Der Lehrer und der Beatle
Juan Carrión aus Cartagena ist gestorben: Wie er 1966 John Lennon traf und die Vorlage für einen prämierten Film lieferte
Juan Carrión war ein ungewöhnlicher Englischlehrer aus Cartagena. Er veränderte die Musikwelt, nachdem er sich 1966 mit John Lennon in Almería getroffen hatte und inspirierte zu einem mehrfach ausgezeichneten Film. Am 30. August starb Juan Carrión im Alter von 93 Jahren in Cartagena. Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Filmgeschäft nahmen Abschied. Ehemalige Schüler und Freunde sangen Beatles-Songs an seinem Grab.
Juan Carrióon war ein BeatlesFan und hatte eine in den 60er Jahren revolutionäre Methode entwickelt, um seinen Schülern Englisch beizubringen. Er ließ sie die Lieder der britischen Band anhören und die Texte studieren. Er hatte mit dieser Arbeitsweise bereits Erfolg, als er in Cartagena stationierten USamerikanischen Soldaten Spanisch in Form von Zarzuelas, also spanischen Operetten, näherbrachte.
Warum ausgerechnet die Beatles? Weil die Band damals in den 60er Jahren extrem erfolgreich war und die Schüler verrückt nach der Musik waren, sagte Juan Carrión 2006 in einem Interview mit der Zeitung „El País“. Das Interesse seiner Zöglinge war dem Lehrer sicher. Doch ganz einfach war die Beschaffung des Lehrmaterials nicht. Juan Carrión hörte die Beatles bei Radio Luxemburg, die spanischen Sender spielten unter Franco eher heimische Volksmusik, wie eben Zarzuelas. Während Juan Carrión den Liedern der Beatles im Radio lauschte, versuchte er, die Texte in korrektem Englisch niederzuschreiben. Das gelang jedoch nicht immer lücken- und fehlerfrei. Doch schon bald kündigte sich die Lösung seiner Probleme an.
John Lennon reiste im September 1966 nach Almería für Dreharbeiten zu dem Film „Wie ich den Krieg gewann“. Lennon spielte eine Hauptrolle in dem britischen, satirisch tragikomischen Anti-Kriegsfilm unter Regisseur Richard Lester. Als Juan Carrión davon erfuhr, schnappte er sich seine Niederschriften, setze sich in den Bus Richtung Almería und machte sich auf die Suche nach John Lennon.
Tatsächlich kam es zu einem zwar kurzen, aber bedeutsamen Treffen zwischen dem bescheide- nen Lehrer aus Cartagena und der weltberühmten Beatles-Legende aus Liverpool. Dabei ging es nicht um Autogramme, Fotos oder Geltungsdrang. Carrión erklärte Lennon, dass er Beatles-Songs als Unterrichtsmaterial in seinen Englischklassen benutze. Er legte Lennon seine Hefte vor und bat ihn, die Songtexte zu korrigieren.
Die Herzlichkeit und Ehrlichkeit des Lehrers schienen Lennon beeindruckt zu haben. Er nahm sich die Zeit, die Niederschriften zu korrigieren und zu vervollständigen. Er versprach sogar, Carrión die Texte zukünftiger Songs zuzuschicken und auf dem nächsten Album zu veröffentlichen. Er hielt Wort. „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“war die erste Rock-Musik-Platte, deren Cover die Texte enthielten. Fünf weitere Alben sollten folgen. Carrión und Lennon schrieben sich noch zwei Jahre lang, bis die Beatles sich 1970 auflösten.
Der Lehrer behielt die Begegnung mit Lennon für sich, erzählte nur engen Freunde davon. Erst be- richtete er in einem Sommerkurs der Uni Almería über seine Erlebnisse mit dem Beatle. Carrión sagte über Lennon, er sei ein großartiger Kerl gewesen. Lennon habe Wort gehalten, sei nett gewesen und habe ihm mehr Respekt entgegengebracht als seine Schüler.
Ein Teil der Korrespondenz zwischen Carrión und Lennon ist im Museo del Cine in Almería ausgestellt. In einem der Briefe schrieb Lennon: „Ich schicke Ihnen unsere neue Platte. Ich hoffe, die Musik gefällt Ihnen. Denken Sie nicht ans Geld. Es ist uns ein Vergnügen, Ihnen unsere Arbeit zu senden.“
Der spanische Journalist und Autor Adolfo Iglesias aus Almería ist leidenschaftlicher Beatles-Fan und hat sich mehrere Jahre lang mit Lennons Aufenthalt in Almería und dem Treffen mit Englischlehrer Juan Carrión befasst, bevor er das Buch „Juan & John“über die beiden verfasste und 2013 veröffentlichte.
Iglesias glaubt, dass Lennon zu der Zeit seine Rolle bei den Beatles in Frage stellte. Auslöser könnte der Erfolg des Hits „Yesterday“gewe- sen sein, den Freund und Konkurrent Paul McCartney ohne Lennon komponiert hatte. Lennon fühlte sich von McCartney in den Schatten gestellt. Zudem zweifelte er an seinen schauspielerischen Fähigkeiten während der Arbeiten zu „Wie ich den Krieg gewann“, Lennons erstem größeren Solo-Projekt, das nichts mit den Beatles zu tun hatte. Das raue Klima und die unwirtliche Landschaft Almerías taten das Übrige. Vermutlich empfand Lennon den Besuch Carrións als wohltuende Abwechslung.
Die negativen Erfahrungen konnten Lennon, der 1980 in New York erschossen wurde, jedoch nicht davon abhalten, einen der größten Beatles-Hits zu komponieren. Lennon schrieb einen Teil von „Strawberry Fields Forever“in Almería. Das ungleiche Treffen zwischen dem Lehrer und dem Popstar inspirierte den spanischen Regisseur David Trueba, die Geschichte des Englischlehrers zu verfilmen. 2013 entstand das tragikomische Road-Movie „Vivir es fácil con los ojos cerrados“(Mit geschlossenen Augen lebt es sich einfach). Dabei handelt es sich um die Textzeile „Living is easy with eyes closed“aus dem Song „Strawberry Fields Forever“.
Der Film gewann sechs Goyas, die spanische Version des Oscars. Er spielt in der Zeit der FrancoDiktatur und der Zeit der Beatles. Der Englischlehrer Antonio macht sich auf den Weg nach Almería, um John Lennon zu treffen. Dabei begegnet er einem 16-jährigen Ausreißer und einer 21-Jährigen Schwangeren, die vor den Restriktionen in ihrem Lebens flüchten. Gemeinsam setzen sie ihre Reise fort.
Trueba bezeichnete Carríon als Musterbild eines Lehrers, der seiner Zeit weit voraus war, indem er seinen Schülern mit Nachrichten der BBC und Beatle-Songs Englisch beibrachte. Trueba übergab Carríon einen Goya, den der Lehrer wiederum der Polytechnischen Universität von Cartagena schenkte, an der er als Ehrenprofessor lehrte.
Autor Adolfo Iglesias kam nach seinen Recherchen zu dem Schluss, dass es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Juan Carrióon und den Beatles gab. Beide waren Pioniere auf ihrem Gebiet, der eine revolutionierte den Unterricht, die anderen die Musik.
„John Lennon war ein großartiger Kerl und hat Wort gehalten“