Gefahr im Nacken
Nach dem Horrorcrash von Oliva – Wie Radfahrer sich auf der N-332 fühlen
Der Horrorcrash auf der N-332 bei Oliva mit drei toten Radfahrern bleibt nicht ohne Folgen. Die Straßenverkehrsdirektion DGT will künftig per Radar und Hubschrauber Autofahrer verfolgen, die Radfahrer gefährden, etwa weil sie den Sicherheitsabstand von 1,50 Meter beim Überholen missachten. Ferner sollen Strecken ausgewiesen werden, die als sicher für Radfahrer gelten.
Derweil setzt die schockierte Radsportszene ihre Hoffnungen auf Verkehrserziehung und einen Bewußtseinswandel bei den Autofahrern. Auf drastische Weise stellen sie dar, wie Radsportler bisweilen auf stark befahrenen Straßen wie der N-332 um ihr Leben fürchten müssen.
Oliva – sk. Wieder mal gab sich die Nationalstraße N-332 als Schauplatz für eine Tragödie her. Am Kilometer 205 zwischen Oliva und El Verger raste am spanischen Muttertag ein Auto in eine entgegenkommende sechsköpfige Radsportgruppe aus Jávea. Die verheerende Bilanz: Drei Tote und zwei Schwerverletzte. Der Unfallort ein Trümmerfeld zerstückelter Räder auf dem Asphalt. „Dantesk“, nannte der erste Zeuge später das, was er auf der N-332 sehen musste. Verletzte und sterbende Sportler, und hundert Meter weiter hockte die 28-jährige Fahrerin in einer der Abfahrten in die Pampa, weggetreten, blutverschmiert und vollgedröhnt mit Alkohol und Kokain vor dem kaputten Auto ihres Großvaters. Am Sonntagmorgen des 7. Mai gegen 8.30 Uhr auf der N-332.
Das dritte Opfer dieses Horrorcrashs, José Antonio Albi, trug Jávea am Samstag zu Grabe. Wie bei den anderen beiden Verunglückten des N-332-Unfalls, Eduardo Monfort und Luis Alberto Contreras, begleiteten Hunderte von Radfahrern ihn auf seinem letzten Weg. Selten zuvor hat das Kollektiv der Radsportler auf eine so eindrucksvolle, bewegende und grausame Art und Weise seine Verletzlichkeit allen vor Augen geführt. Bürgermeister José Chulvi stand dieser Tage einer Gemeinde vor, die in der Trauer zusammenwuchs. Sichtlich bewegt forderte auch er mehr Sicherheit für Radfahrer. Seit Tagen bersten die sozialen Netzwerke und Medien vor offenen Briefen an die Unglücksfahrerin.
„Rette uns, Mörderin“, schrieb der Radsportler Patrick Ange an die Unglücksfahrerin Mavi Sán- chez. Damit macht er nicht nur der wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Unfallverursacherinn, sondern allen Autofahrern klar, wie sich ein bedrängter Radfahrer auf der N-332 fühlen kann. „Stell dir mal vor, du machst etwas was dir enorm gut gefällt, aber musst dabei alle fünf Minuten um dein Leben fürchten. Jedesmal spürst du, wie etwas in dir drin sich erst vor Angst, Schrecken und dann vor Wut zusammenzieht. Alle fünf Mi- nuten fühlst du einen Stich in der Brust, und deine Arme und Beine fangen das Zittern an. Dabei machst du nichts falsch, sondern jemand anderes verstößt gegen die Gesetze, jemand, dem dein Leben nichts bedeutet, weil du ihn störst und er meint, sein Leben wäre in diesem Moment besser ohne dich.“
Sie hat es in sich die N-332, an diesem schnurgeraden Abschnitt von El Verger nach Oliva. Hier rauscht der Schwerlastverkehr durch. Alle paar Meter gehen kleine Abfahrten in die Orangenfelder aus denen Landwirte mit ihren weißen Kastenwagen raus- und reinfahren. Von Pego her kommen die Leute über den Marjal, fädeln auf die N-332 ein, beschleunigen kurz und bremsen abrupt vor einer der kleinen Abfahrten ab, um mit einem 90-Grad-Schwenk zu ihren Ferienhäusern zu gelangen.
Zu einer entspannten Radtour lädt die N-332 hier nicht ein. An
den oft mit Glassplittern berieselten Seitenstreifen tummeln sich bisweilen auch noch recht pittoreske Gestalten: Prostituierte, fliegende Händler, Vagabunden. Und an den Wochenenden frühmorgens, wenn die Radler ausfahren, kommen die letzten Nachtschwärmer so wie Mavi Sánchez von der Kneipentour über die N-332 zurück.
An diesem Morgen kam sie Jaime Escortell entgegen, der die sechsköpfige Triathlongruppe anführte. Die Todesfahrerin aber sah er nicht kommen, mit so etwas konnte er nicht rechnen. Ein, zwei Sekunden früher oder später, und es wäre vielleicht gar nichts passiert. Mavi Sánchez musste für einen verfluchten Moment eingenickt sein und geriet mit ihrem Auto zuerst auf die andere Fahrbahn und dann auf den Seitenstreifen.
Jaime Escortell sah den Ford erst, als er zwei Meter vor ihm war. Instinktiv riss er sein Rad herum und fuhr gegen die Leitplanke. Das Auto schrammte an ihm vorbei. Für seine fünf Freunde hinter ihm gab es kein Entkommen. „Ich verstehe es bis heute nicht, ich kann einfach nicht verstehen, wie das passieren konnte“, erzählte er der CBN stockend. Es fiel ihm schwer, darüber zu reden. Andrés Contreras und Scott Gordon liegen immer noch mit schweren Verletzungen und furchtbaren Knochenbrüchen im Krankenhaus.
Lange Zeit galt dieser Abschnitt der N-332 als einer der gefürchteten schwarzen Punkte auf Spaniens Straßennetz. Dem ist nicht mehr so. Dem jüngsten Gutachten EuroRap zufolge, an dem der spanische Automobilclub Race, das Pendant zum ADAC, mitwirkt, gibt es in der ganzen Provinz Alicante keine wirklich ernsthafte Gefahrenstelle mehr. Die Straßenverkehrsdirektion DGT stuft die Unfallhäufigkeit auf dem Abschnitt zwischen Oliva und El Verger als mittelschwer ein. Mit dem Rad auf die N-332? Nichtsdestotrotz: Die Nationalstraße zwischen València und Alicante ist die einzige zwischen zwei Provinzhauptstädten in Spanien, die nicht vollständig zweispurig ausgebaut ist. Elf Gemeinden harren einer Umgehung entgegen. Vorneweg Oliva und Benissa, für das sich jetzt eine Lösung abzeichnet (siehe Seite 11).
Das Verkehrsaufkommen auf den 166 Kilometern liegt bei durchschnittlich 15.000 Fahrzeugen täglich, an Abschnitten wie in Oliva können es bis zu 60.000 sein. Was treibt Radsportler auf so eine stark befahrene Straße? „Ich weiß es nicht. Radfahrer, die von außerhalb kommen, zieht es ins Hinterland. Wir meiden die Nationalstraßen“, sagt Tourenführer Burkhard Jost vom Sporthotel Los Caballos in Els Poblets.
Auch Jaime Escortell fährt lieber die ruhigen Landstraßen bei Orba ab. Nationalstraßen meidet er, wann immer er kann. Den für Radfahrer gefährlichen Aufstieg über die N-332 von Altea nach Calp ist er nie gefahren. Ein verfluchter Zufall, dass er an jenem Morgen just zu diesem Moment auf der N-332 für den nächsten Wettkampf in Oliva trainierte. „Die Strecke ist eigentlich nicht gefährlich, sie ist einsehbar und eben“, sagte er.
Sichere Radfahrstrecken gibt es im Hinterland der Provinz Alicante. Die Straßenverkehrsdirektion DGT hat dieses Invive-Strecken aufgeführt (siehe Kasten Seite 4), auch die Provinzverwaltung Alicante will bei Sportlern beliebte Nebenstraßen als Radsportsportstrecken ausweisen und mit Beschilderung, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Maßnahmen wie Bodenschwellen die Sicherheit erhöhen.
Die Rede ist von 400 Kilometern. Damit will die Politik einem Trend Rechnung tragen, der sich immer stärker ausbreitet. Der Radsport boomt an der Costa Blanca. Viel stärker als offizielle Zahlen des Alicantiner Radsportverbands mit seinen 150 Clubs mit über 3.600 Mitgliedern vermuten lassen. Denn die meisten Amateursportler fahren gar nicht im Verein und sind statistisch nicht erfasst.
Viele Autofahrer sehen Radfahrer gar nicht gerne auf der N332. Nur wenige Tage nach dem Unfall zirkulierten Fotos auf Facebook von Radfahrern, die vom Seitenstreifen auf die Fahrbahn ausscheren und Autos zu Aus- weichmanövern zwingen. Der Tenor: Der Unfall ist schlimm, aber das ist wohl auch nicht in Ordnung. Als gelte es, ihnen eine Mitverantwortung zu geben und bei der Gelegenheit unterschwelligen Aggressionen gegen Radsportgruppen Luft loszuwerden. Meist sind die Kommentare nicht nur dumm, sondern auch noch falsch.
Denn Radfahrgruppen dürfen und sollen im Verbund nebeneinander fahren, und diese Gruppen können auch bei durchgezogenem Mittelstreifen überholt werden, falls die Verkehrslage es erlaubt. Dabei muss ein Mindestabstand von 1,50 Meter gewahrt werden. Darauf weisen mehrere Radsportler in den offenen Briefen explizit hin, die Straßenverkehrsdirektion DGT ebenfalls. Mehr Verkehrserziehung Innenminister Juan Ignacio Zoido hat nach dem Unfall angekündigt, härter gegen Alkohol und Drogen am Steuer vorzugehen, auch mit Kontrollen an Samstag- und Sonntagmorgen. Ferner wacht bald Pegasus in der Luft über die wichtigsten Radfahrstrecken. Das Radargerät an den DGT-Helikoptern kann Verkehrsteilnehmer erfassen, die Geschwindigkeitsbeschränkungen und den Mindestabstand von 1,50 Metern zu Radfahrern missachten.
Nach Angaben der DGT verloren in den vergangenen zehn Jahren über 750 Radfahrer bei Unfällen in Spanien ihr Leben. Vergangenes Jahr gab es 68 tote und 652 verletzte Radfahrer, heuer sind es bereits 18 Todesopfer. „Wir werden die wichtigsten Radstrecken lokalisieren und eine spezielle Überwachung mit Pegasus durchführen. Unser Ziel ist, dass Autofahrer auf Radfahrer achten und den Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten, wenn sie überholen. Beim Überholen können Autofah- rer den durchgezogenen Strich überfahren. Viele wissen das nicht, bleiben hinten dran und provozieren so gefährliche Situationen“, sagte DGT-Sprecher Alfonso Triviño.
Radfahrer setzten ihre Hoffnungen ausgerechnet auf Mavi Sánchez. Der offene Brief „Rette uns, Mörderin“greift Forderungen auf, die Radfahrer an Verkehrssünder stellen, die furchtbares Unglück über ihre eigenen und die Familien ihrer Opfer gebracht haben. Sie sollen ein abschreckendes Beispiel abgegeben, bei den Jugendlichen in den Schulen, bei Fahrschülern und Alkoholsündern.
Die Radfahrer versprechen sich mehr von Verkehrserziehung als von harten Strafen. Wie notwendig dies ist, verdeutlicht eine alltägliche Szene, die sich am Dienstagmorgen auf der N-332 in Benissa abspielte. Da stand ein etwa siebenjähriges Schulkind am Zebrastreifen in Höhe der Tierklinik und wollte die Hauptstraße kreuzen. Doch etliche Autofahrer hatten es zu eilig, um für das Kind anzuhalten.
DGT überwacht mit Pegasus die wichtigsten Radstrecken aus der Luft