Nordwind in der Nacht
Amaral auf „Nocturnal“-Tour noch bei València und Murcia – Wie das Duo im Laufe von sieben Alben allen Krisen trotzte
„Ich will schlafen, um wach zu werden in einer Zuflucht, in einer anderen Dimension.“Nach Glücklichsein klingt das ja nicht. Doch hätte Eva Amaral, die die Zeilen anstimmt, eigentlich Grund dazu. Denn mit Gitarrist Juan Aguirre steht sie vorm Finale der erfolgreichen Tour, bei der die Band Amaral ihr siebtes Album „Nocturnal“(Nächtlich) präsentiert. Eines, das nicht nur im zitierten Aufmacher „Lllevame muy lejos“(Trag‘ mich weit weg) recht düster ausfällt.
So düster, dass das Duo Anfang 2017 eine entschärfte Version veröffentlichte. Auf den „Solar Sessions“verwendet das Duo statt harter Klänge akustische Gitarre und Streicher, dazu heiterere Akkorde. Die Texte, in denen es durch „Nebel“, „Labyrinth“und „Schrottplatz“geht, blieben aber gleich.
Wobei das Ringen mit der Nacht immer zu den Kennzeichen der zwei aus Zaragoza gehörte. Musik, sagten sie öfters, sei für sie beides: Der Weg, um den dunklen Seiten des Lebens zu entkommen. Andererseits auch einer, um sie zu verarbeiten. „Wo keine Autobiographie von uns drin ist, ist auch kein Lied von uns“, sagte Aguirre.
Hit mit Wortfindungsproblem
Zunächst wirken sie nicht allzu originell. Frau am Mikro, Mann an der Gitarre: Damit erfanden sie 1992 kein Rad, als sie gemeinsam zu musizieren begannen. Kennengelernt hatten sie sich im Tonstudio. Aguirre, studierter Archäologe Jahrgang 1969, hatte mit der Band Días de vino y rosas Achtungserfolge eingefahren. Für Eva Amaral, geboren 1972, war Musik Nebensache. Sie lernte Bildhauerei, sang nebenbei in einer Band, spielte in einer anderen Schlagzeug.
Dass ihr Gesang mal zu einem der charakteristischsten Spaniens werden würde, ahnte sie nicht. Im Gegenteil, gibt sie zu, ihre Stimme einst für gänzlich ungeeignet für die erste Bühnenreihe gehalten zu haben. So wie die Sängerin, die bei Auftritten subtil, aber verführerisch ihre optischen Reize einsetzt, zugibt, noch heute verletzlich und oft voller Selbstzweifel zu sein.
Im grimmigen und immer Mütze tragenden Juan Aguirre fand sie den Begleiter in Sachen Musik und Herz. Denn die beiden zogen als Liebespaar auf der Suche nach Erfolg nach Madrid. Der hielt sich in Grenzen, statt auf großen Bühnen traten sie als Super Mario im Corte Inglés auf. Nachts ließen sie auf Club-Bühnen das „kleine Monster“reifen, wie sie ihre Band öfters nennen, über das sie 1997 dann „ganz die Kontrolle verloren.“
Da bot ihnen Plattenfirma Virgin einen Vertrag für ein Album an. Dieses folgte ein Jahr später und hieß wie die neue Band: „Amaral“. Evas Nachnamen fand Aguirre „mysteriös und melodisch“, die Sängerin erinnerte sich wenig begeistert daran, als man sie so in der Schule an die Tafel rief – ließ sich aber überreden.
Auf dem Album machten Songs wie „Rosita“(Kleine Rose) und „No sé que hacer con mi vida“(Ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben machen soll) das Duo überregional bekannt, ein Ausrufezeichen setzte aber 2000 das Album „Una pequeña parte del mundo“(Ein kleiner Teil der Welt). Vor allem „Como hablar“(Wie soll ich sprechen) mit dem gesungenen Dilemma, nicht das „exakte Wort“für den geliebten Menschen zu finden, sprach Tausende an, und wurde bis nach Südamerika ein Hit.
Das Duo bewies damit seine Gabe, Zuhörer mit verschiedenen Empfindlichkeiten anzusprechen. Und zum Mitträllern genauso einzuladen wie zur Analyse einfach formulierter, aber tiefgründiger Metaphern. Mit ihrer deutlichen Aussprache – für die sich Spanisch-Lernende bedanken – scheint Eva Amaral zu signalisieren, wie wichtig ihr jede Silbe ist.
Mit Schauspieltalent brillierte sie im „Como hablar“-Clip, in dem sie den Betrachter leidenschaftlich in den Liebesdialog einlädt, wie einst nur Sinéad O‘Connor in „Nothing compares 2U“. Doch Amaral blieb unvergleichlich, und übertrumpfte sich 2002 selbst. Das Album „Estrella de mar“(Seestern) war das meistverkaufte in Spanien. Später setzte es der „Rolling Stone“auf Platz 24 der besten
„Wo keine Autobiographie von uns drin ist, ist auch kein Lied von uns“
Rockplatten Spaniens. Auch das Ausland lernte Amaral kennen, die nun mit Lenny Kravitz, Bob Dylan oder Moby zusammenarbeiteten. Den Ohrwurm „Sin ti no soy nada“(Ohne dich bin ich nichts) zitierte Innenminister Alfredo Rubalcaba (PSOE), was die Band, die sich ungern vereinnahmen lässt, allerdings scharf kritisierte.
Streit gab es durch „Sin ti no soy nada“auch mit Feministinnen, die die geschilderte Unterwürfigkeit anprangerten. Dass „Salir corriendo“(Weglaufen) auf der gleichen Platte einen Film über häusliche Gewalt begleitete, in dem Eva Amaral die Hauptrolle spielte, geriet in den Hintergrund. Wie auch, dass sie im kritisierten Lied die Gefühle eines Mannes besang: Aguirre hatte es geschrieben. Mit ihrer Liebe ging es indes zu Ende.
Wie Frost von der Antarktis
Was ihrer Musik und Freundschaft allerdings kein Ende setzte. „Juan kennt mich von allen auf der Welt am besten“, sagte Eva Amaral. Viele Krisen überstanden sie auch später gemeinsam. Als sie 2005 „Pájaros en la cabeza“(Vögel im Kopf) veröffentlichten, waren sie vom Musikgeschäft ausgebrannt – was man den Klängen aber nicht anmerkte. Mit Songs wie „Revolución“oder „Salta“(Spring) ist es das fröhlichste aller Amaral-Alben.
Ernster fiel 2008 das vielgelobte Doppelalbum „Gato negro y dragón rojo“(Schwarzer Kater und roter Drache) aus. Ein herber Schlag war für Eva Amaral der Tod ihrer Mutter, den sie auch in folgenden Texten verarbeitete. Frostiger wurden auch die Klänge mit „Antartida“(Antarktis), dem 2011 gegründeten eigenen Label.
„Hacia lo salvaje“(Ins Wilde) hieß Amarals erstes selbst vermarktetes Album, auf dem besonders der eingängige Titeltrack hängen bleibt – wie auch ein erneutes Missverständnis: Im Video büchst eine Schildkröte in die Freiheit aus, ihren Einsatz im Clip fanden Naturschützer jedoch nicht gut.
Einen bildschönen Vergleich wagten Amaral in „Cuando suba la marea“(Wenn die Flut kommt) zwischen dem Scheitern kopfloser Bauprojekte und dem von Liebesbeziehungen: In einem ruinösen Wasserpark suchen Paare verzweifelt nach dem fehlenden Wasser. Für Polemik sorgte wieder „Ratonera“(Mausefalle), das ursprünglich „Nocturnal“ankündigen sollte. Doch der Satire-Clip, der auch vor Angela Merkel nicht Halt macht, wirkte wie eine Hymne der „Empörten“-Bewegung. Amaral wollten vielleicht wieder in keiner Schublade landen, und ließen den Song auf dem Album weg.
Er hätte auf „Nocturnal“wohl auch nicht gepasst, das, trotz schneller Beats, eher nachdenklich-traurig gehalten ist. Denn die Vision, die sie von der Gegenwart zeichnen, zeigt Menschen, die zu immer mehr in der Lage, dabei aber immer verlorener sind.
Nicht nur Traurigkeit
„Was uns vereint, ist, dass wir immer wehrloser, trockener, entfernter sind, bis wir uns zerlegen wie Eisschollen“texten Amaral in „Lo que nos mantiene unidos“. In „500 vidas“porträtieren sie die Person, die „täglich ein anderes Leben“will. Eher resignierend klingt „A veces se gana, a veces se pierde“(Mal gewinnt man, mal verliert man). Die auf früheren Platten üblichen Freudenmomente sucht man vergeblich. Stattdessen erklingt in „La ciudad maldita (Die verfluchte Stadt): „Wenn die Zeiten sich verändert haben, bitte ich dich, dass du die Dunkelheit erhellst“. Wenn Amaral ihre aktuellen Konzerte mit „Nadie nos recordará“(Niemand wird sich an uns erinnern) abschließt, mischen sich Gänsehaut und kalte Schauer.
Auf der „Nocturnal“-Tour reisen Amaral durch eine Nacht, die nicht enden will – verdeutlicht durch den Mond, der vor effektvoller Sternenkulisse immer wieder neu erwächst. In 60 Städte haben sie ihre Nacht gebracht, eröffnen am 30. September in ihrer Heimatstadt so noch die Pilar-Fiestas bis sie in Madrid am 28. Oktober das große Tourfinale feiern.
Doch Amaral wären nicht Amaral, würden sie das Publikum deprimiert zurücklassen. Einerseits, weil sie in „Hijas del Cierzo“(Töchter des Nordwinds) – brandneue Hymne für die Fußballfrauen des Zaragoza CF – zum Durchhalten bei kaltem Gegenwind aufrufen. Andererseits spielen sie auch alte Lieder wie das zuversichtliche „Volverá la suerte“(Das Glück wird zurückkehren), das auch wehmütige Spanien-Urlaubsheimkehrer gefallen dürfte: „Das Tageslicht scheint, denn ich kehre in die Stadt im Norden zurück. Die, die mir vom Ende der Welt erzählten, sind längst hinter mir geblieben.“
Für die Konzerte in Picassent (Valencia) am 9. und Molina de Segura (Murcia) am 15. September Karten unter www.amaral.es