Ediths Ecke: Spain is different
Hallo Frau Edith, bevor ich meine Sorge schildere, ein wenig über mich. Ich möchte nicht meinen vollen Namen nennen, weil ich eine öffentliche Person bin. Toni sollte reichen. Ich bin ein deutscher Sportler bei einem Ballsportclub im Zentrum Spaniens.
Eigentlich müsste ich mich riesig freuen: Zum ersten Mal habe ich hier den Ligatitel gewonnen! Stattdessen bin ich betrübt. Was ist passiert? Am Sonntag siegten wir im entscheidenden Spiel. Nach Abpfiff brach Jubel aus. Wir tanzten, sangen, wollten den Pokal küssen.
Doch den – gab es nicht! Ein Scherz? „Nein“, sagte man uns. „Den gibt‘s nach der Sommerpause. So ist das hier in Spanien.“Unfassbar! Ich fluchte, was ich ja nie tue. Meine Mitspieler taten es mir auf Portugiesisch, Kroatisch, Französisch, Arabisch, Walisisch gleich. Am schlimmsten traf’s unsere Nummer sieben. Der hatte für den Cup in seinem privaten Museum schon einen Platz freigeräumt.
Die Bilder von der Feier auf dem Rasen kann ich nicht anschauen. Wie sieht das aus? Ein Pulk aus jubelnden Spielern ohne Pokal wirkt wie ein Stier ohne Hörner. Irgendwas hätten sie uns in die Hand drücken können! Eine billige Kopie wie in Deutschland, oder eine Schinkenkeule... Doch nichts gab’s. Nur die Spanier fanden es normal. „Spain is different“, sagte mir Kollege Sergio. Scherzkeks! Wie wichtig ihm Pokale sind, sah man ja, als er mal einen vom Bus fallen ließ. „Mañana“, hätte ich noch lustig gefunden. Aber „nächste Saison“ist zu krass.
Was, wenn einer von uns vorher nach China wechselt? Eigentlich hätte ich gewarnt sein müssen. Nach den Wahlen warteten die Spanier ja auch so lange auf einen Präsidenten. Doch ich dachte, die Zeiten sind vorbei, in denen ich auf den ersten Kuss so lange warten muss. Doch genauso fühle ich mich jetzt! Was soll ich machen? Soll ich meine Traurigkeit verbergen? Soll ich sie per Facebook mit meinen Fans teilen? Soll ich vielleicht aus der Geschichte etwas lernen? Bitte antworten Sie mir, Frau Edith.
P.S. Wie ich Sie kenne, werden Sie sagen, dass das Materielle nicht so wichtig ist wie Freude, Geduld, Vereinstreue... Sie hätten damit ja recht. Haben Sie jedoch Verständnis für ein gebrochenes Sportlerherz.