Botschaft vom Roten Überriesen
Der Sternenhimmel im Juli – Astronomie. Raumfahrt. Kosmos.
In der Fülle der Bilder, die auf den astronomischen Seiten im Internet an einem vorüberziehen, tauchte jetzt eines auf, das unglaublich war, etwas kaum noch Erwartetes zeigte. Ein Bild wie eine Flamme, wie ein orangerot glühendes Fanal, das mit den Geräten der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile gelang: erstmals ist einer der Riesensterne unserer Milchstraße wie ein Ball zu sehen, nicht mehr nur als Punkt, wie es seit jeher festzustehen schien.
Der einzige Stern, von dem man auf der Erde die Oberfläche sehen kann, ist die Sonne. Das konnte bisher als Antwort gelten, die manchen verblüffte. Jetzt aber zeigen uns die ESO-Astronomen den Stern Beteigeuze aus der Familie der Roten Riesen, der im Orion der zweitgrößte ist. Seine Strahlung wurde von Parabolspiegeln hoch in den chilenischen Anden im Submillimeterbereich empfangen und in Bilder umgewandelt. Wo wir bisher den rötlichen Punkt von Beteigeuze sahen, leuchtet nun in Orange dank der Empfangsantennen ein etwas verbeulter Ball mit diffusen Rändern.
Sachlich stellt die ESO fest: Es ist das erste Bild von der Oberfläche eines Sterns, und es ist das bisher am besten aufgelöste Bild von Beteigeuze überhaupt. Beteigeuze ist einer der größten Sterne, die man derzeit auf Erden kennt. Er steht in einer Entfernung von etwa 600 Lichtjahren im Orion, der bei uns auf der Nordhalbkugel ein Wintersternbild ist. Eingeordnet wird er als Roter Überriese, eine Sternkategorie, die im Vergleich zu unserem Sonnensystem schier unvorstellbare Ausmaße hat. Der Radius von Beteigeuze entspricht fast dem 1.400-fachen der Sonne. Er würde in unserem Sonnensystem vom Zentrum über die Planeten bis über die Bahn des Jupiter hinausreichen.
Dabei hat der Überriese nur eine erstaunlich kurze Lebenserwartung. Er ist etwa acht Millionen Jahre alt, ein Nichts im Vergleich zu unserem Sonnensystem mit seinen 4,5 Milliarden Jahren. Beteigeuze verheizt seinen Kernbrennstoff so schnell, dass er schon bald als Supernova kollabieren könnte. Die Astronomen sagen voraus, dass dieses Ereignis von der Erde aus mit bloßem Auge sichtbar sein wird, sogar am hellen Tag. Die Frage ist, welche Generation dieses kosmische Schauspiel erleben wird. Immerhin ist der Stern etwa 600 Lichtjahre entfernt, und deshalb ist auch die Epoche einer Supernovaexplosion gar nicht genau einzugrenzen. Womöglich ist die Katastrophe schon passiert, und die Botschaft ist mit dem Licht noch unterwegs. Sie wäre jedenfalls mit einem unserer einfachen Teleskope zu verfolgen.
Die Parabolantennen, die Strahlung im nicht sichtbaren Spektrum empfangen und deshalb Beteigeuze zu enthüllen beginnen, stehen auf einem Wüstenplateau 5000 Meter hoch in den chilenischen Anden, in Sichtweite schneebedeckter Vulkangipfel. Die Landschaft mutet an wie auf einem anderen Planeten. Über die Ebene werden 66 gigantisch wirkende Parabolspiegel verschoben wie Schachfiguren. Dazu dienen unter anderen monströse Transportfahrzeuge deutscher Bauart, die „Otto“und „Lore“genannt werden. Die Parabolantennen wurden in Europa, den USA und in Japan gebaut, sie bilden den Gipfel technischwissenschaftlicher Zusammenarbeit, die ALMA, das Antennenprojekt ermöglicht haben und am Laufen halten.
Die Idee, die 66 Parabolspiegel über die Hochebene zu steuern, auf genau berechnete Positionen, hat zum Ziel, das ganze System wie eine einzige gigantische Empfangsantenne zu nutzen, mit einer Ausdehnung von rund hundert Ki- lometern. Gleichzeitig sind die Antennen mit Computern in zahlreichen weltweit verteilten Instituten verbunden, die beinahe ohne Unterbrechung Daten von Hunderten Objekten aus dem Kosmos empfangen und verarbeiten. So entsteht ein Wissenspool für Astronomie, wie es ihn bisher nicht gegeben hat und wie ihn sich in diesem Umfange noch vor 20,30 Jahren kaum jemand hat vorstellen können.
Wo es um Licht geht, also real sichtbare Strahlung, ist die ESO mit ihren Riesenteleskopen auf mehreren Bergen der chilenischen Anden für alle Forschungsaufgaben im Kosmos gerüstet. Auch die Suche nach Exoplaneten, Planeten anderer Sonnenysteme also, gehört zu einem aktuellen Programm. Das Spezialteleskop HARPS, „Planetenjäger“genannt, sucht vom Bergobservatorium La Silla aus unablässig nach solchen Objekten. Sozusagen in nächster kosmischer Nähe, beim sonnennächsten Fixstern Proxima Centauri, „nur“4,2 Lichtjahre entfernt, werden erdähnliche Planeten vermutet, die von mehreren Astronomenteams intensiv beobachtet werden.
Die ESO will hier erstmals in ständigem, engem Kontakt mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft den Zugang zu Beobachtungsdaten freigeben. Die ESO hat sogar eine Partnerschaft mit der sogenannten „Breakthrough Initiative“ge- schlossen, die den Machbarkeitsnachweis für eine neue Technologie erbringen will, die einen ultraschnellen, unbemannten Raumflug bei 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ermöglichen soll. Ein solches Nanoraumschiff mit Photonenantrieb könnte zu den drei Sternen des Alpha Centauri-Systems geschickt werden, um dort die vermuteten Planeten zu erkunden.
Zukunftsmusik? Wie so manches andere auch. Aber erstmals öffnet sich hier die ESO als eine der international einflussreichsten Wissenschaftsorganisationen demonstrativ der Gesellschaft, um Ziele im Weltraum offen zu definieren und anzusteuern.
Zurück in die engere kosmische Heimat, wo der Hochsommer anbricht und sich die vertrauten Sommersternbilder einstellen. Hoch im Zenit steht die Wega in der Leier, einer der sonnennächsten und hellsten Sterne am Firmament. Im Nachbarsternbild Schwan, auch Kreuz des Nordens genannt, leuchtet der sehr ferne Riesenstern Deneb, der mit dem Atair im Adler weiter südlich und der Wega das „Sommerdreieck“bildet.
Über dem Südhorizont erhebt sich der Skorpion, der mit dem Hauptstern Antares einen ähnlichen Roten Überriesen wie die Beteigeuze besitzt. Von der Oberfläche bei Antares ist bisher nichts bekannt, doch zeigt der gigantische rote Stern ähnlich diffuse Gasstrukturen wie die Beteigeuze. Und auch er könnte in unbestimmter Zeit als eine Supernova explodieren.