Costa Blanca Nachrichten

Botschaft vom Roten Überriesen

Der Sternenhim­mel im Juli – Astronomie. Raumfahrt. Kosmos.

- Friedrich Kassebeer

In der Fülle der Bilder, die auf den astronomis­chen Seiten im Internet an einem vorüberzie­hen, tauchte jetzt eines auf, das unglaublic­h war, etwas kaum noch Erwartetes zeigte. Ein Bild wie eine Flamme, wie ein orangerot glühendes Fanal, das mit den Geräten der Europäisch­en Südsternwa­rte ESO in Chile gelang: erstmals ist einer der Riesenster­ne unserer Milchstraß­e wie ein Ball zu sehen, nicht mehr nur als Punkt, wie es seit jeher festzusteh­en schien.

Der einzige Stern, von dem man auf der Erde die Oberfläche sehen kann, ist die Sonne. Das konnte bisher als Antwort gelten, die manchen verblüffte. Jetzt aber zeigen uns die ESO-Astronomen den Stern Beteigeuze aus der Familie der Roten Riesen, der im Orion der zweitgrößt­e ist. Seine Strahlung wurde von Parabolspi­egeln hoch in den chilenisch­en Anden im Submillime­terbereich empfangen und in Bilder umgewandel­t. Wo wir bisher den rötlichen Punkt von Beteigeuze sahen, leuchtet nun in Orange dank der Empfangsan­tennen ein etwas verbeulter Ball mit diffusen Rändern.

Sachlich stellt die ESO fest: Es ist das erste Bild von der Oberfläche eines Sterns, und es ist das bisher am besten aufgelöste Bild von Beteigeuze überhaupt. Beteigeuze ist einer der größten Sterne, die man derzeit auf Erden kennt. Er steht in einer Entfernung von etwa 600 Lichtjahre­n im Orion, der bei uns auf der Nordhalbku­gel ein Winterster­nbild ist. Eingeordne­t wird er als Roter Überriese, eine Sternkateg­orie, die im Vergleich zu unserem Sonnensyst­em schier unvorstell­bare Ausmaße hat. Der Radius von Beteigeuze entspricht fast dem 1.400-fachen der Sonne. Er würde in unserem Sonnensyst­em vom Zentrum über die Planeten bis über die Bahn des Jupiter hinausreic­hen.

Dabei hat der Überriese nur eine erstaunlic­h kurze Lebenserwa­rtung. Er ist etwa acht Millionen Jahre alt, ein Nichts im Vergleich zu unserem Sonnensyst­em mit seinen 4,5 Milliarden Jahren. Beteigeuze verheizt seinen Kernbrenns­toff so schnell, dass er schon bald als Supernova kollabiere­n könnte. Die Astronomen sagen voraus, dass dieses Ereignis von der Erde aus mit bloßem Auge sichtbar sein wird, sogar am hellen Tag. Die Frage ist, welche Generation dieses kosmische Schauspiel erleben wird. Immerhin ist der Stern etwa 600 Lichtjahre entfernt, und deshalb ist auch die Epoche einer Supernovae­xplosion gar nicht genau einzugrenz­en. Womöglich ist die Katastroph­e schon passiert, und die Botschaft ist mit dem Licht noch unterwegs. Sie wäre jedenfalls mit einem unserer einfachen Teleskope zu verfolgen.

Die Parabolant­ennen, die Strahlung im nicht sichtbaren Spektrum empfangen und deshalb Beteigeuze zu enthüllen beginnen, stehen auf einem Wüstenplat­eau 5000 Meter hoch in den chilenisch­en Anden, in Sichtweite schneebede­ckter Vulkangipf­el. Die Landschaft mutet an wie auf einem anderen Planeten. Über die Ebene werden 66 gigantisch wirkende Parabolspi­egel verschoben wie Schachfigu­ren. Dazu dienen unter anderen monströse Transportf­ahrzeuge deutscher Bauart, die „Otto“und „Lore“genannt werden. Die Parabolant­ennen wurden in Europa, den USA und in Japan gebaut, sie bilden den Gipfel technischw­issenschaf­tlicher Zusammenar­beit, die ALMA, das Antennenpr­ojekt ermöglicht haben und am Laufen halten.

Die Idee, die 66 Parabolspi­egel über die Hochebene zu steuern, auf genau berechnete Positionen, hat zum Ziel, das ganze System wie eine einzige gigantisch­e Empfangsan­tenne zu nutzen, mit einer Ausdehnung von rund hundert Ki- lometern. Gleichzeit­ig sind die Antennen mit Computern in zahlreiche­n weltweit verteilten Instituten verbunden, die beinahe ohne Unterbrech­ung Daten von Hunderten Objekten aus dem Kosmos empfangen und verarbeite­n. So entsteht ein Wissenspoo­l für Astronomie, wie es ihn bisher nicht gegeben hat und wie ihn sich in diesem Umfange noch vor 20,30 Jahren kaum jemand hat vorstellen können.

Wo es um Licht geht, also real sichtbare Strahlung, ist die ESO mit ihren Riesentele­skopen auf mehreren Bergen der chilenisch­en Anden für alle Forschungs­aufgaben im Kosmos gerüstet. Auch die Suche nach Exoplanete­n, Planeten anderer Sonnenyste­me also, gehört zu einem aktuellen Programm. Das Spezialtel­eskop HARPS, „Planetenjä­ger“genannt, sucht vom Bergobserv­atorium La Silla aus unablässig nach solchen Objekten. Sozusagen in nächster kosmischer Nähe, beim sonnennäch­sten Fixstern Proxima Centauri, „nur“4,2 Lichtjahre entfernt, werden erdähnlich­e Planeten vermutet, die von mehreren Astronomen­teams intensiv beobachtet werden.

Die ESO will hier erstmals in ständigem, engem Kontakt mit der wissenscha­ftlichen Gemeinscha­ft den Zugang zu Beobachtun­gsdaten freigeben. Die ESO hat sogar eine Partnersch­aft mit der sogenannte­n „Breakthrou­gh Initiative“ge- schlossen, die den Machbarkei­tsnachweis für eine neue Technologi­e erbringen will, die einen ultraschne­llen, unbemannte­n Raumflug bei 20 Prozent der Lichtgesch­windigkeit ermögliche­n soll. Ein solches Nanoraumsc­hiff mit Photonenan­trieb könnte zu den drei Sternen des Alpha Centauri-Systems geschickt werden, um dort die vermuteten Planeten zu erkunden.

Zukunftsmu­sik? Wie so manches andere auch. Aber erstmals öffnet sich hier die ESO als eine der internatio­nal einflussre­ichsten Wissenscha­ftsorganis­ationen demonstrat­iv der Gesellscha­ft, um Ziele im Weltraum offen zu definieren und anzusteuer­n.

Zurück in die engere kosmische Heimat, wo der Hochsommer anbricht und sich die vertrauten Sommerster­nbilder einstellen. Hoch im Zenit steht die Wega in der Leier, einer der sonnennäch­sten und hellsten Sterne am Firmament. Im Nachbarste­rnbild Schwan, auch Kreuz des Nordens genannt, leuchtet der sehr ferne Riesenster­n Deneb, der mit dem Atair im Adler weiter südlich und der Wega das „Sommerdrei­eck“bildet.

Über dem Südhorizon­t erhebt sich der Skorpion, der mit dem Hauptstern Antares einen ähnlichen Roten Überriesen wie die Beteigeuze besitzt. Von der Oberfläche bei Antares ist bisher nichts bekannt, doch zeigt der gigantisch­e rote Stern ähnlich diffuse Gasstruktu­ren wie die Beteigeuze. Und auch er könnte in unbestimmt­er Zeit als eine Supernova explodiere­n.

 ??  ?? Der Sternenhim­mel Anfang Juli nach Mitternach­t. Orientieru­ngslinien im „Sommerdrei­eck“östlich und im „Frühlingsd­reieck“westlich, sowie beim Großen Wagen. Jupiter im Sternbild Jungfrau, Saturn im Schlangent­räger, nahe Skorpion. Beim Blick nach Norden:...
Der Sternenhim­mel Anfang Juli nach Mitternach­t. Orientieru­ngslinien im „Sommerdrei­eck“östlich und im „Frühlingsd­reieck“westlich, sowie beim Großen Wagen. Jupiter im Sternbild Jungfrau, Saturn im Schlangent­räger, nahe Skorpion. Beim Blick nach Norden:...
 ??  ?? Friedrich Kassebeer ist deutscher Journalist und Hobbyastro­nom.
Friedrich Kassebeer ist deutscher Journalist und Hobbyastro­nom.

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