Ohne Carmen geht es nicht
Plácido Domingo, Lang Lang, La Fura dels Baus: Höhepunkte der Saison 2017/2018 im Opern- und Konzerthaus València
Der „Palau de les Arts Reina Sofía“und der benachbarte Musikpalast in València verteidigen auch in der kommenden Saison ihren Ruf als herausragende Opern- und Konzerthäuser des Landes. Insgesamt 248 Veranstaltungen, von ganz großer Oper und Singspiel, über Konzerte und Ballett auf Weltniveau, bietet die Spielzeit 2017/18 im Palau Reina Sofía, jenem futuristischen Bau, der, geschaffen vom Stararchitekten Santiago Calatrava, 2005 eröffnet wurde.
Möglich wird das repräsentative Angebot vor allem durch die heute unvermeidlich gewordenen internationalen Kooperationen. Diese sparen Geld, haben aber ihren Preis, denn sie gehen sichtbar auf Kosten eines individuellen, regionalen Profils der Häuser. Der sündhaft teure Opernbetrieb, der trotz dreistelliger Eintrittspreise enormer Subventionen bedarf, ist schon lange zu einem globalisierten Wanderzirkus im Dienste von Angebot und Nachfrage geworden, manche sagen: verkommen.
Auch in València macht sich so Zeitgenössisches rar und originär Spanisches bleibt bedauerlicherweise eine Randsparte. Der „Publikumsgeschmack“, also das Vermarktbare gibt den Ton an. Und die Italiener dominieren wie seit 300 Jahren.
Puccini: Madame Butterfly
Der Opernbetrieb startet gleich wuchtig in die sogenannte Vorsaison, die deutlich günstigere Eintrittspreise als die Hauptsaison bietet (7-50 anstatt 15-135 Euro). Mit
einer Eigenproduktion von Puccinis „Madame Butterfly“(11., 14., 17., 20., 22. Oktober 2017) steht ein Werk auf dem Spielplan, bei dem sich die Kritiker bis heute nicht einigen können, ob es noch als Höhepunkt des italienischen Verismo oder schon als Vorbote schwülstiger Hollywood-Filmmu- sik zu interpretieren sei. Das Sujet, das Puccini zum Ärger seiner italienischen Landsleute in Wagnerischer Leitthematik durchkomponierte, schlägt sich eher auf die Seite der Filmindustrie.
Es erscheint wie das Drehbuch eines billigen B-Movies: Der in Japan stationierte US-Marineoffizier Pinkerton erwirbt in Tokio ein Haus mit Aussicht und Geisha (Butterfly). Er heiratet, schwängert und verlässt Butterfly in einem Akt und – nachdem die Geschundene jahrelang einheimische Bewerber ablehnte – kehrt er nur zurück, um mit seiner amerikanischen Frau zu prahlen. Butterfly spielt ihm das gemeinsame Kind zu und ersticht sich. Pinkerton überlebt ungerechterweise, bleibt aber angeblich unglücklich. Der Tenor Sergio Escobar sowie Liana Aleksanyan in den Titelrollen stehen als musikalische Garanten für das große Leiden.
Verdi: Don Carlo
Zum offiziellen Auftakt der Saison und gleichzeitig ihrem medialen Höhepunkt wird Verdis Don Carlo (9., 12., 15., 18., 21. Dezember
2017, fünfaktige, sogenannte „Pariser Fassung“) in einer Produktion der Deutschen Oper Berlin werden. Der mittlerweile in baritonale Gefilde zurückgekehrte „Jahrhunderttenor“Plácido Domingo wird in der Rolle des Rodrigo zu erleben sein. Verdis finsteres Sittenbild der erzkatholischen Inquisitoren-Epoche rund um den spanischen König Philipp II., seinen Sohn Don Carlos und die Flandernkriege betört nicht nur durch die bassdurchströmte Komposition, welche die dramatischen Entwicklungen geradezu körperlich mitfühlen lässt.
Spannung liefern auch der historische Hintergrund, vor allem aber der Subtext, der dem Opernbesucher, der über das hohe C hinausdenken mag, einige aktuelle Brisanz liefert. Fragen werden gestellt und meisterlich im tönenen Raum stehen gelassen: Zur Macht der Religion in der Politik, der Unvermeidbarkeit von Kriegen, des Hinnehmens vermeintlich gottgewollter Schicksale, nach dem Sinn des Aufbegehrens, dem Wert von Freundschaft und des sich Opferns für eine „höhere“Sache.
Britten: Peter Grimes
Benjamin Brittens Oper über den eigensinnigen „Peter Grimes“, dem Morde an seinen Lehrlingen unterstellt werden, ist keine leichte Kost. Das 1945 uraufgeführte Werk, eine Koproduktion mit dem Opernhaus in Brüssel (1., 4., 7.,
10., 13. Februar 2018), zeichnet eine Parabel entlang des harten Lebens von Fischern. Deren Entbehrungen gehen auf Kosten sozialen Zusammenhalts. Fragen nach Schuld und Sühne werden schnell und ungerecht abgehandelt, weil
Kooperationen sparen Geld, auf Kosten der Regionalität
der unerbittliche Überlebenskampf kein Verweilen, kein Reflektieren duldet. Und so entledigt man sich schwerer Probleme lieber als sie zu lösen.
Verdi: Il Corsaro
Nochmals Verdi: Das nicht ganz so häufig aufgeführte Frühwerk Il Corsaro ( Der Korsare, 28. März,
1., 5., 8., 10. April 2018) spielt wild in und mit dem mediterranen Freibeuter- und Piratenmilieu zwischen dem besetzten Griechenland und dem expandierenden Osmanischen Reich. Die historischen Bezüge werden hier genauso abenteuerlich behandelt wie die Liebesgeschichte zwischen dem aus edlem Hause stammenden Korsaren Corrado und diversen in Harems gehaltenen Damen. Jene gilt es zu befreien, was überraschenderweise misslingt und in Tod und Verzweiflung endigt.
Puccini: Tosca
Ein nahezu unvermeidlicher TopTen-Titel der großen Opernhäuser ist die Tosca (6., 9., 12., 15., 18.,
21. Mai 2018), ein weiteres, wenn nicht das Meisterwerk Puccinis, in einer Koproduktion mit dem Teatro Felice in Genua. Selbst ungeübte Operngänger werden zumindest zwei der Prachtarien wiedererkennen, die Cavaradossi und Tosca unter Folter und im Angesicht des Todes zu schmettern haben, zur Strecke gebracht von einem diabolisch-intrigrant-machistischen römischen Polizeichef im Dienste der Napoleonischen Besatzer. Sein „Te Deum“ist die laszivste Blasphemie, die je über eine Opernbühne hergefallen ist. Spoiler: Alle drei sind am Ende tot. Die armenische Sopranistin Lianna Haroutounian in der Titelrolle gilt als eine der talentiertesten ihrer Generation, Alfred Kim als routinierter Puccini-Tenor.
Berlioz: La damnation de Faust
Goethes Faust ist über die Zeiten ein universelles Material geworden an dem teils abstruse Vertonungs-, Vertanzungs- und sonstige Darstellungsmethoden laboriert wurden. Zur von Faust angestrebten tieferen Erkenntnis hat das nicht immer beigetragen. So sehe man
auch die Oper „La damnation de Faust“des Franzosen Hector
Berlioz, die in Kooperation mit dem Teatro Regio de Turin am 20.,
23., 26. und 29. Juni auf die Bühne kommt, lieber als die angestrengt-verträumte Reflektion eines überschäumenden Romantikers als eine wirkliche Interpretation der Ideen Goethes vom Welttheater. Faust erwacht, umspielt vom Ráckóczi-Marsch in der ungarischen Puszta. Darauf muss man erstmal kommen. Die Uraufführung 1846 stürzte den Komponisten in den Ruin und in eine Existenzkrise, somit in einen Faustschen Zustand. Dirigent Robert Abbado (Cousin des berühmten Claudio) wird in València zumindest musikalische Abstürze verhindern.
Gluck, Haydn, Mozart
Drei Werke aus der – im weiteren Sinne – klassischen Wiener Schule stehen mit konzertanten Aufführungen auf dem Programm und bilden ein paar Farbtupfer im sonst recht monochromatischen Angebot der stets gleichen 30 Opern, die die Bühnen der Welt dominieren. „Le Cinesi“(2. November 2017) von Christoph Willibald Gluck, die Koproduktion mit der Oper Monte Carlo „Il mondo della luna“(8.,
10., 12., 14. März 2018) von Joseph Haydn sowie Mozarts letzte Oper, „La clemenza di Tito“(24.
und 28. Juni 2018). Mozarts Titus, ein Gleichnis über gute und verdorbene Charaktere, entstand zeitgleich mit Zauberflöte und Requiem, wird zu Gunsten der populäreren Werke aber sträflich selten gespielt. Dabei enthält dieser Abgesang auf die große barocke, in enge Konventionen gepresste Epoche der Opera seria meisterliche Pinselstriche.
Mozart wirkte am Ende seines kurzen, gigantischen Schaffens innerlich so frei, dass es ihm ein Pläsier schien, sich in die Zwänge formaler Komponiervorschriften zu begeben, nur um sie zu sprengen, ohne dabei zu randalieren. Das wohl größte Genie der Musikgeschichte war beim „Titus“längst in anderen Gefilden angelangt und übermittelt uns, dem genießenden Mittelmaß, von dort die launigsten Grüße.
Tanz: La Fura dels Baus
Die vor Kreativität nur so sprühende und wegweisende katalanische Tanz-Theatergruppe La Fura dels
Baus wird am 10., 12., 14., 15. und 16. November 2017 mit „El amor brujo: El fuego y la pala
bra“, so viel kann man jetzt schon verraten, triumphieren. Die Truppe um Choreograph Pol Jiménez verspricht ein „magisches Spektakel“, in dem sich die Elemente Wasser und Feuer in der Musik Manuel de Fallas austoben, wobei das Licht, wenig überraschend, die Liebe symbolisiert und – noch viel weniger überraschend – am Ende obsiegt. Dieses Programm läuft ebenfalls in der preiswerteren Vorsaison.
Tanz: Gades’ Carmen
Eine vielleicht noch legendärere Truppe tritt am 22., 23., 24., 25. Februar 2018 auf, die Compañía
Antonio Gades, die mit ihrem von Carlos Saura inszenierten CarmenFilm von 1983 unsterblichen Ruhm weit über Spaniens Grenzen hinaus erwarb. Choreograph Gades und Regisseur Saura arbeiteten auch bei der im Palau gezeigten
„Carmen“, die die Handlung nur adaptiert und wie einen Film im Film ins Flamenco-Milieu verlegt, wieder zusammen.
Leider kann man den legendären Antonio Gades nicht mehr selbst tanzen sehen, er starb bereits 2004, der den Film mitprägende Paco de Lucía verstummte 2014 für immer. Die Musik dieser Adaption stammt zum Teil von Gades selbst sowie von Antonio Solera, Ricardo Freire, Manuel Penella und ein bisschen auch von Bizet, dem man bis heute nicht ganz verziehen hat, dass er als Franzose die berühmteste spanische „Nationaloper“komponierte. Doch ganz ohne Carmen kommt kein Theaterprogramm gerne aus.
Konzertprogramm
Das Konzertprogramm des Palau Reina Sofia sowie des Palau de la Música, Heimstatt des Valencianischen Sinfonierochesters in seinem 75. Jahr, bewegt sich weitgehend im konventionellen Bereich und wird hübsch über die gesamte Spielzeit verteilt Konzerte von Händel (Wassermusik), Mozart, Rossini, Bach (Brandenburgische Konzerte), Mahler (7. Sinfonie), Haydn, Ravel, Beethoven, Wagner-Ouvertüren, Liederabende und Sonderprogramme aufführen.
Dass Hindemith und Elgar bereits mit die modernsten Komponisten sein werden, sagt viel über den Wagemut der Veranstalter. Für volle Häuser werden zugkräftige Namen sorgen: Zubin Mehta, Valery Gergiev, Lang Lang und
Martha Argerich sind nur einige der Stars, die in der kommenden Saison València ihre Aufwartung machen. Der Palau bietet in den Konzerten aber auch Absolventen der Gesangsschule „Centre Plácido Domingo“ein erstes Podium, das für nicht wenige zum Sprungbrett wird. Für Enthusiasten sei „Mozart bei Tag und Nacht“empfohlen, ein Marathon zu dessen Geburtstag am 27. Januar.