Die Freiheit in der Georgstraße
Gunter Schwäble aus Rojales mit einer amüsanten Geschichte über eine falschverstandene Partnersuche
Die Freiheit des Einen endet da, wo sie dem Anderen lästig wird, lautet die total verstaubte Koexistenzmaxime aus einer Zeit, als man Wichtiges noch in Notizbücher kritzelte. Auf dem Smartphone lässt sich heute alles speichern, und man ist damit überall und jederzeit mitten im Leben – allerdings nur als Zuschauer. Freiheit total! Man muss nicht mehr mühsam persönliche Beziehungen aufbauen. Per Handy schaut man auf der ganzen Welt mal eben vorbei. Allerdings gibt es dann auch niemand, der sich für den freiheitsliebenden App-Wischer interessiert. Ergo kann die handydefinierte Freiheit einem selbst lästig werden.
Der lange Jahre erfolgreich verteidigten Freiheit überdrüssig – und zwar gründlich – war eines Tages auch Käthe, ein nunmehr etwas spätes Mädchen, wohnhaft in einer deutschen Großstadt, Georgstraße 24. Sie sehnte sich nach Grenzen, nach Fesseln, nach Bindung, nach Hingabe, kurz: ein Mann musste her!
Wieder und wieder schaute sie aus dem Fenster ihrer Wohnung, ob vielleicht etwas Männliches, Kavalierartiges unterwegs sei, dem sie ein Tüchlein vor die Füße segeln lassen könnte. Heute war auch wieder nichts los. Le- diglich von links, weit hinten in der Straße, näherte sich langsam ein Auto. Auf seinem Dach befand sich ein auffallendes Gestell. Es sah aus wie eine mehräugige Kamera. Mensch, das sind doch die „Street-Viewer“, erkannte Käthe und eine Blitzidee erhellte ihren naturtrüben Blick: Nicht einen Kerl werde ich locken – nein, Tausende!
Sie rannte ins Bad, zog die Lippen nach, knallte sich etwas Rouge auf die Wangen, riss ein Schreibmaschinenblatt aus der Schublade im Wohnzimmer, schrieb mit dem dicken Marker „FR E I“darauf und hetzte wieder ans Fenster – dem sich auch schon der Aufnahmewagen näherte. Sie setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf und hielt das Blatt mit beiden Händen über den Kopf.
Langsam entfernte sich das Fahrzeug wieder aus der Straße mit Käthes Lächeln, einem sensationellen Augenaufschlag und Käthes erwartungsvoller Botschaft als Beute von Haus Nummer 24 auf dem Chip. Und Käthe schöpfte Hoffnung in vollen Zügen.
Der Sommer verging. Käthe haderte immer noch mit der nervtötenden Freiheit und schaute auch wieder regelmäßig aus dem Fenster. Es war ein nieseliger Herbsttag, an dem selbst Käthe kein Fenster öffnen wollte, als jemand bei ihr klingelte.
Käthe betätigte den elektrischen Türöffner und spähte ins Treppenhaus hinaus. Was sie da vernahm, klang nach den Schritten eines gestandenen Mannsbildes und dann tauchte ein Kerl auf, für den ihr spontan nur eine passende Typisierung einfiel: Ritter ohne Fehl und Tadel!
Na also, geht doch, frohlockte Käthe, man muss nur Geduld haben, aber dann, dann beißt erste Sahne an. Sie setzte ihr huldvolls- tes Lächeln auf, bat den Herzensbrecher herein und erfuhr alsbald, der Ritter heiße Müller und habe sie im Internet entdeckt. Zum Beweis hielt sich der knackige Müller einen vierfarbigen Fotoausdruck vor die Heldenbrust und fing sogleich an, heftig zu balzen, wie Käthe mit sicherem Gespür empfand. Ganz auf Casanovamasche säuselte Müller nämlich mit dem gewinnendsten Lächeln die betörenden Worte:
„Darf ich fragen, wieviel Zimmer die Wohnung hat?“
Echt süß ist der, schmolz Käthe dahin, einer von der praktischen Sorte!
„Zweieinhalb Zimmer, Küche, Bad. Ein schnuckeliges Nestchen zum Glücklichsein“, flötete Käthe verzückt und zelebrierte einen Augenaufschlag vom Allerfeinsten.
Nun vermochte auch der triebhafte Müller seine leidenschaftliche Entschlossenheit nicht länger zu zähmen:
„Jaaaa, wie hoch ist denn die Miete? Und wann würden Sie die Wohnung räumen?“
Stocksauer beendete Käthe Müllers kläglichen Minnedienst, indem sie den Raubritterverschnitt zur Tür hinaus schob und bedauerte, keine Streitaxt zur Hand zu haben. Dann schrieb sie einen geharnischten Brief an die „Street-Viewer“: Alles löschen! Aber sofort!