So nah und doch so fern
Wie können all die Spanier nur in dem Wissen leben, dass im Süden des Landes eine Region namens Andalusien liegt, die an Schönheit und Einzigartigkeit alles zu überragen scheint? Seit meinem Kurzurlaub in Granada während der Semana Santa stelle ich mir diese Frage unentwegt. Zugegeben, ähnliche Gedanken hege ich in Bezug auf MecklenburgVorpommern. Doch hier kann ich als gebürtiger Stralsunder unmöglich objektiv sein. Als Praktikant in Spanien, einem Land, das ich bestenfalls oberflächlich kenne, ist die nötige Objektivität hingegen durchaus gegeben. Wenn ich in diesem Land leben würde, davon bin ich überzeugt, dann sicher in Andalusien.
Nun ist es nicht so, dass die Costa Blanca reizlos und uninteressant wäre. Umsonst kämen wohl kaum so viele Touristen und Reisende. Doch schon auf der Autofahrt nach Granada stelle ich erstaunt fest, dass sich zu den gewohnten Oliven- und Orangenhainen mehr und mehr unendlich erscheinende saftige Grünflächen gesellen. Die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada am Horizont verleihen diesem Erscheinungsbild ein majestätisches Element, welches sich auch in Granada manifestiert, der letzten Stadt, welche die Christen 1492 von den Muslimen befreiten. Wobei der Begriff Befreiung der Existenz der vorhe- rigen Eroberer oder Landesherren eine negative Konnotation verleiht. Vielmehr glaube ich, dass die muslimische Prägung aus kultureller Sicht ein Glücksfall für die Region ist. Granada beweist dies in eindrucksvoller Weise. Auch zwischenmenschlich habe ich, als unterkühlter Norddeutscher, den Eindruck, dass die Andalusier die ohnehin eher lebensbejahende spanische Mentalität noch ein wenig mehr in sich tragen, als ihre Landsleute aus dem Norden.
Niedrige Löhne, relative Armut und die höchste Arbeitslosenquote in ganz Europa bringen das perfekte Bild der autonomen südspanischen Region leider stark ins Wanken. Es scheint, als wäre eine prosperierende Wirtschaft nur schwer mit natürlicher Schönheit vereinbar. Andalusien belegt dies ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern. So muss ich meine eingangs formulierte Behauptung umformulieren: Wenn ich in Spanien leben würde und finanziell abgesichert und unabhängig wäre, dann sicher in Andalusien. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass es keinen Spanier gibt, der nicht insgeheim gern in Andalusien zu Hause wäre.