Stählerne Bewegungen
Per Zufall zum Künstler: Georgie Poulariani nimmt seit drei Jahren dem Metall seine Härte
Georgie Poulariani zeigt seine Hände. Sie sehen – immer noch – eher wie Büro- als wie Arbeitshände aus. Das, was er mit ihnen geschaffen hat, hat auf Fingern und Handflächen noch keine Spuren hinterlassen. Dabei ist seine Werkstatt mittlerweile der wichtigste Ort seines Lebens. „Hier ist es wie im Himmel. Für mich ist das keine Arbeit, sondern ein Vergnügen“, sagt er und schaut auf Werkbänke, auf Schweiß- und Schleifmaschinen, auf Bohrer, angefangene, halbfertige und fertige Skulpturen an Wänden, an der Decke und auf dem Boden, schaut auf Stahlreste und Drähte.
Nur seine unverbrauchten Hände verraten, dass das alles noch Neuland für ihn ist. Erst vor drei Jahren wurde der damals 44-Jährige zum Künstler. Zufällig. Und es treibt ihn fast in den Wahnsinn zu wissen, wieviel Zeit seines Lebens er mit anderen Dingen als der Kunst verloren hat.
Ein Zufall mit Folgen
„Ich habe mich zuvor überhaupt nicht für Kunst interessiert, habe nie eine Galerie betreten“, sagt der gebürtige Georgier mit niederländischer Staatsangehörigkeit in perfektem Englisch. Jetzt hat er eine eigene Galerie am Ortsausgang von Benissa, in Richtung Calp, in der er einige seiner Werke ausstellt. „Alles ist aus recyceltem Stahl“, sagt er. Aus kleinsten Teilen gefertigte Hände sind da zu sehen, eine Ballerina, Bewegungen und Emotionen aus Drähten, eine Krake, die nichts Stählernes mehr an sich hat und doch aus dem harten Material geschaffen wurde.
Wie es zu dem Zufall kam, der Poularianis Leben veränderte? Eigentlich verdient er sein Geld seit jeher mit einem internationalen Transportunternehmen, das neben der Kunst auch heute noch sein sicheres finanzielles Standbein ist – auch wenn er nach erst drei Jahren als Kunstschaffender immer weniger darauf angewiesen ist. 2006 kam er mit seiner Familie nach Spanien, die Costa Blanca war für ihn Liebe auf den ersten Blick. Nach Jalón lebt er mittlerweile in Calp. Eines Tages ließ er ein Stück Isolierschaum hinter seinem Haus liegen und vergaß es dort. Zum Glück, würde er heute sagen.
Als er den Schaum nach einer Woche wiederfand, hatte er sich seltsam verformt. „Es sah aus wie eine Menge Pilze“, sagt er. Bis auf einige Stücke, die irgendwie nicht dazu passten. Poulariani begann, an dem Gebilde herumzuschneiden, „ich schnitt immer mehr, mit kleinen Bewegungen, und sah, dass Formen entstanden. Eine Giraffe, ein Elefant, das war der Wahnsinn. Ich wusste gar nicht, was da passierte“, sagt er begeistert.
Heute weiß er es. Es war der Moment, in dem er sein Talent für die künstlerische Gestaltung von Formen entdeckte. Und seitdem ist alles anders. „Ich verliebte mich in die Formen und begann wie ein Verrückter, neue zu schaffen.“Zunächst aus Isolierschaum, dann machte er sich auf die Suche nach anderen Materialien. „Ich versuchte es mit Polyester, mit Gips und auch mit Ton, aber ich wollte etwas Stabileres. Und so kam ich zum Metall, das fand ich einfach wunderbar.“
Eine Entdeckung, von der heute seine Galerie und seine Werkstatt zeugen. „Wow“ist der erste Gedanke, wenn man den Drachenkopf sieht, den Baum mit seinen Ästen und Zweigen, den prächtigen Löwenkopf, den Stier oder den in der Luft schwebenden Fisch. Und es wundert einen nicht, dass es genau das ist, was Poulariani bei
den Betrachtern bewirken will. „Ich bin praktisch auf der Jagd nach dem Wow-Effekt“, sagt er und zeigt auf die metallenen Hände, für die seine eigenen Modell gestanden haben. „Für dreidimensionale Formen ist es am besten, ein Modell zu haben. Normalerweise habe ich das nicht und muss auf viele Fotos zurückgreifen. Aber für eine Hand habe ich immer ein Modell dabei, meine eigene.“
Dem Stahl die Härte nehmen
Eine der Stahlhände hält mit zwei Fingerspitzen einen Schmetterling, was sie noch leichter, noch sanfter wirken lässt. „Das ist die Herausforderung“, sagt Poulariani. „Aus einem so harten und schwer zu formenden Material wie dem Stahl etwas so Zartes zu schaffen, ihm alle Härte zu nehmen.“Eine Menge Arbeit sei das, gibt er zu und zeigt auf die unzähligen runden Metallplättchen – Reste vom Metallstanzen – aus denen die Hand gemacht ist.
„Es gibt einige Abladeplätze in der Nähe, wo man diese Stahlreste findet“, sagt er. In seiner „AbfallEcke“bewahrt er die Funde vom Müll auf. Metall in sämtlichen Formen und Größen, flexible Stahlblätter, die bei ihm zu Pflanzen werden, Drähte, die er zu Löwenhaaren formt, Kreise, die aneinandergeschweißt undenkliche Möglichkeiten bieten. Was für andere Abfall ist, ist für ihn die Grundlage seiner Kunst. „Ich gebe dem Metall dadurch eine zweite Chance“, sagt er.
So wie auch er seine zweite Chance bekommen hat. „Wie viele Menschen gibt es wohl, die nie erfahren, dass sie ein bestimmtes Talent haben?“, fragt er nachdenklich. Erst im Nachhinein sei ihm aufgefallen, dass er schon immer ein visuelles Gedächtnis für Formen gehabt habe. „Wenn ich mir in der Schule Texte gemerkt habe, habe ich mich immer in Formen an sie erinnert, hatte immer die Aufteilung der Buchseite im Kopf.“
Seitdem ihm diese Art und Weise, die Dinge zu sehen, bewusst ist, sei alles ganz leicht. „Ich sehe Gegenstände und Personen jetzt mit ganz anderen Augen“, sagt er. „Mein Kopf ist voller Ideen. Ich denke die ganze Zeit an Skulpturen, ich träume sogar von ihnen. Das, was hier in der Galerie ausgestellt ist, entspricht vielleicht einem Prozent von dem, was in meinem Kopf ist.“
Wobei er auch schon bei seinem zurzeit größten Dilemma wäre. „Ich kann überhaupt nicht zeichnen, kann die Dreidimensionalität nicht auf flaches Papier bringen“, sagt er und weiß nicht, wohin mit seinen Ideen. „Wenn ich etwas im Kopf habe, muss ich es machen, um es zu erklären oder zu zeigen, da ich keine Skizze anferti- gen kann. Aber ich kann doch nicht direkt alles machen, um es nicht zu vergessen“, meint er lachend.
Genau danach sieht es allerdings in seiner Werkstatt auch aus: Hier wird ohne Ende gemacht. Nicht nacheinander, sondern parallel, gerade so, wie es Poulariani in den Kopf kommt. „Ich bin etwas chaotisch“, gibt er unumwunden zu und erklärt, mit welchen Werkzeugen er seine Kunst schafft, wie er lötet, schweißt, schleift, poliert und bohrt.
Eine Maschine hat er sogar selbst entwickelt, um die dickeren Drahtstücke in Form bringen zu können, sodass sie zum Beispiel wild den Löwenkopf umspielen. Für welchen er an anderer Stelle ein Foto als Vorlage liegen hat. „Das Foto ist aber nur ein Anhaltspunkt“, sagt er. „Danach gehe ich meinen eigenen Weg und versuche, aus einer normalen Sache etwas Außergewöhnliches zu schaffen.“
Dass er dabei nur in Ausnahmefällen – wenn also ein Kunde es ausdrücklich wünscht – ein und dieselbe Skulptur zweimal formt, wun- dert einen nicht, wenn man Poulariani ein wenig kennengelernt hat. „Das ist doch viel zu langweilig, eine Zeitverschwendung. Ich würde dahin zurückgehen, wo ich schon war. Aber ich will mich weiterentwickeln. Jede neue Skulptur ist ein Stück besser als die vorherige“, sagt er, wobei er im Hinterkopf immer diese „verlorenen Jahre“hat.
Einen Zeichenkurs angefangen
„Ich muss das alles aufholen, will so viel Wissen wie möglich aufsaugen“, erklärt er und beginnt von seinem Lebenswandel zu schwärmen. „Ich bin der glücklichste Mensch der Welt, weil ich einfach alle Formen schaffen kann und das zum Beruf machen konnte, was ich wirklich liebe.“
Und auch das Problem mit den Skizzen wird er sicherlich noch in den Griff bekommen. „Ich habe vor kurzem mit einem Zeichenkurs angefangen.“Damit das Chaos im Kopf und das in der Werkstatt nicht zu groß werden – denn Poularianis Ideen und auch seine Aufträge werden jeden Tag mehr.
Wie das Ganze sich weiterentwickeln wird, darauf ist er selbst gespannt. „Im Moment bin ich verliebt ins metallene Material. Aber ich bin noch auf der Suche. Wer weiß heute schon, was ich morgen mache.“