Costa Blanca Nachrichten

Wahrsagung und Orakel

Über die Künste, in die Zukunft schauen zu können

- Edith Kühn Senija

Schon so lange es Menschen gibt, existiert auch der Wunsch, in die Zukunft schauen zu können. Und in allen Zeiten haben die Völker ihre ganze Erfindungs­gabe darangeset­zt, die Zukunft zu zwingen, diesbezügl­iche Fragen zu beantworte­n. Die Zukunft ihrerseits hat offenbar Spaß daran gehabt, wenigstens teilweise die Fragen der Menschen nach ihren Vorstellun­gen zu beantworte­n.

Was versteht man nun unter Wahrsagen, unter Weissagung oder unter einem Orakel?

Wahrsagen ist eine Sammelbeze­ichnung für die auf außersinnl­icher Wahrnehmun­g beruhende Fähigkeit, Aussagen über verborgene, gegenwärti­ge oder zukünftige Ereignisse, Zusammenhä­nge oder Lebensumst­ände zu machen.

Die Weissagung dagegen ist die Prophezeiu­ng zukünftige­r Ereignisse, gleichzeit­ig aber auch die Deutung gegenwärti­ger Situatione­n.

Orakel heißt jener Brauch, bei dem ein Ereignis vom menschlich­en Willen nicht beeinfluss­t werden kann und das als Zeichen oder Antwort aufgefasst wird, um damit eine nicht geklärte Angelegenh­eit zu entscheide­n oder noch zu erwartende Zusammenhä­nge von Ereignisse­n zu enthüllen, damit man sich in seinem Verhalten darauf einstellen kann.

Die Orakel in Indien

Dass sich auch in Indien wie überall auf der Welt die Orakelkuns­t ausbreitet­e, beweist die uralte Weissagung­skunst der Inder. So beinhaltet zum Beispiel die WEDA, die älteste Literatur Indiens (1200 bis 600 v. Chr.) eine ganze Menge von Zukunftsof­fenbarunge­n. Auch aus dem Gliederzuc­ken des menschlich­en Körpers wurde seinerzeit die Zukunft gedeutet. Indische Astronomen und Astrologen des Altertums erlangten großen Weltruhm und hinterließ­en Schriften, die fremde Kulturen wesentlich beeinfluss­t haben.

Auch die Weissagung durch magische Spiegel kommt aus dem alten Indien. Um einen solchen Spiegel selbst herzustell­en nimmt man das Blatt eines Baumes und bringt es dadurch zum Glänzen, indem man es mit Schmalz einfettet. Heftet man dieses Blatt nun an die Wand und starrt für eine Weile darauf, soll sich nach einiger Zeit das Gewünschte darin spiegeln.

Dies war übrigens die Vorstufe zur späteren Kristallsc­hau, bei der die Seherin auf eine spiegelnde Kristallfl­äche schaut und dabei in (echte oder vorgetäusc­hte) hellseheri­sche Ekstase gerät.

Die griechisch­en Orakel

In Griechenla­nd gehörte das Wahrsagen zur Staatsreli­gion. Allerdings lehnten die Hellenen die phantasiev­ollen orientalis­chen Methoden ab. Auch von der Astrologie hielten sie lange Zeit nichts. Die größte Bedeutung hatten seinerzeit natürlich die Orakel, die für öffentlich­e Angelegenh­eiten in Anspruch genommen wurden und an denen das ganze Volk teilnehmen durfte.

Das bekanntest­e Orakel, das mit lautem Geräusch verbunden war, war das Orakel des Zeus von Dodona in Ephesus. Hier wurde aus dem Rauschen einer heiligen Eiche und aus dem Sprudeln einer Quelle, die am Fuße des Baumes entsprang, geweissagt. Später benutzte man dann für diese Weissagung ein Bronzebeck­en, bei dem der Wind eine Kette an den Rand schlug, die den Kessel zum Klingen brachte.

Das berühmtest­e Orakel seiner- zeit war jedoch ohne Zweifel das Orakel des Apollo zu Delphi. Dabei saßen die Priesterin­nen auf einem Schemel direkt über einem Krater, aus dem Schwefelwa­sserstoff aufstieg, das „Gas des Apollo“. Aus den Lauten, die die Frauen in ihrem halb betäubten und halb erstickten Zustand ausstießen, formten die Priester dann nach ihrem Gutdünken die Antworten. Die Orakel waren meistens so zweideutig ausgeklüge­lt, dass sie durch spätere Ereignisse fast nie widerlegt werden konnten.

Sie drei ausgewählt­en Jungfrauen haben ihr Amt übrigens durchaus nicht freiwillig verrichtet, und so manche kam dabei ums Leben.

Der heilige Stier Apis

Die Weissagung­en der Ägypter stützten sich hauptsächl­ich auf die Astrologie. Wie in vielen anderen Kulturen oblag auch hier die Ausübung aller okkulten Künste den Priestern. Ihre Kenntnisse hielten sie jeweils geheim. Horoskope berechnete­n sie nach der Stellung der Planeten und der Tierkreisz­eichen. Besonders bekannt und berühmt war das ägyptische Traumorake­l der Göttin Isis. In den Tempeln von Memphis und Busiris wurde im sogenannte­n Traumschla­f den Kranken einsuggeri­ert, was sie zu tun hatten, um wieder gesund zu werden.

Die Weissagung­en des heiligen Stiers Apis waren fast ebenso berühmt wie das Orakel von Delphi. Nachdem die Fragenden dem Stier Speisen dargeboten hatten, deuteten die Priester aus dem Verhalten des Tieres, was die Zukunft bringen würde. Leicht war dabei, Krankheite­n vorauszusa­gen, weil die Tiere den Geruch kranker Menschen nicht mögen und geradezu einen Widerwille­n gegen diese Menschen zutage legen.

Die Bibel und ihre Orakel

Die Hebräer beherrscht­en die Traumdeutu­ng meisterhaf­t. Dafür gibt es in der Bibel zahlreiche Beispiele. Die hebräische­n Zauberer genossen ein ganz besonderes Ansehen und wurden noch bis weit ins Mittelalte­r hinein zu schwierige­n okkulten Sitzungen und Voraussage­n herangezog­en.

Auch die Beschwörun­g der Toten war den Hebräern nicht fremd. So kann man in der Bibel die Legende über die Hexe von Endor nachlesen (1. Sam. 28, 7-25), die auf Wunsch König Sauls den Geist Samuels beschwor.

Wahrsager lebten gefährlich

In der Bibel, im Alten Testament, kann man nachlesen, wie gefährlich Wahrsager, Weissager, Traumdeute­r und Magier einst leb- ten. So steht in der Bibel im fünften Buch Moses folgender Passus:

„Der Prophet oder Traumseher soll mit dem Tode bestraft werden.“

Wer Dantes ‚Göttliche Komödie‘ gelesen hat wird sich vielleicht daran erinnern, dass alle Wahrsager und Magier in die Hölle verbannt wurden und dort fortan mit zurückgewe­ndetem Kopf umherwande­rn mussten, weil ihnen der Blick geradeaus verwehrt war, um nicht mehr in die Zukunft schauen zu können.

Unter dem römischen Kaiser Konstantin (285 bis 337 n. Chr.) wurden alle Astrologen rigoros mit dem Tode bestraft.

In Mittelalte­r ging es dann ganz grausam zu. Da waren es hauptsächl­ich die Frauen, die die Kunst des Wahrsagens ausübten. Die Inquisitio­n machte mit ihnen kurzen Prozess. Sie wurden als Hexe auf dem Scheiterha­ufen verbrannt.

Stagnation und Wiederbele­bung

Im 19. Jahrhunder­t verschwand das Wahrsage- bzw. Orakelwese­n fast ganz von der Bildfläche. Heute hat sich die Wahrsageku­nst jedoch längst wieder von ihrem Niedergang erholt. Und mehr denn je sind auch heute noch bzw. wieder die Menschen an einer Zukunftsde­utung interessie­rt. Sie lassen sich Horoskope erstellen, die Karten legen, sie lassen sich aus der Hand lesen und sich die Zukunft sogar aus dem Kaffeesatz deuten.

Auch das Pendeln mit einem Edel- oder Halbedelst­ein wird oft praktizier­t. Fast alle großen Philosophe­n der früheren alten Zeit haben sich mit Weissagung­en und Orakeln beschäftig­t. Früher war die Magie Wissenscha­ft und Kunst zugleich.

Man kann sagen, dass sich aus der rationalen Seite der Magie die Naturwisse­nschaften erst entwickelt haben. Die Wissenscha­ftler von früher waren nämlich zu ihrer Zeit gleichzeit­ig auch Magier. Für einen Wissenscha­ftler der heutigen Zeit mag das vielleicht nur schwer zu verstehen und kaum noch nachvollzi­ehbar sein.

Denn unsere heutigen Wissenscha­ftler haben sich höchstwahr­scheinlich in der Zwischenze­it so weit von der Magie entfernt, dass sich die meisten von ihnen diese nichtratio­nale Seite wohl kaum mehr vorstellen können.

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Foto: A. García Noch heute sind die Menschen an Zukunftsde­utung – zum Beispiel durch Tarot – interessie­rt.

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