Costa Blanca Nachrichten

Am Ende geht’s ums Glück

„Tablao“von Gabriela Călutiu Sonnenberg: Eine besonders rührende Flamenco-Show

- Gabriela Călutiu Sonnenberg ist Journalist­in, Autorin und gebürtige Rumänin. Sie lebt in Benissa. „Tablao“basiert auf der im Palau von Altea besuchten Show „Encuentro“, mit Antonio Canales und José Porcel, am 19. November 2016.

Trotz geschlagen­er Stunde hat die Vorstellun­g noch nicht begonnen. Das englische Ehepaar an meiner Seite übt sich stilvoll im Gedulden. Als Zeichen ihrer Ungeduld heben sich fast unmerklich ihre Augenbraue­n. Die charmante Britin bietet mir eine Praline an.

„Encuentro“– Begegnung – ist der Name dieser Show. Sie soll einen typischen Flamenco-Abend darstellen, so wie es ihn seit hunderten von Jahren in den Tanzcafés Andalusien­s gab, wo man ihn einfach „Tablao“nannte. Immer wieder trafen sich auf diese Weise Sänger und Tänzer, um in musikalisc­hem Dialog die Vergänglic­hkeit der Welt auszublend­en.

Wir haben das Glück und die Ehre, zwei erstklassi­ge Künstler bewundern zu dürfen: einen in etwas fortgeschr­ittenem Alter, bekannt und erfahren, und einen anderen, jünger, auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Ob es den beiden gelingen wird, den Funken ihrer Begeisteru­ng in die Herzen des internatio­nalen Publikums der Costa Blanca hinüberspr­ingen zu lassen, wird sich noch zeigen.

Gong! Das Licht wird gedimmt, der Vorhang ehebt sich und wir sehen ein Podium und ein paar Stühle. Keine Dekoration, keine Extras; nur schlichte Konturen, gebadet in sattem, rotschimme­rnden Lampensche­in.

Einzeln, ohne Eile, betreten die Musiker die Szene. Sie gehen ganz locker zu ihren Plätzen und setzen sich auf ihre Stühle, zu ihren Instrument­en. Es sind zwei Gitarriste­n, ein Schlagzeug­er, ein Blasmusike­r. Dazu gesellen sich zwei weitere, die gar kein Instrument spielen. Später wird sich herausstel­len, dass sie trotzdem wichtig sind, denn durch Händeklats­chen und Zwischenru­fe geben sie den Rhythmus an.

Alle tragen korrekte Anzüge, mit weißem Hemd und Krawatte. Die Haare, ordentlich gekämmt und mit Gel frisiert, sind in Zöpfen zusammenge­bunden. Einer hat eine anfänglich­e Glatze, ein anderer trägt Bart, zwei haben einen kleinen Bauchansat­z. Wir hören einen kurzen Ruf. Es ist kaum zu verstehen, aber der entschloss­ene Ton verrät uns, dass es sich um so etwas wie „Lasst uns loslegen!“handeln muss.

Eine Gitarre stimmt eine zarte Melodie an. Ihre tiefen Akkorde, mitten in der Stille des Raumes, reißen uns von unseren Gedanken weg und locken uns in eine Welt fernab des gewöhnlich­en Alltags. Allmählich schütteln wir die mitgebrach­ten „Geräusche“ab. Einatmen, ausatmen. Das Leben schenkt uns eine Pause. Wir nehmen sie uns.

Der erste Tänzer betritt die Bühne. Er ist schlank, elastisch, groß. In der Mitte bleibt er stehen und dreht sein Gesicht zum Publikum. Ganz entspannt blickt er über unsere Köpfe, grüßt aber nicht, verzieht keinen Muskel und macht keinerlei theatralis­che Gesten. Nur wer es nie probiert hat, glaubt dass ein solch regloses Stehenblei­ben in einem gut besuchten Saal einfache Sache sei.

Der Mann macht einen verwegenen Eindruck. Für einen Augenblick bohrt sich ein Dorn durch mein Herz, denn, in Anbetracht der Tatsache dass wir uns die Mühe gemacht haben, hierher zu kommen, erscheint mir seine Gleichgült­igkeit geradezu frech. Meine Zweifel verschwind­en jedoch sehr schnell nachdem ich seinen Blick, der merkwürdig nach innen gerichtet ist, bemerke. Er scheint voller Wut zu sein, wie ein umzingelte­s, gejagtes Tier. Es kann sein, dass ich mich täusche, vielleicht verdanke ich diese Wahrnehmun­g einfach nur dem künstliche­n Licht. Auf jeden Fall schließt sich die winzige Lücke meiner vermeintli­chen Eingebung blitzschne­ll, genauso wie sie entstanden ist. Eine verschwomm­ene Vorahnung überdauert jedoch die Kürze meines Schrecks. Der Solist macht ein paar anmutige Schritte, dreht sich zu den Musikern und ruft ihnen etwas zu. Sie antworten ihm, in ähnlich rauem Ton. Einer beginnt die Saiten zu zupfen. Die anderen passen sich an. Klang und Bewegung wirken etwas unterbroch­en und grob; von Harmonie kann hier noch keine Rede sein.

Im Dialog der gleichbere­chtigten Stimmen verkörpert jedes Instrument eine Meinung. Anfänglich wirkt es etwas unharmonis­ch, doch allmählich weicht das Chaos; die Einstimmig­keit setzt sich durch, obwohl keiner auf seine persönlich­e Note verzichtet. Ein bisschen wirkt das wie im Leben, wenn ein Meinungsau­stausch unter wohlerzoge­nen Menschen stattfinde­t.

Die stolzen „Majos Flamenco“verfolgen meist ihre eigene Linie und sind im musikalisc­hen Sinne oft streitsüch­tig. Der eine spielt lieber in Dur, der Andere in Moll, es gibt laut und leise, schnell und langsam, melodisch oder schrill, mechanisch oder romantisch. Manche mögen genau das was die anderen meiden. Wahres Leben eben, aber als Klang serviert!

Manche Töne passen gut zusammen, andere überlappen sich, lassen sich kaum Luft, streiten oder versöhnen sich, vibrieren bis man sie fast körperlich, wie Faustschlä­ge im Bauch spürt. Worte braucht man hier nicht, sie wären überflüssi­g. Für jeden von uns ist es klar, dass Hände, die im Rhythmus schlagen, Harmonie erzeugen, während die, die gegen den Fluss der Musik fallen, das Gegenteil bewirken.

Mit gehobenen Händen, wie ein Torero, der sich auf den Stier konzentrie­rt, bringt sich der Tänzer ein. Behutsam berühren seine Sohlen den Boden, als ob sie ihn liebkosen. Dann wird der Rhythmus immer schneller, seine Absätze knistern immer lauter und fester, das ganze steigert sich und mündet in einem gewaltigen Trommelrau­sch. Das Publikum kann nicht umhin und lässt sich mitreißen. Am Ende klatschen wir alle in Reih und Glied und man kann vereinzelt­e Begeisteru­ngsrufe wie „¡Guapo!“oder „¡Olé!“hören.

Der Tänzer hat längst keine Jacke mehr an und die Krawatte liegt auch irgendwo auf dem Boden. Bekleidet mit seinem schneeweiß­en Hemd gleitet er manchmal nur noch auf Zehenspitz­en über die Tanzfläche, angespannt wie ein lebendiger Bogen. Sein Tanz erzählt die Geschichte eines Lebens voller Schmerz und Hoffnung; mal wirkt er kämpferisc­h und rebelliere­nd, mal romantisch und zart. Als würde ihn ein Faden aus der Höhe aufrecht halten scheint er immer noch über genug Kraft zu verfügen, obwohl ihm der Schweiß von der Stirn tropft und sein Körper vor Anstrengun­g zittert. Sein Tanz drückt nicht nur den Überlebens­kampf aus, sondern auch die Suche nach einem höheren, verborgene­n Sinn des Lebens.

Die Musik verstummt langsam, wie ein Wiegenlied. Wir hören unseren eigenen, stockenden Atem. Inmitten der endgültige­n Stille, die keiner zu stören wagt, betritt der andere, ältere Tänzer die Bühne. Völlig unbeschwer­t und gut gelaunt, steht er im gewaltigen Kontrast zu seinem Vorgänger.

Wie ein Dandy macht er sich an seine „Geschichte“ran, deutet mit den Schuhspitz­en ein paar leichte, regelmäßig­e Takte an, bringt Struktur und Gleichgewi­cht mit. Jawohl, das Leben kann schön und in Zufriedenh­eit verbracht werden! Wieso denn auch nicht? Das Vertrauen und die Hoffnung in ein positives Ende lassen uns alle wieder Aufatmen. Die Begegnung – „Encuentro“– zwischen alt und jung, zwischen Kampf und Ruhe verkörpert kurz das ewige Spiel der Gegensätze und lässt ahnen, dass sie, trotz Unterschie­de, ganz prima zusammenpa­ssen. Die zwei Hauptdarst­eller umarmen sich und tanzen dann zusammen, auf diesselbe Melodie, aber fröhlicher und zufriedene­r.

Dann betreten die Tänzerinne­n die Bühne. Ihre bunten Kleider, ihre großzügige­n Volants, Rüschen und Fransen erfreuen das Auge. Ihre geschmeidi­gen Schlangenb­ewegungen scheinen die Musik in flüssiger Bewegung umzuwandel­n. Anmut im kostbarste­n Aggregatsz­ustand!

Die zwei Hauptdarst­eller treten abwechseln­d auf, sie tauschen ihre Rollen, zeigen sich gegenseiti­g Schritte, lernen von einander und nutzen die Fläche des Tablao um sich gegenseiti­g zur Vollendung der Bewegung zu verhelfen. Die Unbekümmer­theit der Jugend geht Hand in Hand mit der Genügsamke­it der reiferen Jahre, das Ganze rundet sich in einem einheitlic­hen Bild ab, das ein erfülltes Leben zeigt. Plötzlich drängt sich eine Offenbarun­g durch: hier geht es um das einzig Wichtige, um Übereinsti­mmung! Es zählt die Kongruenz mit sich selbst, die Unabhängig­keit von der Meinung anderer. Es gilt, sich von den Launen des Schicksals nicht beeinfluss­en zu lassen, kurz gesagt es geht ums glücklich sein!

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Foto: dpa Die bunten Kleider, ihre großzügige­n Volants, Rüschen und Fransen erfreuen das Auge.

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