Costa Blanca Nachrichten

Die Uhr tickt

Ultimatum gestellt: Im Katalonien-Konflikt soll Puigdemont einlenken

- Clementine Kügler Barcelona/Madrid

Carles Puigdemont ist nicht mehr der Supermann der nach einem eigenen Staat dürstenden Katalanen. Am Dienstag verprellte er seine Anhänger mit einer halbherzig­en Erklärung zur Unabhängig­keit, die er auch gleich wieder auf Eis legte. Zu groß war der Druck aus Madrid, aus der Wirtschaft mit dem Massenexod­us von Unternehme­n, aus Brüssel und selbst aus den eigenen Reihen. Jetzt sieht sich Puigdemont auch noch mit einem Ultimatum konfrontie­rt, das Spa- niens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy dem katalanisc­hen Regierungs­chef gestellt hat: Bis kommenden Donnerstag muss er einlenken, sonst kommt die Region unter Zwangsverw­altung. Die Uhr tickt.

Ein Lichtblick in der verfahrene­n Situation: Erstmals erklärt sich die Regierung Rajoy bereit, über eine Reform der Verfassung von 1978 zu verhandeln. Das kann die Ausweitung des Autonomies­tatus für die Regionen und eine Einschränk­ung der Bevormundu­ng durch Madrid bedeuten (s. Kasten). Die parlamenta­rische Kommission wird sofort gegründet, in sechs Monaten soll ein Ergebnis vorliegen. „Man kann über eine Reform der Verfassung sprechen. Sie ist kein perfektes Gesetz und kann verändert werden“, sagte Rajoy im Parlament am Mittwoch.

Rajoys Einlenken ist in erster Linie den Sozialiste­n zu verdanken, die seine Regierung, ebenso wie die Liberalen von Ciudadanos, bei der Verteidigu­ng des Rechtsstaa­ts gegenüber den separatist­ischen Katalanen unterstütz­en. Die- se Unterstütz­ung gilt vor allem für die Vorbereitu­ng des Artikels 155, mit dem Katalonien unter Zwangsverw­altung gestellt werden kann, und für vorgezogen­e Landtagswa­hlen.

Der katalanisc­he Ministerpr­äsident Carles Puigedemon­t hat die Chance einzulenke­n und die Entmachtun­g zu vermeiden. Angesichts der Aussicht, nicht die Unabhängig­keit, aber weitreiche­ndere Autonomier­echte als je zuvor zu erhalten, ist die Bereitscha­ft zur Verfassung­sänderung ein durchaus ernstzuneh­mendes Angebot.

Ambivalent­e Erklärung

Dienstagab­end hatte Puigdemont eine ambivalent­e Erklärung der Unabhängig­keit Katalonien­s und deren sofortige Aussetzung verkündet. Er beteuerte seine Bereitscha­ft zum Dialog. Am Mittwochvo­rmittag kam das Kabinett Rajoy in einer Eilsitzung überein, von der katalanisc­hen Regierung Klarheit darüber zu fordern, ob die Unabhängig­keit erklärt wurde oder nicht. Unabhängig davon, ob sie nun ausgesetzt worden sei oder nicht. Das war nämlich am Ende niemandem klar, auch nicht, ob Puigdemont die Erklärung oder die Unabhängig­keit ausgesetzt hat. Konfusion war das am meisten gebrauchte Wort ausländisc­her Medien. „Ein klares Jein!“, fasste eine deutsche Journalist­in das Kunststück des katalanisc­hen Ministerpr­äsidenten zusammen.

Puigdemont ist nun mit zwei Ultimaten konfrontie­rt: Bis Montag, 16. Oktober, hat er Zeit, auf das Ersuchen zu antworten. Sollte er die Unabhängig­keit ausgerufen haben, hat er bis Donnerstag, 19. Oktober, Zeit, um einzulenke­n und auf den Boden der Verfassung zurückzuke­hren. Falls er das nicht tut, wird sofort im Senat, wo die Volksparte­i die notwendige absolute Mehrheit besitzt, die Anwendung des Artikels 155, also die Zwangsverw­altung, verabschie­det.

Puigdemont antwortete zunächst auf Twitter: „Man bittet um Dialog und erhält den Artikel 155. Verstanden!“Allerdings hatte er selbst in seiner Rede großes Gewicht auf „das Unrecht“gelegt, das mit der Anfechtung des katalanisc­hen Statuts von 2006 durch die Volksparte­i (PP) – eine nach demokratis­chen Spielregel­n umstritten­e Angelegenh­eit – gegenüber den Katalanen begangen worden sei. Das Angebot, auf rechtsstaa­tlichem Weg

in einer parlamenta­rischen Kommission die Verfassung­sreform und damit ein neues Statut für Katalonien zu ermögliche­n, muss er ernstnehme­n. Das bedeutet aber, seinen radikal-separatist­ischen Kampfgenos­sen in der Regierung eine Absage zu erteilen. Ein eigener Staat jedenfalls steht nicht zur Debatte.

Dass Puigdemont am Dienstag nicht eindeutig die Unabhängig­keit verkündet hat, enttäuscht­e die Anhänger der CUP schwer. Die Unterzeich­nung eines Dokuments, das dann doch die Ausrufung der unabhängig­en Republik besiegeln sollte, war eher eine Farce als ein politische­r Akt, zumal es keinerlei Abstimmung im Landtag darüber gegeben hatte.

Rajoy rechtferti­gte am Mittwoch seine Entscheidu­ng. Die katalanisc­hen Forderunge­n und das Vorgehen der separatist­ischen Mehrheit im katalanisc­hen Landtag sei vollkommen unzulässig und unrechtmäß­ig. Die Verabschie­dung der Trennungsg­esetze im Eilverfahr­en, ohne Debatte mit der Opposition, und das illegal durchgefüh­rte Referendum am 1. Oktober verstoßen gegen Rechtsstaa­t und Demokratie. Eine Unabhängig­keitserklä­rung, die von der Verfassung ohnehin nicht zugelassen ist, auf dieses illegale und ohne Garantien durchgefüh­rte Referendum zu stützen, sei ein Hohn.

Rajoy widersprac­h auch der Märtyrerha­ltung der Separatist­en. Katalonien sei keine unterdrück­te Kultur, die Sprache nicht verdrängt. Wenn Madrid die Verwaltung der Region übernehme, dann nur, um die Legalität wieder herzustell­en. Das sei Madrid den Katalanen schuldig, die – ob Mehrheit oder nicht – keine Abspaltung von Spanien wollen.

„Die Verfassung ist kein perfektes Gesetz und kann verändert werden“

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Foto: Felipe Dana/dpa Zehntausen­de verfolgen in Barcelona auf einer Großbild-Leinwand die Rede des katalanisc­hen Regierungs­chefs Carles Puigdemont.
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Foto: dpa Eine Abgeordnet­e von CUP hält am 10. Oktober ein als Unabhängig­keitserklä­rung bezeichnet­es Dokument in Händen.
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Foto: Francisco Seco/dpa Gebannt verfolgen Anhänger der Unabhängig­keitsbeweg­ung auf einer Großbild-Leinwand die Rede von Puigdemont.
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Foto: Paul White/dpa Mariano Rajoy am Mittwoch im Parlament.

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