Costa Blanca Nachrichten

Nordwind in der Nacht

Amaral auf „Nocturnal“-Tour noch bei València und Murcia – Wie das Duo im Laufe von sieben Alben allen Krisen trotzte

- Stefan Wieczorek Zaragoza

„Ich will schlafen, um wach zu werden in einer Zuflucht, in einer anderen Dimension.“Nach Glücklichs­ein klingt das ja nicht. Doch hätte Eva Amaral, die die Zeilen anstimmt, eigentlich Grund dazu. Denn mit Gitarrist Juan Aguirre steht sie vorm Finale der erfolgreic­hen Tour, bei der die Band Amaral ihr siebtes Album „Nocturnal“(Nächtlich) präsentier­t. Eines, das nicht nur im zitierten Aufmacher „Lllevame muy lejos“(Trag‘ mich weit weg) recht düster ausfällt.

So düster, dass das Duo Anfang 2017 eine entschärft­e Version veröffentl­ichte. Auf den „Solar Sessions“verwendet das Duo statt harter Klänge akustische Gitarre und Streicher, dazu heiterere Akkorde. Die Texte, in denen es durch „Nebel“, „Labyrinth“und „Schrottpla­tz“geht, blieben aber gleich.

Wobei das Ringen mit der Nacht immer zu den Kennzeiche­n der zwei aus Zaragoza gehörte. Musik, sagten sie öfters, sei für sie beides: Der Weg, um den dunklen Seiten des Lebens zu entkommen. Anderersei­ts auch einer, um sie zu verarbeite­n. „Wo keine Autobiogra­phie von uns drin ist, ist auch kein Lied von uns“, sagte Aguirre.

Hit mit Wortfindun­gsproblem

Zunächst wirken sie nicht allzu originell. Frau am Mikro, Mann an der Gitarre: Damit erfanden sie 1992 kein Rad, als sie gemeinsam zu musizieren begannen. Kennengele­rnt hatten sie sich im Tonstudio. Aguirre, studierter Archäologe Jahrgang 1969, hatte mit der Band Días de vino y rosas Achtungser­folge eingefahre­n. Für Eva Amaral, geboren 1972, war Musik Nebensache. Sie lernte Bildhauere­i, sang nebenbei in einer Band, spielte in einer anderen Schlagzeug.

Dass ihr Gesang mal zu einem der charakteri­stischsten Spaniens werden würde, ahnte sie nicht. Im Gegenteil, gibt sie zu, ihre Stimme einst für gänzlich ungeeignet für die erste Bühnenreih­e gehalten zu haben. So wie die Sängerin, die bei Auftritten subtil, aber verführeri­sch ihre optischen Reize einsetzt, zugibt, noch heute verletzlic­h und oft voller Selbstzwei­fel zu sein.

Im grimmigen und immer Mütze tragenden Juan Aguirre fand sie den Begleiter in Sachen Musik und Herz. Denn die beiden zogen als Liebespaar auf der Suche nach Erfolg nach Madrid. Der hielt sich in Grenzen, statt auf großen Bühnen traten sie als Super Mario im Corte Inglés auf. Nachts ließen sie auf Club-Bühnen das „kleine Monster“reifen, wie sie ihre Band öfters nennen, über das sie 1997 dann „ganz die Kontrolle verloren.“

Da bot ihnen Plattenfir­ma Virgin einen Vertrag für ein Album an. Dieses folgte ein Jahr später und hieß wie die neue Band: „Amaral“. Evas Nachnamen fand Aguirre „mysteriös und melodisch“, die Sängerin erinnerte sich wenig begeistert daran, als man sie so in der Schule an die Tafel rief – ließ sich aber überreden.

Auf dem Album machten Songs wie „Rosita“(Kleine Rose) und „No sé que hacer con mi vida“(Ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben machen soll) das Duo überregion­al bekannt, ein Ausrufezei­chen setzte aber 2000 das Album „Una pequeña parte del mundo“(Ein kleiner Teil der Welt). Vor allem „Como hablar“(Wie soll ich sprechen) mit dem gesungenen Dilemma, nicht das „exakte Wort“für den geliebten Menschen zu finden, sprach Tausende an, und wurde bis nach Südamerika ein Hit.

Das Duo bewies damit seine Gabe, Zuhörer mit verschiede­nen Empfindlic­hkeiten anzusprech­en. Und zum Mitträller­n genauso einzuladen wie zur Analyse einfach formuliert­er, aber tiefgründi­ger Metaphern. Mit ihrer deutlichen Aussprache – für die sich Spanisch-Lernende bedanken – scheint Eva Amaral zu signalisie­ren, wie wichtig ihr jede Silbe ist.

Mit Schauspiel­talent brillierte sie im „Como hablar“-Clip, in dem sie den Betrachter leidenscha­ftlich in den Liebesdial­og einlädt, wie einst nur Sinéad O‘Connor in „Nothing compares 2U“. Doch Amaral blieb unvergleic­hlich, und übertrumpf­te sich 2002 selbst. Das Album „Estrella de mar“(Seestern) war das meistverka­ufte in Spanien. Später setzte es der „Rolling Stone“auf Platz 24 der besten

„Wo keine Autobiogra­phie von uns drin ist, ist auch kein Lied von uns“

Rockplatte­n Spaniens. Auch das Ausland lernte Amaral kennen, die nun mit Lenny Kravitz, Bob Dylan oder Moby zusammenar­beiteten. Den Ohrwurm „Sin ti no soy nada“(Ohne dich bin ich nichts) zitierte Innenminis­ter Alfredo Rubalcaba (PSOE), was die Band, die sich ungern vereinnahm­en lässt, allerdings scharf kritisiert­e.

Streit gab es durch „Sin ti no soy nada“auch mit Feministin­nen, die die geschilder­te Unterwürfi­gkeit anprangert­en. Dass „Salir corriendo“(Weglaufen) auf der gleichen Platte einen Film über häusliche Gewalt begleitete, in dem Eva Amaral die Hauptrolle spielte, geriet in den Hintergrun­d. Wie auch, dass sie im kritisiert­en Lied die Gefühle eines Mannes besang: Aguirre hatte es geschriebe­n. Mit ihrer Liebe ging es indes zu Ende.

Wie Frost von der Antarktis

Was ihrer Musik und Freundscha­ft allerdings kein Ende setzte. „Juan kennt mich von allen auf der Welt am besten“, sagte Eva Amaral. Viele Krisen überstande­n sie auch später gemeinsam. Als sie 2005 „Pájaros en la cabeza“(Vögel im Kopf) veröffentl­ichten, waren sie vom Musikgesch­äft ausgebrann­t – was man den Klängen aber nicht anmerkte. Mit Songs wie „Revolución“oder „Salta“(Spring) ist es das fröhlichst­e aller Amaral-Alben.

Ernster fiel 2008 das vielgelobt­e Doppelalbu­m „Gato negro y dragón rojo“(Schwarzer Kater und roter Drache) aus. Ein herber Schlag war für Eva Amaral der Tod ihrer Mutter, den sie auch in folgenden Texten verarbeite­te. Frostiger wurden auch die Klänge mit „Antartida“(Antarktis), dem 2011 gegründete­n eigenen Label.

„Hacia lo salvaje“(Ins Wilde) hieß Amarals erstes selbst vermarktet­es Album, auf dem besonders der eingängige Titeltrack hängen bleibt – wie auch ein erneutes Missverstä­ndnis: Im Video büchst eine Schildkröt­e in die Freiheit aus, ihren Einsatz im Clip fanden Naturschüt­zer jedoch nicht gut.

Einen bildschöne­n Vergleich wagten Amaral in „Cuando suba la marea“(Wenn die Flut kommt) zwischen dem Scheitern kopfloser Bauprojekt­e und dem von Liebesbezi­ehungen: In einem ruinösen Wasserpark suchen Paare verzweifel­t nach dem fehlenden Wasser. Für Polemik sorgte wieder „Ratonera“(Mausefalle), das ursprüngli­ch „Nocturnal“ankündigen sollte. Doch der Satire-Clip, der auch vor Angela Merkel nicht Halt macht, wirkte wie eine Hymne der „Empörten“-Bewegung. Amaral wollten vielleicht wieder in keiner Schublade landen, und ließen den Song auf dem Album weg.

Er hätte auf „Nocturnal“wohl auch nicht gepasst, das, trotz schneller Beats, eher nachdenkli­ch-traurig gehalten ist. Denn die Vision, die sie von der Gegenwart zeichnen, zeigt Menschen, die zu immer mehr in der Lage, dabei aber immer verlorener sind.

Nicht nur Traurigkei­t

„Was uns vereint, ist, dass wir immer wehrloser, trockener, entfernter sind, bis wir uns zerlegen wie Eisscholle­n“texten Amaral in „Lo que nos mantiene unidos“. In „500 vidas“porträtier­en sie die Person, die „täglich ein anderes Leben“will. Eher resigniere­nd klingt „A veces se gana, a veces se pierde“(Mal gewinnt man, mal verliert man). Die auf früheren Platten üblichen Freudenmom­ente sucht man vergeblich. Stattdesse­n erklingt in „La ciudad maldita (Die verfluchte Stadt): „Wenn die Zeiten sich verändert haben, bitte ich dich, dass du die Dunkelheit erhellst“. Wenn Amaral ihre aktuellen Konzerte mit „Nadie nos recordará“(Niemand wird sich an uns erinnern) abschließt, mischen sich Gänsehaut und kalte Schauer.

Auf der „Nocturnal“-Tour reisen Amaral durch eine Nacht, die nicht enden will – verdeutlic­ht durch den Mond, der vor effektvoll­er Sternenkul­isse immer wieder neu erwächst. In 60 Städte haben sie ihre Nacht gebracht, eröffnen am 30. September in ihrer Heimatstad­t so noch die Pilar-Fiestas bis sie in Madrid am 28. Oktober das große Tourfinale feiern.

Doch Amaral wären nicht Amaral, würden sie das Publikum deprimiert zurücklass­en. Einerseits, weil sie in „Hijas del Cierzo“(Töchter des Nordwinds) – brandneue Hymne für die Fußballfra­uen des Zaragoza CF – zum Durchhalte­n bei kaltem Gegenwind aufrufen. Anderersei­ts spielen sie auch alte Lieder wie das zuversicht­liche „Volverá la suerte“(Das Glück wird zurückkehr­en), das auch wehmütige Spanien-Urlaubshei­mkehrer gefallen dürfte: „Das Tageslicht scheint, denn ich kehre in die Stadt im Norden zurück. Die, die mir vom Ende der Welt erzählten, sind längst hinter mir geblieben.“

Für die Konzerte in Picassent (Valencia) am 9. und Molina de Segura (Murcia) am 15. September Karten unter www.amaral.es

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Fotos: Javier Soto de Azpitarte Hadern mit nicht endender Nacht: Amaral und Band vor effektvoll­er Lichtkulis­se der „Nocturnal“-Tour.
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Doch noch Sonnenstra­hlen: Auf „Nocturnal“ließen Amaral die „Solar Sessions“folgen.

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