Warten auf die Weiterfahrt
Viele Menschen zahlen Geld an Schlepper, die sie quer durch die Wüste und übers Mittelmeer transportieren sollen
Kano – AFP. Das größte, schwerste Stück seiner Tour nach Europa steht Uche noch bevor. Doch gleich zu Beginn seiner Reise hatte der 38-jährige Elektriker mit Problemen zu kämpfen. Aufgebrochen war Uche im Bundesstaat Imo im Südosten Nigerias.
In öffentlichen Bussen fuhr er auf Straßen, die von Schlaglöchern übersät sind, nach Kano. Die Millionenmetropole liegt im Norden seiner Heimat. Von dort wollte er nach Agadez in Niger. Die Stadt am südlichen Rand der Sahara ist ein Sammelpunkt für Migranten, die es über Libyen in die Europäische Union zieht.
Uches Plan: Auf einem Lastwagen wollte er sich ins libysche Sebha transportieren lassen. Endziel Italien oder Spanien. Aber der Kontaktmann, der ihn und drei Frauen über Nigerias Grenze hätte bringen wollen, flog auf. Er wurde festgenommen wegen Verdachts auf Schlepperei. „Sein Haus wurde überwacht“, erzählt Uche. Der Elektriker sitzt nun seit einigen Tagen in Kano fest, im belebten Bezirk Sabon Gari.
In den Gassen von Sabon Gari
Uche, ein stämmiger Mann in Jeans, einem blau-weiß-gestreiften T-Shirt und mit weißen Turnschuhen, gibt sich unbeeindruckt von dem ersten Rückschlag. „Ich werde in Kano herumhängen, bis ich einen anderen Schlepper finde, der mich mit einem Kontakt in Agadez verbinden kann“, sagt er.
Der Bezirk Sabon Gari wirkt mit seinem Markt, den Häuserblocks mit vielen überbelegten Wohnungen, den Bierkneipen und Bordellen reichlich chaotisch. Die Behörden machen hier häufig Razzien gegen Schlepper. Denn die Kriminellen bringen ihre menschliche Fracht, die durch den Norden Afrikas Richtung Mittelmeer trans- portiert werden soll, gern im Gewimmel des Viertels unter.
Europa aber drängt inzwischen westafrikanische Wirtschaftsmigranten ohne Papiere verstärkt zurück. Menschen wie Uche. Und auch die vielen jungen Frauen, von denen manche später, so berichten Experten, von Menschenhändlern in europäischen Großstädten zur Prostitution gezwungen werden.
Das Jahr 2015 markiert einen Höhepunkt der Zuwandererzahlen
nach Europa. Damals riskierten etwa eine Million irreguläre Migranten und Flüchtlinge ihr Leben beim Weg – oft auch übers Mittelmeer, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) zählte. Eine Vielzahl nahm allerdings Wege über die Türkei nach Griechenland – darunter viele Syrer auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg.
Inzwischen sind die Gesamtzahlen deutlich gesunken, zugleich verlagerten sich die Routen. Die zentrale Mittelmeer-Schlepperroute von Libyen wurde, nachdem die EU 2016 ein Abkommen mit der Türkei geschlossen hatte, zur Hauptstrecke. Insgesamt zählte die IOM im Mittelmeer rund 5.100 Tote im Jahr 2016.
In Afrika – auch in den Regierungen – wurde irreguläre Migration jedoch lange als ein europäisches Problem betrachtet – und als akzeptabel für Afrika. Schließlich überwiesen Menschen, die in Zielländern Geld verdienten, regelmäßig größere Summen zurück in ihre Heimatländer. Aber die Einschätzung scheint sich zu ändern, das Thema wird zumindest als solches erkannt und angesprochen. Zumal europäische Diplomaten und Politiker mit Nachdruck versuchen, die Zahl der Bootsüberfahrten – meist Richtung Italien – zu senken.
Es gab Gespräche über Vereinbarungen mit Nomadenstämmen, die Libyens Wüstengrenzen kontrollieren. Nigeria hat verstärkte Razzien gegen irreguläre Migranten und Schlepperbanden angekündigt. Niger droht Schleusern mit 30 Jahren Gefängnis. Außerdem ließen die Behörden in der Wüstenstadt Agadez sogenannte Verbindungshäuser durchsuchen, wo Durchreisende vor ihrer Weiterfahrt wohnen. Das erhöht den Druck.
Einige Beobachter sehen hier einen Zusammenhang mit einem Angebot der EU in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für die ökonomische Entwicklung der Länder, die mehr Härte bei Maßnahmen gegen Migration zeigen.
Haltung der Politik ändert sich
Richard Danziger, Regionaldirektor der Migrationsbehörde IOM für West- und Zentralafrika, hat jedenfalls „markante Veränderungen der Haltung und Politik“bei afrikanischen Regierungen beobachtet. „Jetzt besteht ein echtes Einsehen, dass die menschlichen Verluste nicht hinnehmbar sind, weder das Ertrinken im Mittelmeer noch das Sterben in der Wüste“, sagt er.
Im vergangenen Jahr waren fast 38.000 in Italien und Griechenland gemeldete irreguläre Migranten Nigerianer. Uches Profil ist typisch für sie: Er möchte ein besseres Leben. Er möchte weg aus einem Land, dessen Wirtschaft in einer Rezession steckt, weg aus einem Land, in dem über Jahrzehnte nur wenige Mächtige von den Einnahmen aus der Ölförderung und von der Korruption profitierten.
Viele Menschen, die in der Durchgangsstadt Agadez in Niger landen, wollen wie er weiter nach Libyen, um von dort die gefährliche Überfahrt zu starten. Andere haben ihre Versuche, nach Europa zu gelangen, schon aufgegeben. Sie können oder wollen aber nicht heim. Viele sind erschöpft, krank, leiden an Malaria oder Hunger, haben psychische Probleme.
Für Fabrice Leggeri, Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, ist mehr Kommunikation entscheidend, um allzu heftige Märchen über ein neues Leben in Europa zu entlarven, die Schlepper Migranten erzählen. „Entweder stirbst du im Mittelmeer, oder du erreichst Europa in einem extrem bedauernswerten Zustand“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP in einem Interview für das Projekt Minds Global Spotlight. „Es ist nicht das Eldorado, als das es die Schleuser darstellen.“
Aber trotz verstärkter Bemühungen der Grenzpolizei und Patrouillen auf dem Meer – die Probleme bleiben vielschichtig: Migranten werden zwar von Libyen in ihre Heimat zurückgeschickt. Aber selbst Offizielle räumen ein, dass viele es erneut versuchen werden. Zugleich wird bemängelt, dass in manchen Herkunftsländern die Gesetze gegen Menschenhandel schlecht durchgesetzt werden. Institutionen wie etwa die nigeria- nische Behörde für die Verfolgung von Menschenhandel hätten zu wenig Geld und Personal, heißt es.
Ahmad hat früher Migranten in seinem Lastwagen durch die Hitze über die Dünen von Agadez ins libysche Sebha gefahren. Zwei Mal pro Monat. Jeder der 30 Passagiere bezahlte 50.000 Naira (etwa 150 Euro). „Ich habe gutes Geld mit dem Geschäft gemacht. Ich besitze ein Haus und andere Dinge. Aber in jüngster Zeit hat sich die Situation geändert. Die Behörden greifen hart durch“, erzählt er.
„Wir sind nur Lieferanten“
Fahrer riskierten, dass sie durch Patrouillen aus der Luft entdeckt würden. Das heißt oft: Ihre Fahrzeuge werden beschlagnahmt, und sie wandern ins Gefängnis. Ahmad bleibt dabei, nichts Falsches getan zu haben. „Wir sind nur Lieferanten, die für unsere Dienstleistung bezahlt werden“, sagt er.
Schmiergelder fließen in dem Geschäft in Nordafrika reichlich: an die Militäreskorten der Konvois, die von Agadez losfahren. An Mitglieder von Polizei und Armee, die die Schlepper an Checkpoints in der Wüste eigentlich aufhalten sollten, berichten Fachleute.
Sicherheitsexperten, die sich in der Sahelregion auskennen, warnen zudem vor gefährlichen Überschneidungen: Menschen seien nur eine weitere Fracht für jene, die seit langem Drogen, Waffen und andere Güter schmuggelten.
Obwohl es keine klaren Belege gibt, dass Extremisten beteiligt sind, kursieren Befürchtungen, was geschehen könnte, wenn armen Menschen der Schmuggel als Einkommensquelle genommen würde. Armut gilt vielen als ein Hauptfaktor für Radikalisierung. In der Region operieren islamistische Gruppen wie etwa Boko Haram und AlQaida.
Der größte Kampf der Zielländer aber scheint jener gegen die Entschlossenheit von Menschen, die glauben, sie hätten nichts zu verlieren. „Vielleicht werde ich sterben, aber es ist besser, zu versuchen, die Wüste zu durchqueren, als in Gambia zu bleiben“, sagt etwa Ibrahim Kamara, der sich in Agadez von einem Beinbruch bei einem Verkehrsunfall beim Migrationsversuch erholt. Er habe daheim keinen Job und keine Ehefrau gehabt. „Weil ich kein Geld habe“, fügt der 37-Jährige hinzu. Und Uche, der in Kano wartet, erscheint die Chance größer als sein Risiko: „Die Leute sagen, die Route sei gefährlich, aber ich bin bereit, mein Glück zu versuchen.“