Blei für verbranntes Rom
Neue Erkenntnisse über römisches Wrack Bou Ferrer: Kaiser Nero brauchte Material für zerstörte Wasserleitungen
Zwischen 64 und 68 nach Christus sticht in Gades, dem heutigen Cádiz, ein imposantes Handelsschiff in See und nimmt Kurs auf die Hauptstadt des Reiches: Rom. Geladen hat es tausende Amphoren, die mit der fischigen Soße Garum – dem Standardgewürz der römischen Küche – gefüllt sind, sowie Bleibarren aus der Sierra Morena. Auf Höhe von Allon, heute Villajoyosa, gerät das Schiff höchstwahrscheinlich in einen Sturm. Es nähert sich der Küste, um in einem Hafen Schutz zu suchen. Dort kommt es nie an, vermutlich wegen eines Lecks sinkt das Handelsschiff mit der gesamten Ladung.
Die diesjährige UnterwasserAusgrabungskampagne am römischen Schiffswrack Bou Ferrer – benannt nach den Tauchern José Bou und Antoine Ferrer, die es 2001 entdeckten – zwischen dem 15. Juli und 20. September hat interessante und wichtige Erkenntnisse über die Dimension, Ladung und zeitliche Einordnung des Handelsschiffs gebracht, das in knapp 30 Metern Tiefe vor Villajoyosas Küste liegt. „Wir kennen jetzt die Breite des Schiffes, zwölf Meter, aber noch nicht die exakte Kiellänge“, erzählt Jaime Molina, Koordinator des Forschungsprojekts Bou Ferrer und Professor für alte Geschichte an der Universität Alicante.
Die Gesamtlänge werde man wohl erst bei der Kampagne im nächsten Jahr herausfinden. Schon jetzt allerdings sei klar, dass es über 30 Meter sind. „Wir haben diese Woche noch Sondierungen durchgeführt, und da wo wir dachten, das Schiff sei zu Ende, tauchen immer noch Amphoren auf“, meint der Historiker. „Das Schiff ist noch größer als wir bisher gedacht haben, die Dimensionen sind ungeheuerlich.“Es handle sich schon jetzt um das größte römische Wrack, das bisher im Mittelmeer, und vermutlich auf der ganzen Welt, erforscht wird. Schon jetzt liege das ermittelte Gewicht der Ladung bei 500 Tonnen.
Die Archäologen vermuten, dass es ein bekanntes Handelsschiff war, das wahrscheinlich auch einen Namen hatte. Auch die Bleibarren, die es transportierte, seien doppelt so groß wie damals üblich. „Einfach, weil das Schiff eine enorme Ladung fasste.“Wie viele Bleibarren das Schiff geladen hatte, ist noch nicht sicher. Bisher wurden zwei Reihen im untersten Teil des Schiffsrumpfes gefunden.
Bei den Tauchgängen zu Bou Ferrer entdeckten die Forscher in diesem Sommer außerdem eine Seite des Schiffsrumpfes bis hinauf zur Reling, was heißt, dass das Schiff vor Villajoyosa außerdem eines der am besten erhaltenen römischen Wracks sein könnte, die bisher bekannt sind. Ein Sesterz und ein Dupondius Wichtige Erkenntnisse habe man auch über die Chronologie der Ereignisse gewonnen. „Es wurden Münzen gefunden und neue Inschriften auf den Bleibarren“, erzählt Molina. Dadurch könne man festlegen, dass das Schiff zwischen den Jahren 64 und 68, während der Regierungszeit des Kaisers Nero, segelte und unterging.
Die beiden Münzen, ein Sesterz und ein Dupondius, tragen beide Neros Antlitz. Auf einem der geborgenen Bleibarren haben die Archäologen die Inschrift „IMP GER AVG“(Imperator Germanicus Augustus) entziffert, die sich auf Angehörige der julisch-claudischen Dynastie bezieht – also auf die Kaiser Tiberius, Caligula, Claudius oder Nero.