Käsemachen in der Mancha
Erlebnisbericht aus einem verborgenen Paradies und ein kleiner Flirt mit Rita
Phantasie und guter Wein bedürfen karger Böden. Von beidem hat die Mancha, das sich mit Kastilien zum spanischsten Stück Spaniens vereinte, viel. Die Weine, nicht in gekämmten Reihen, buschig und wuchernd gehalten, ziehen sich das Wasser aus dem sandigen Boden. Eine harte Arbeit, die den Charakter formt. Dem Wein schmeckt man die Schwielen an den Händen vom Wassertragen an.
Auf steppigem Hügelland, zwischen wuchernden Distelhainen, traurigen Büschen und Versuchen von Bäumen, die anderswo längst das Mitleid einer Axt ereilt hätte, gedeiht auch der Safran. Der beste der Welt, sagen Kenner. Dieser kleine Krokus mit den kostbaren roten Fäden, die, ähnlich ihren gedanklichen Kollegen in Geschichten, viele Gerichte veredeln.
Hier wuchs auch die Erzählung des Don Quijote, jenes Ritters von der nur vordergründig traurigen Gestalt, dieses Faust ohne Abitur, der mit seinem ungleichen, bauernschlauen Gefährten ein universelles Gleichnis für die lächerliche Aussichtslosigkeit menschlichen Strebens geworden ist – und dem Vergnügen daran. Ihre fatalisti- schen Fährten zogen die beiden durch die Weiten der Mancha, verschmolzen mit ihr zu einem kargschönen Kontinuum einer von Eitel befreiten Melancholie. Diesen Charakter und manchmal auch die Zeitlosigkeit kann der Reisende in der Mancha heute noch finden.
Eine Fahrt durch dieses Land ist, abseits der „Hot-Spots“, arm an touristischen Primärreizen, das allein sei schon Empfehlung. Burgen gibt es und Schlösser, Toledo, eine der schönsten Städte, die sich erdenken lassen, ist die Hauptstadt, gefährlich nah an Madrid, doch immer noch genügend Provinz, um dem aufgeregten Gefuchtel der Madrilenen unverwandt zu bleiben. Die Mancha ist Hügelland und sind die Dörfer. Der Menschenschlag ist ruhig, manchmal schroff, ein unaufdringlicher Machismo ruht auf breiten Schultern und viel zu kurzen Beinen. Die Mancha ist eine männliche Landschaft, in der immer mehr Frauen das Sagen haben. So wie Rita.
„En un lugar de la Mancha“, wie Cervantes seinen Roman beginnt. Wo Andalusien weiße Dörfer hat, haben die Mancheros erdbraune, im Norden sogar schwarze (Route um Robleluengo), statt maurischer Kacheln an den Wänden, haben sie Sand an den Schuhen. Raffinierte Tapas wie geeistes Kabeljaucarpaccio an Feigen-Limetten-Vinegrette werden hier durch deftige Schweinshaxen in Wein mit ganzen Zwiebeln im irdenen Geschirr abgelöst. Irdenes, das ist auch so ein Wort, das in jeder guten Reportage über das Mediterraneum erwähnt werden sollte, – wie pastell.
Und da sind wir in der Geschichte, in der ein Städter aus den nördlichen Breiten Europas auszieht, um das Käsen zu lernen. Rita, die Chefin der kleinen Manufaktur, eine Schönheit so spröde, wie der Hintergrund vor dem sie agiert, trug in ihrem Blick eine Befürchtung. Wieder so ein Wohlstandspausierer, der seine und meine Zeit damit verschwendet, ökologisch korrekte Urerfahrungen nachzuholen.
Meine Güte, was für ein Blick, der fortfuhr: die Gegend hier eignet sich nämlich gar nicht für ökologisch korrekte Ethnoclowns aus der sich selbst zerfleischenden Postzivilisation, die vegane Kochkurse besuchen, Urgetreide-Müsli mit lactosefreier Milch bereiten und die allen ernstes ungewaschene Haare für ein Zeichen der Solidarität mit den südamerikanischen Ureinwohnern halten. Morgen früh, fünf Uhr! Fasste sie das alles treffend zusammen.
Harfen ist für Könner
Die Illusionen verflogen schneller als die Müdigkeit. Am nächsten Morgen fand ich mich in einem alten Haus, dessen Interieur an einen Operationssaal erinnerte. Alles steril, alles Edelstahl, grelle Lichter. Nichts irdenes, nirgends. Aber fein, dachte ich, machen wir Manchego und setzte dazu ein Manchego-Gesicht auf, professionell gelassen, zurückhaltend interessiert, untouristisch sollte es wirken.
Dann ging es los. Gemolken war schon. Wichtig ist, dass die Schafsmilch nicht zu sehr auskühlt, „templado“gehalten wird, am besten direkt vom Euter in die Behälter kommt. Dort wird sie allmählich erhitzt. Nach einer knappen Stunde und einigen Enzymen, geht die Harferei los. Da darf ich nicht ran. Das dürfen nur Könner. Aber zuschauen darf ich und massenweise Geschirr abwaschen. Die Biochemie tat ihren Dienst, der
Der Manchego ist wie das Land: direkt, ohne Schnörkel, fast derb
Lämmertrunk zersetzte sich in seine Bestandteile, es riecht säuerlich. Authentisch sozusagen. Nun gut, dass Käse eine Frage der Sorgfalt und der Laune von Bakterien ist, ist nichts Neues, aber wieso diese enormen Geschmacksunterschiede, sogar in ein und derselben Region?
Die spanischen Käse sind insgesamt einfacher gestrickt als ihre raffinierten Brüder in Frankreich. Sie sind direkter und nicht so geschniegelt. Vor allem der Manchego, dem die gleichnamige Schafsrasse den Namen gab, die ihren wiederum vom Land haben. Der Manchego schmeckt tatsächlich wie der Boden aussieht und wie die Welt hier ist. Ein bisschen derb, direkt, ohne Schnörkel. Manchego schmeckt wie Rita schaut. Wir haben uns inzwischen ein wenig angefreundet. Sie hat doch verstanden, dass ich nicht hier bin, um ethnologisch interessierte Ah’s und Oh’s abzusondern. Ich will Manchego machen.
Gottes Werk, Europas Beitrag
Bei einer Zigarette, draußen, versteht sich, erzählt sie mir von ihrem Vater, der das alles angefangen hat, als seine Firma, ein deutscher Bauriese hier in den Achtzigern die Zelte abbrach. Sie erzählt von den Tricks der anderen Käsereien, die sie nicht mitmacht und fühlt sich von der EU hörbar veräppelt. Hier in der Mancha, sagt sie, wusste keiner was Bio ist, weil auch keiner wusste, was es nicht ist. Hier war immer Bio. Doch nun, mit kiloschweren Ringordnern voll EU-Direktiven ausgerüstet, sollen die Menschen beweisen, was aus ihrer Sicht gottgegeben ist.
Der Boden, die Gräser, alles muss aufgeschrieben, analysiert und verhandelt werden. Wie aber soll ich der EU Gottes Werk beweisen, fragt sie, schon wieder lächelnd. Pathos liegt den Leuten hier nicht, sind ja schließlich keine Italiener. Immerhin stimmten jetzt die Preise, dank jenes Herkunftschutzes, der klare Richtlinien hat und den Manchego für die Mancha schützt. Auch ein EU-Werk. Denke ich mir, ohne es zu sagen.
Der Rest ist schnell erzählt: Der gehobene Bruch wird in relativ kleine Zylinderkörbe (Espartos) gefüllt, mit einer Art Rautenrelief, die dem Rand das typische Muster geben, oben und unten stanzt sich durch die hölzernen Pressbretter ein Kornblümchen in den Laib, eine Seriennummer kommt später per Etikett hinzu, in meine Richtung kommentiert von einem genervten Blick Ritas. Dann fließt die restliche Molke ab, wenden ist mein Job. Danach gehts in eine Salzlösung, ein, zwei Tage. Rita bestimmt, wie lange.
Zwei dunkle, junge Gestalten huschen die ganze Zeit Hin und Her, ich weiß nicht was sie tun, aber sie tun. Die Trockenkammer, dann die Lagerkammer. 30 Tage ist das Minimum für die Laibe unter 1,5 Kilo. 60 Tage für alle darüber. Rita redet jetzt mehr. Sie benutzt nur Rohmlich, nur von eigenen Schafen und denen der Nachbarn. Pasteurisiert wäre auch erlaubt, aber ihre Abnehmer wollen das ganz, ganz Echte. „So wie Du...“, grinst sie mich an. Es ist natürlich das Gras, die Kräuter, wildes Getreide, sogar Bohnenarten, die hier wachsen. Das ist die Basis.
Ovis Aries Ligeriensis. Das Manchego-Schaf spricht Latein und ist eine uralte Rasse, immer auf Wanderschaft. Dann braucht es noch das feine Händchen, Wochen in der Trockenkammer, welche Sporen lässt man zu, mit was salzt man weiter und tut man das überhaupt? Es bleibt eine Mischung aus Rohstoff, Technologie, Erfahrung und einem Funken Zufall. Aber so ist es doch mit allen guten Dingen.
Dieser Käse ist erst durch spanische Lokale im Ausland zu etwas Besonderem geworden. Er war immer der Hofkäse der Gegend hier gewesen, jeder machte ihn ein bisschen anders, seit Jahrhunderten. In Consuegra, da wo die Mühlen stehen, ist es schon ein bisschen wie Disneyland geworden, sagt Rita. Doch dorthin verkauft sie den meisten Käse, an eine Kooperative, die sich um das ganze MarketingHeck-Meck kümmert.
Den so typischen Korb hat sie sich selbst designt, nach einem al- ten Fund. Der Korb schaut aus, als dass die Herbe dabei doch einmal wieder Mädchen sein durfte, in der Welt der kurzbeinigen Machos. Ein strohgoldener Zopf flicht sich durch die dunklen Bastbahnen. Ein bisschen gegen den Strich gebürstet, so wie Rita.
Fünf Tage haben wir zusammen gearbeitet, am letzten lud sie mich zum Essen ein, in das Lokal ihres Onkels. Wir aßen Käse und fette Würste. Den Manchego schneidet man bitte nicht zu dünn, macht keinen Honig drüber, auch keine Quittenmarmelade. Gerieben über „geschmolzene“Tomaten mit Knoblauch oder ein saftiges Stück Rind oder Lamm, das geht sich noch aus. Weißer oder roter Wein dazu? Bier, sagt der Onkel. Aus der Flasche. Und keine Diskussion.
Eine letzte Boshaftigkeit konnte und wollte Rita mir nicht ersparen. Überreichte sie mir doch mit erhobenem Glas und inszeniertem Gestus meine von der Schufterei befleckte Arbeitsschürze mit dem Signet ihres Hauses sowie zwei Laibe Käse im Korb. Einen jungen und einen „añjeo“, gelagert, dunkelgelb.
Die Blicke der Umsitzenden waren unverholen stolz, auf ihre Gegend und die Frau, die hier alle übermannt. Und freundlich spöttisch waren sie. Man hatte mir Einsicht in ihr verborgenes Paradies der Einfachheit gewährt und entließ mich nun in die Hölle aus der ich kam und in der ja tatsächlich alles ein bisschen komplizierter ist.
Hier macht sich keiner Gedanken darüber, wie er seinen Freunden zu Hause diese „Urerfahrung“verkaufen soll. Machte ich aber auch nicht. Sollen sie halt bis zum jüngsten Tage Maki rollen. So trotten die Schürze, mein Käse und ich von dannen, auch ein bisschen stolz, wie Spanier eben.
Stolz sind die „Machos“, auf die Frau, die alle übermannt