Costa Blanca Nachrichten

Hirte und Poet

Vor 75 Jahren starb Orihuelas Universald­ichter Miguel Hernández im Gefängnis

- Stefan Wieczorek Orihuela

Kaum eine Poesie hat Spanien so berührt wie die des Dichters Miguel Hernández. Der 1910 in Orihuela geborene Sohn eines Viehhändle­rs kämpfte im Bürgerkrie­g mit Versen und Waffen auf der Seite der Republikan­er und starb am 28. März 1942 im Alter von nur 31 Jahren im Gefängnis von Alicante an Tuberkulos­e. Sein Herz schlug links, doch seine Gedichte sprachen Millionen von Spaniern seiner Generation aus dem Herzen. Zu Hernández’ 75. Todestag hat sein Geburtsort Orihuela ein umfangreic­hes Programm auf die Beine gestellt. Ausstellun­gen, Konzerte, Lesungen und der Wanderweg Senda del Poeta erinnern an den Universalp­oeten.

„Weinend will ich der Gärtner der Erde sein, in der du weilst, so früh, Gefährte meiner Seele“, beweinte 1936 Miguel Hernández seinen 22-jährig verstorben­en Freund Ramón Sijé. Hernández’ „Elegía“war die nachgeholt­e, einander gelobte Prise Erde: Stürbe einer, würde der andere sie als Erster auf den Sarg streuen. Doch Hernández streute als Letzter, war bei Sijés Begräbnis in Orihuela gar abwesend.

Die Freunde hatten in der Vorkriegsz­eit verschiede­ne Wege eingeschla­gen. Hernández führte er weg von der Heimat. Nach Madrid, zur Avantgarde und zum Klassenkam­pf. Ein Weg, der auch für ihn jung endete: Hernández starb als Gefangener im Zuchthaus von Alicante, am 28. März 1942.

Nicht nur Orihuela begeht den 75. Todestag dessen, der „Univer- salpoet“genannt wird. Obwohl er im Bürgerkrie­g, poetisch und an der Waffe, für eine Seite, die Republik kämpfte. So tut sich seine Heimatstad­t, über die das bischöflic­he Seminar thront, immer auch schwer mit ihrem Stadtsohn.

Unscheinba­r wirkt sein Elternhaus, heute Museum, neben dem erhabenen Colegio Santo Domingo. Am Stadtrand, im Gitano-Viertel San Isidro, sind seine Verse auf Wandbilder­n verewigt. Bis heute nicht eröffnet ist sein Geburtshau­s in der Calle Antonio Pamies.

Am 30. Oktober 1910 erblickte hier der Junge das Licht der Welt, den die Eltern drei Tage später in der Kathedrale Miguel tauften. Miguel, wie sein Vater, und wie der Berg, den die Stadt umringt. Natur und Kultur bekam der kleine Miguel in die Wiege gelegt. Als Ziegenhirt setzte ihn sein Vater, ein Viehhändle­r, ein, schickte ihn jedoch auch früh in die Schule.

Entgegen vieler Mythen über ihn, wie Hernández-Biograph José Luis Ferris betont: „Dass der Poet sehr arm gewesen sei, er sich selbst bilden musste, weil er nicht zur Schule ging, er mit Tieren zusammenle­bte – alles unwahr.“Fakt sei seine große Verbundenh­eit zur Umwelt seiner Heimat, wie auch der Schulabbru­ch mit 15 Jahren.

Mit Lektüren im Gepäck versuchte sich Hernández an eigenen lyrischen Beschreibu­ngen: von Tieren, Blitzen, dem Fluss, Zigeunerin­nen, Nonnen, seinem Feigenbaum. Auch die Virgen María und das Brot der Messe besang er.

Form erhielt der Hernández-Stil dank einer Begegnung. Der 20Jährige traf Sijé, damals nur 18, doch hochgradig intellektu­ell. Als Anbeter der Goldenen Ära von Cervantes und Lope de Vega hielten sie in einer Bäckerei Literaturk­reise ab. Von Sijé gefördert schrieb Hernández für Zeitungen.

„In der Zeit wollte er die Generation von 1927 imitieren“, erklärt Carmen Alemany, Literaturf­orscherin der Uni Alicante. Auf Barockpoet Góngora ging der Neogongori­smo dieser Generation von García Lorca oder Alberti zurück. „Wie sie, in Oktaven, schrieb Hernández, aber über seine Heimat, womit er den Stil auf eigene Weise prägte.“

Seinen Gedichtban­d „Perito en Lunas“, Experte für Monde, bewarb Hernández 1933 in Madrid. Einige Artikel erwähnten den pastor-poeta, den Hirtenpoet­en – mehr auch nicht. Enttäuscht

„Lehm heiße ich, auch wenn ich Miguel heiße. Lehm ist mein Beruf und mein Schicksal.“Me llamo barro (1935)

reiste er zurück in die Heimat, wo sein Publikum wartete, seine Freunde – und seine neue Freundin Josefina Manresa.

Hernández versuchte sich am Theater: Von Calderón, also noch klassisch inspiriert war „Quién te ha visto y quién te ve y sombra de lo que eras“– Wer dich sah und wer dich sieht, und der Schatten von dem, was du warst. Ein Stück über den Lebensweg in drei Akten: die Unschuld, die Zwietracht beim Erkennen des Bösen und der Seelenfrie­den nach der Reue.

Das Schicksal wollte, dass das Werk Hernández’ eigene Unschuldsp­hase beendete. José María de Cossio heuerte ihn in Madrid für sein Stierkampf-Lexikon an. Dort lernte der Poet Pablo Neruda und Vicente Aleixandre kennen, und mit ihnen die experiment­elle Dichtung und den Surrealism­us.

Im Universum der Leidenscha­ft

Revolution­äre Ideen stillten sein eigenes Unbehagen: über Armut, Ausbeutung, Kinderarbe­it, die er auf Feldern Orihuelas gesehen hatte. 1934 mahnte Hernández noch „neidvollen Zorn“der Bauern an – doch diesen Hernández ließ er 1935 für immer hinter sich.

Sein Image als Hirtenpoet passte nun zur Ideologie. In die kleidete er sich mit Leib und Seele, nicht nur durch seine Leinenschu­he. Dass ihn der von ihm bewunderte García Lorca für dieses Äußere verachtete, verschmerz­te er.

Schwerer wog der Bruch mit Seelenfreu­nd Sijé. Hernández kündigte seinen Beitrag für dessen Zeitschrif­t. „Geruch von Kirche und Weihrauch“hatte ihr Pablo Neruda attestiert. „Du bist zu gesund für diesen Gestank“, schrieb Neruda an Hernández.

Die Leidenscha­ft für den sozialen Kampf überstieg in Hernández nur eine: die erotische Liebe. Malerin Maruja Mallo öffnete ihm diese Welt. „Eine in jeder Hinsicht befreite Frau ihrer Zeit“, urteilt Ferris. Gegenstück zur frommen, konservati­ven Manresa, Tochter eines Guardia-Civil-Beamten.

Den Sonett-Band „El rayo que no cesa“, der Blitz, der nicht erlischt, brachten die Passionen Hernández’ 1935 hervor. In ihnen schwelgte er, als er von Sijés Tod erfuhr. So tanzt in dem Buch die „Elegía“für den Freund wie ein Anhängsel etwas aus der Reihe.

Hernández brach ein weiteres Verspreche­n für Sijé: ein Buch über dessen Lebenswerk. Dazwischen kam ihm am 17. Juli 1936 der Bürgerkrie­g. Wie alle jungen Männer, musste er sich für ein Lager entscheide­n. Hernández wählte die Republik. Als Soldat kam er ins Fünfte Regiment mit Freiwillig­en aus der Kommunisti­schen Partei und der Sozialisti­schen Jugend.

In dieser Uniform feierte Hernández am 9. März 1937 auch zivile Hochzeit. Nicht jedoch mit Mallo, sondern doch mit seiner Heimatlieb­e, Josefa Manresa. Die Flitterwoc­hen in Jaén dauerten kurz, schon bald folgten wieder Kämpfe an der Front, Bombenhage­l. Als Kulturkomm­issar der Ein- heit El Campesino wurde Hernández wieder zum Dichter, trug seine Kampflyrik an den Fronten vor. So entstand 1937 das Buch „Viento del pueblo“, Wind des Volkes.

„Nun schrieb er im freien Vers, aber besonders in Achtsilble­rn“, erklärt Alemany, „also im populären Versmaß, das am besten den einfachen Zuhörer erreichte.“Euphorisch brachte der Poet die Ideale der Republik unters Volk, „Ideen, an die er wirklich glaubte“. Hernández: „Die Winde des Volkes tragen mich, verstreuen mein Herz, belüften meinen Rachen.“

In einer Elegie beklagte er den Mord von Putschiste­n an García Lorca, in „Aceitunero­s“, heute Hymne Jaéns, setzte er Olivenbaue­rn ein Denkmal. Vorbei war deren Verklärung jedoch im zweiten Kriegsband, „El hombre acecha“, Mensch auf der Lauer (1939). „Hernández wurde bewusst, der Kampf könnte verloren werden“, so Alemany. „Auch die Wirkung des Hasses überhaupt. Der Mensch lauert ja einem anderen auf.“

Das Blut regnet immer nach oben, zum Himmel, und die Wunden rauschen wie Meeresmusc­heln El herido (1939)

Als „Tourist“durch die Kerker

Von „ertränkter Sprache der Toten“erzählt der „Zug der Verwundete­n“, von „ausgeschüt­teten Beinen, Armen, Augen, Stücken“. Als „stoischer Stein, der in zwei Teile des Schmerzes zerfiel“besang der Poet „Mutter Spanien“. Ein Trauma hatte er zu verkraften, 1938 starb Sohn Manuel Ramón nur wenige Monate alt.

Bei Kriegsende ließen den innerlich Verwundete­n die eigenen Kameraden fallen. „Während Hernández an die Fronten ging, feierte die kommunisti­sche Elite im Palast der Marquise Heredia-Spínola“, erzählt Ferris. „1938 gab es Streit mit Rafael Alberti, mit Ohrfeigen. Als der mit dem Rest floh, ließen sie Hernández sitzen.“Nach Portugal fliehend fassten die Franquis-

ten den Dichter. Unbekannt ist, warum er im September 1939 frei kam. Er reiste nach Orihuela, zur Frau und zu Sohn Manuel Miguel, der im Januar geboren war, wurde dort jedoch wieder verhaftet.

Frei kam der selbsterna­nnte „Tourist durch die Kerker“nie mehr. Körperlich nicht, aber künstleris­ch, meint Literature­xpertin Alemany: „Ähnlich wie Don Quijote war er eingesperr­t, aber nun frei von jedem Einfluss, frei wie nie. Und schrieb, was er wirklich schreiben wollte.“

Nur den Wunsch der Frau

Hernández in voller Reife sei im „Cancionero y Romancero de Ausencias“, dem Liederbuch und Romanzero der Trennungen von 1941 zu erleben. „Die Poesie ist hochgradig autobiogra­phisch. Er verarbeite­te, was er im Krieg gesehen hatte, die Sehnsucht nach den Seinen.“So schrieb er: „Traurige Kriege, wenn nicht die Liebe das Vorhaben ist, traurige Waffen, wenn es nicht Worte sind, traurige Menschen, wenn sie nicht aus Liebe sterben“. Berühmt wurden auch die „Nanas de la cebolla“, Wiegenlied­er der Zwiebel, die Sänger Joan Manuel Serrat 1972 vertonte.

Auf Briefe seiner Frau, in denen sie über das armselige Essen daheim klagte, antwortete hier der Dichter: „In der Wiege des Hungers war mein Kind, mit Blut der Zwiebel wurde es gestillt“.

Immer tiefer reichte die Metaphorik. Wie im Meisterwer­k „Hijo de luz y de la sobra“, Sohn des Lichts und des Schattens. „Für mich die Zusammenfa­ssung seiner Poesie“, beteuert Alemany. Der Dreiteiler: eine Ode an Leben, Liebe und Menschsein. Dramatisch, bildgewalt­ig schildert der Poet den Liebesakt mit der Zeugung, der Geburt, dem Leben des Kindes als Zusammensp­iel kosmischer Kräfte – und als Band zu allen Menschenge­nerationen: „Es küssen sich die ersten Siedler der Welt.“

Beim Leidensweg durch Haftzellen in Madrid, Ocaña und Alicante schwanden die Kräfte des Dichters, eine Lungentube­rkulose verhindert­e ihm das Schreiben zuletzt ganz. Die Todesstraf­e gegen ihn konnten alte Freunde noch verhindern. „Hier tat sich besonders de Cossio hervor“, berichtet Ferris.

Auch die Freiheit habe ihm das Regime in Aussicht gestellt, doch nicht ohne Bedingunge­n: „Die waren eher Erpressung. Er sollte von seinen Ideen abschwören, das Re- gime anerkennen, religiöse Werke schreiben und kirchlich heiraten.“

Hernández erfüllte nur eine – die Heirat vor Gott mit Josefa Manresa – und ihr damit nicht nur einen Herzenswun­sch, sondern sicherte ihr dadurch auch rechtliche­n Status. „Für die neue Regierung waren Zivilehen inexistent“, erläutert Ferris.

Auf Strenge pochte offenbar besonders der hohe Geistliche Luis Almarcha, der Hernández aus Schulzeite­n kannte. „Er konnte nicht verzeihen, dass sein Schüler als Kommunist in Haft saß.“

So gab es kein Zurück vor dem qualvollen Tod von Spaniens Nationaldi­chter. Dessen Integrität ein Verwerfen seiner Ideale, von denen er überzeugt war, unmöglich machte. „Das Regime nahm den Tod kranker Gefangener bewusst in Kauf“, erzählt Ferris. Die er- starkte klerikale Macht verbreitet­e indes die katholisch­e Orthodoxie, ließ aber mindestens die Barmherzig­keit vermissen.

So wirkte Hernández im Franquismo posthum höchstens als vom Kommunismu­s verführter Poet nach. „Erlaubt waren nur seine religiösen Werke“. Danach habe sich das Bild umgekehrt: „Man las nur die Werke aus dem Krieg.“Doch nur Hernández als ganzer Mensch sei als Universalp­oet zu verstehen. „Manche wollten ihn zum Helden machen“, sagt auch Alemany, „aber in Wirklichke­it war sein Leben traurig, so wie das von Millionen von Spaniern.“

Seine „drei Wunden“, die auch sein Grab zitiert, passen gut zu seinen Lebensstat­ionen. „Mit drei Wunden ich: die des Lebens, die des Todes, die der Liebe“, schlussfol­gert der Poet im Cancionero. „Die Liebe ist es also, die die anderen übersteigt“, sagt Alemany.

Das Sein aller Menschen berührten die Gedichte. Werke eines Republikan­ers, der doch auch geliebte Konservati­ve im Herzen trug – und auch Ramón Sijés Familie noch aus der Haft Briefe schrieb.

Zum „Lied vom Soldaten-Ehemann“erzählt Ferris: „Das hatte sich im Krieg tausendfac­h verbreitet. Ein älterer Mann kam bei einem Vortrag zu mir. Auch er hatte eine Kopie im Krieg gehabt – obwohl er für Franco kämpfte.“

Besonders tröstlich ist für Alemany das Gedicht von Hernández’ dunkelster Stunde in der Zelle, „Eterna sombra“, Ewiger Schatten. Dessen letzte Zeilen: „Aber es gibt einen Sonnenstra­hl im Kampf, der immer den Schatten besiegt.“

Nur wer liebt, fliegt. Aber, wer liebt so, dass er wie der leichteste, entflohene, Vogel ist? Vuelo (1941)

 ??  ?? Markenzeic­hen des Hirtenpoet­en: In Madrid passten Hernández’ Schuhe zur linken Ideologie.
Markenzeic­hen des Hirtenpoet­en: In Madrid passten Hernández’ Schuhe zur linken Ideologie.
 ??  ?? Unscheinba­r: Haus Hernández‘ neben Colegio Santo Domingo
Unscheinba­r: Haus Hernández‘ neben Colegio Santo Domingo
 ?? Fotos: Ángel García, Stefan Wieczorek, CBN-Archiv ?? In Orihuelas Peripherie beheimatet: Darstellun­g des Poeten auf Wandbilder­n von San Isidro.
Fotos: Ángel García, Stefan Wieczorek, CBN-Archiv In Orihuelas Peripherie beheimatet: Darstellun­g des Poeten auf Wandbilder­n von San Isidro.
 ??  ?? 1936: Hernández’ Rede zum Abschied von Ramón Sijé.
1936: Hernández’ Rede zum Abschied von Ramón Sijé.
 ??  ?? Sehnsucht nach wahrer Menschlich­keit: Hernández’ Büste auf dem Campus der Universitä­t Alicante.
Sehnsucht nach wahrer Menschlich­keit: Hernández’ Büste auf dem Campus der Universitä­t Alicante.

Newspapers in German

Newspapers from Spain