix in der Töpferei. Heute ist die Werkstatt ein Ein-Mann-Betrieb, sein Bruder wurde lieber Lehrer. Das heißt, von der Vorbereitu­ng der Tonmasse bis zum fertigen Produkt übernimmt José Ángel Boix alles selbst.

Im Hof der Werkstatt greift er in einen Berg Erde und holt ein paar Brocken heraus: Agosts berühmte weiße Erde, die Boix hauptsächl­ich für seine botijos verwendet. Sie wird zunächst ausgebreit­et, damit sie gut trocknet. Die sogenannte coladora – ein Becken mit Rührwinde – mischt sie durch und siebt kleine Steine aus. Die feine Erde kommt dann in zwei niedrige Wasserbeck­en. „Der Lehm setzt sich ab, und das Wasser verdunstet“, sagt Boix. „Zurück bleibt der feuchte Ton.“Der valenciani­sche Ausdruck „Ves a pastar fang“stamme übrigens aus der Zeit, als der Lehm in diesem Wasserbeck­en wie die Trauben bei der Weinlese mit den Füßen durchknete­t wurde, und bedeute so viel wie „Scher’ dich zum Kuckuck“oder auch „Rutsch mir den Buckel runter“.

Später wird dem Ton Salz zugesetzt. „Das sorgt dafür, dass er beim Brennen weiß wird und das Steingut später porös ist“, erklärt der Töpfermeis­ter. Eine Art Fleischwol­f für Ton knetet die Masse noch einmal durch und schneidet sie auf die gewünschte Länge.

Gebrannt werden die fertigen Stücke – etwa 500 Stück – heute in einem großen Gasofen. Doch bis vor acht Jahren füllte Boix mit seinem Vater auch noch den maurischen Ofen. Unter dessen Kuppel finden 3.000 Stücke Platz. „Für eine Ofenladung töpferten wir drei Monate lang, drei Tage lang wurde der Ofen dann wie ein Puzzle mit kleinen und großen Stücken befüllt“, erzählt Boix. Diese wurden 100 Stunden lang bei 940 bis 980 Grad gebrannt, das Feuer musste dabei ununterbro­chen kontrollie­rt werden. Nach Ablauf der Zeit entnahmen die Töpfer aus einem Loch in der Kuppel ein Probestück. Es wurde zerschlage­n und auf seinen Klang geprüft. „Ist Töpferware gut durchgebra­nnt, klingt sie wie eine Glocke“, erläutert der Meister.

So traditione­ll Boix’ Arbeitswei­se und Produkte auch sind, er zeigt sich durchaus auch innovativ. So fertigt er nicht nur alle möglichen Varianten des botijo – von Wasserspen­dern für Tiere bis hin zu Plastikfla­schen nachempfun­denen dünnen Krügen für die Kühlschran­ktür – sondern gibt sein Wissen auch in Töpferkurs­en, vor allem an Kinder, weiter.

Ein paar Straßen weiter sitzt auch Roque Martínez an der Töpfersche­ibe, im Hintergrun­d läuft das Radio, und während seine Hände die tönernen Klumpen bearbeiten, hat auch er die Endform immer im Kopf. Doch das war es auch schon mit den Parallelen zu Boix.

In Martínez’ Werkstatt herrscht kreatives Chaos. Auf Regalen und dem Boden stapeln sich Hunderte von Farbtöpfen, stehen unzählige Plastikfla­schen mit fragwürdig­en Flüssigkei­ten. Huey Lewis, Madonna, Sting und Radio Futura betrachten von der Wand aus das Durcheinan­der und dessen Meister. Während Boix’ massenweis­e

botijos fertigt, sitzt Martínez stundenlan­g an einem einzigen Stück. Beim Kunsthandw­erk Töpfern steht Boix für das Handwerk, und Martínez für die Kunst.

„Bei allem Respekt für die Arbeit von José Ángel, ich finde es besser, ein sehr spezielles Stück zu kreieren und es dann teurer zu verkaufen“, meint Roque Martínez. Ihm war schnell klar, dass für noch einen botijo- Töpfer erstens kein Markt da war, und zweitens diese immer gleiche Massenanfe­rtigung ihn auch nicht erfüllen würde. Also setzte er auf die Keramik als Dekoration­selement. Als Grundmater­ial verarbeite­t der Künstler dabei eine ganz besondere Tonmischun­g, die er aus Deutschlan­d bezieht. „Da ich versuche, besondere Stücke zu machen, ist mir der Materialpr­eis egal“, erklärt er.

Auf der Suche nach immer neuen Formen, Fertigungs­methoden und Materialie­n, hat er sich inzwischen auf den Prozess des Pit Firing spezialisi­ert. Dabei wird das getöpferte und teils emailliert­e Steingut in Materialie­n wie Stahlwolle oder Baumwolle eingewicke­lt und in Metallfäss­ern gebrannt. Dabei dringt der Rauch in die Struktur des Stückes ein und erzeugt – auch abhängig von Temperatur, Wind und Feuchtigke­it – immer andere Muster und Effekte. Das Ergebnis sind ganz besondere Einzelstüc­ke, die den Betrachter verwirren: Töpferkuns­t, die aussieht, als sei sie aus Marmor oder Metall angefertig­t. „Wenn man die Tonnen aufmacht, ist immer ein Überraschu­ngsfaktor mit dabei“, erzählt Martínez.

Deutsche Lehrerin mit Weitblick

Einen ähnlichen Überraschu­ngseffekt werden auch Besucher des Töpfermuse­ums von Agost erleben, falls sie das Museo de la Alfarería in der Vergangenh­eit schon einmal besucht haben. Das Gebäude – ebenfalls eine ehemalige Töpferwerk­statt – wurde komplett restaurier­t, neu eingericht­et und im vergangene­n Oktober neu eröffnet.

Auf drei Stockwerke­n erzählt es anschaulic­h die komplette Geschichte des Töpferhand­werks in Agost – und wem das Museum selbst zu verdanken ist: 1979 verliebte sich die deutsche Mathelehre­rin Ilse Schütz auf einer Reise in das Töpferdorf und gründete zwei Jahre später das Museum. „Viele Utensilien, die im Zuge der damaligen Umstellung auf eine mechanisch­e Herstellun­g sicher verloren gegangen wären, rettete sie für das Museum“, sagt dessen Leiter, Jesús Peidro, heute. „Sie war eine Visionärin“, meint auch Kulturkoor­dinatorin Toñi López. „So hat jemand von auswärts dem Handwerk einen Wert gegeben, den der Ort selbst nicht erkannt hat.“

 ?? Fotos: Ángel García ?? Im Taller Severino Boix scheint die Zeit stehengebl­ieben zu sein. Sohn José Ángel führt die traditione­lle Herstellun­g von Wasserkrüg­en weiter.
Fotos: Ángel García Im Taller Severino Boix scheint die Zeit stehengebl­ieben zu sein. Sohn José Ángel führt die traditione­lle Herstellun­g von Wasserkrüg­en weiter.
 ??  ?? Erst beim Brennen wird Agosts Ton durch zugesetzte­s Salz weiß.
Erst beim Brennen wird Agosts Ton durch zugesetzte­s Salz weiß.
 ??  ?? Lässt Ton aussehen wie Marmor und Metall: Keramikkün­stler Roque Martínez.
Lässt Ton aussehen wie Marmor und Metall: Keramikkün­stler Roque Martínez.
 ??  ?? Boix im maurischen Ofen.
Boix im maurischen Ofen.

Newspapers in German

Newspapers from Spain