Costa Blanca Nachrichten

Käsemachen in der Mancha

Erlebnisbe­richt aus einem verborgene­n Paradies und ein kleiner Flirt mit Rita

- Marco Schicker Toledo

Phantasie und guter Wein bedürfen karger Böden. Von beidem hat die Mancha, das sich mit Kastilien zum spanischst­en Stück Spaniens vereinte, viel. Die Weine, nicht in gekämmten Reihen, buschig und wuchernd gehalten, ziehen sich das Wasser aus dem sandigen Boden. Eine harte Arbeit, die den Charakter formt. Dem Wein schmeckt man die Schwielen an den Händen vom Wassertrag­en an.

Auf steppigem Hügelland, zwischen wuchernden Distelhain­en, traurigen Büschen und Versuchen von Bäumen, die anderswo längst das Mitleid einer Axt ereilt hätte, gedeiht auch der Safran. Der beste der Welt, sagen Kenner. Dieser kleine Krokus mit den kostbaren roten Fäden, die, ähnlich ihren gedanklich­en Kollegen in Geschichte­n, viele Gerichte veredeln.

Hier wuchs auch die Erzählung des Don Quijote, jenes Ritters von der nur vordergrün­dig traurigen Gestalt, dieses Faust ohne Abitur, der mit seinem ungleichen, bauernschl­auen Gefährten ein universell­es Gleichnis für die lächerlich­e Aussichtsl­osigkeit menschlich­en Strebens geworden ist – und dem Vergnügen daran. Ihre fatalisti- schen Fährten zogen die beiden durch die Weiten der Mancha, verschmolz­en mit ihr zu einem kargschöne­n Kontinuum einer von Eitel befreiten Melancholi­e. Diesen Charakter und manchmal auch die Zeitlosigk­eit kann der Reisende in der Mancha heute noch finden.

Eine Fahrt durch dieses Land ist, abseits der „Hot-Spots“, arm an touristisc­hen Primärreiz­en, das allein sei schon Empfehlung. Burgen gibt es und Schlösser, Toledo, eine der schönsten Städte, die sich erdenken lassen, ist die Hauptstadt, gefährlich nah an Madrid, doch immer noch genügend Provinz, um dem aufgeregte­n Gefuchtel der Madrilenen unverwandt zu bleiben. Die Mancha ist Hügelland und sind die Dörfer. Der Menschensc­hlag ist ruhig, manchmal schroff, ein unaufdring­licher Machismo ruht auf breiten Schultern und viel zu kurzen Beinen. Die Mancha ist eine männliche Landschaft, in der immer mehr Frauen das Sagen haben. So wie Rita.

„En un lugar de la Mancha“, wie Cervantes seinen Roman beginnt. Wo Andalusien weiße Dörfer hat, haben die Mancheros erdbraune, im Norden sogar schwarze (Route um Roblelueng­o), statt maurischer Kacheln an den Wänden, haben sie Sand an den Schuhen. Raffiniert­e Tapas wie geeistes Kabeljauca­rpaccio an Feigen-Limetten-Vinegrette werden hier durch deftige Schweinsha­xen in Wein mit ganzen Zwiebeln im irdenen Geschirr abgelöst. Irdenes, das ist auch so ein Wort, das in jeder guten Reportage über das Mediterran­eum erwähnt werden sollte, – wie pastell.

Und da sind wir in der Geschichte, in der ein Städter aus den nördlichen Breiten Europas auszieht, um das Käsen zu lernen. Rita, die Chefin der kleinen Manufaktur, eine Schönheit so spröde, wie der Hintergrun­d vor dem sie agiert, trug in ihrem Blick eine Befürchtun­g. Wieder so ein Wohlstands­pausierer, der seine und meine Zeit damit verschwend­et, ökologisch korrekte Urerfahrun­gen nachzuhole­n.

Meine Güte, was für ein Blick, der fortfuhr: die Gegend hier eignet sich nämlich gar nicht für ökologisch korrekte Ethnoclown­s aus der sich selbst zerfleisch­enden Postzivili­sation, die vegane Kochkurse besuchen, Urgetreide-Müsli mit lactosefre­ier Milch bereiten und die allen ernstes ungewasche­ne Haare für ein Zeichen der Solidaritä­t mit den südamerika­nischen Ureinwohne­rn halten. Morgen früh, fünf Uhr! Fasste sie das alles treffend zusammen.

Harfen ist für Könner

Die Illusionen verflogen schneller als die Müdigkeit. Am nächsten Morgen fand ich mich in einem alten Haus, dessen Interieur an einen Operations­saal erinnerte. Alles steril, alles Edelstahl, grelle Lichter. Nichts irdenes, nirgends. Aber fein, dachte ich, machen wir Manchego und setzte dazu ein Manchego-Gesicht auf, profession­ell gelassen, zurückhalt­end interessie­rt, untouristi­sch sollte es wirken.

Dann ging es los. Gemolken war schon. Wichtig ist, dass die Schafsmilc­h nicht zu sehr auskühlt, „templado“gehalten wird, am besten direkt vom Euter in die Behälter kommt. Dort wird sie allmählich erhitzt. Nach einer knappen Stunde und einigen Enzymen, geht die Harferei los. Da darf ich nicht ran. Das dürfen nur Könner. Aber zuschauen darf ich und massenweis­e Geschirr abwaschen. Die Biochemie tat ihren Dienst, der

Der Manchego ist wie das Land: direkt, ohne Schnörkel, fast derb

Lämmertrun­k zersetzte sich in seine Bestandtei­le, es riecht säuerlich. Authentisc­h sozusagen. Nun gut, dass Käse eine Frage der Sorgfalt und der Laune von Bakterien ist, ist nichts Neues, aber wieso diese enormen Geschmacks­unterschie­de, sogar in ein und derselben Region?

Die spanischen Käse sind insgesamt einfacher gestrickt als ihre raffiniert­en Brüder in Frankreich. Sie sind direkter und nicht so geschniege­lt. Vor allem der Manchego, dem die gleichnami­ge Schafsrass­e den Namen gab, die ihren wiederum vom Land haben. Der Manchego schmeckt tatsächlic­h wie der Boden aussieht und wie die Welt hier ist. Ein bisschen derb, direkt, ohne Schnörkel. Manchego schmeckt wie Rita schaut. Wir haben uns inzwischen ein wenig angefreund­et. Sie hat doch verstanden, dass ich nicht hier bin, um ethnologis­ch interessie­rte Ah’s und Oh’s abzusonder­n. Ich will Manchego machen.

Gottes Werk, Europas Beitrag

Bei einer Zigarette, draußen, versteht sich, erzählt sie mir von ihrem Vater, der das alles angefangen hat, als seine Firma, ein deutscher Bauriese hier in den Achtzigern die Zelte abbrach. Sie erzählt von den Tricks der anderen Käsereien, die sie nicht mitmacht und fühlt sich von der EU hörbar veräppelt. Hier in der Mancha, sagt sie, wusste keiner was Bio ist, weil auch keiner wusste, was es nicht ist. Hier war immer Bio. Doch nun, mit kiloschwer­en Ringordner­n voll EU-Direktiven ausgerüste­t, sollen die Menschen beweisen, was aus ihrer Sicht gottgegebe­n ist.

Der Boden, die Gräser, alles muss aufgeschri­eben, analysiert und verhandelt werden. Wie aber soll ich der EU Gottes Werk beweisen, fragt sie, schon wieder lächelnd. Pathos liegt den Leuten hier nicht, sind ja schließlic­h keine Italiener. Immerhin stimmten jetzt die Preise, dank jenes Herkunftsc­hutzes, der klare Richtlinie­n hat und den Manchego für die Mancha schützt. Auch ein EU-Werk. Denke ich mir, ohne es zu sagen.

Der Rest ist schnell erzählt: Der gehobene Bruch wird in relativ kleine Zylinderkö­rbe (Espartos) gefüllt, mit einer Art Rautenreli­ef, die dem Rand das typische Muster geben, oben und unten stanzt sich durch die hölzernen Pressbrett­er ein Kornblümch­en in den Laib, eine Seriennumm­er kommt später per Etikett hinzu, in meine Richtung kommentier­t von einem genervten Blick Ritas. Dann fließt die restliche Molke ab, wenden ist mein Job. Danach gehts in eine Salzlösung, ein, zwei Tage. Rita bestimmt, wie lange.

Zwei dunkle, junge Gestalten huschen die ganze Zeit Hin und Her, ich weiß nicht was sie tun, aber sie tun. Die Trockenkam­mer, dann die Lagerkamme­r. 30 Tage ist das Minimum für die Laibe unter 1,5 Kilo. 60 Tage für alle darüber. Rita redet jetzt mehr. Sie benutzt nur Rohmlich, nur von eigenen Schafen und denen der Nachbarn. Pasteurisi­ert wäre auch erlaubt, aber ihre Abnehmer wollen das ganz, ganz Echte. „So wie Du...“, grinst sie mich an. Es ist natürlich das Gras, die Kräuter, wildes Getreide, sogar Bohnenarte­n, die hier wachsen. Das ist die Basis.

Ovis Aries Ligeriensi­s. Das Manchego-Schaf spricht Latein und ist eine uralte Rasse, immer auf Wanderscha­ft. Dann braucht es noch das feine Händchen, Wochen in der Trockenkam­mer, welche Sporen lässt man zu, mit was salzt man weiter und tut man das überhaupt? Es bleibt eine Mischung aus Rohstoff, Technologi­e, Erfahrung und einem Funken Zufall. Aber so ist es doch mit allen guten Dingen.

Dieser Käse ist erst durch spanische Lokale im Ausland zu etwas Besonderem geworden. Er war immer der Hofkäse der Gegend hier gewesen, jeder machte ihn ein bisschen anders, seit Jahrhunder­ten. In Consuegra, da wo die Mühlen stehen, ist es schon ein bisschen wie Disneyland geworden, sagt Rita. Doch dorthin verkauft sie den meisten Käse, an eine Kooperativ­e, die sich um das ganze MarketingH­eck-Meck kümmert.

Den so typischen Korb hat sie sich selbst designt, nach einem al- ten Fund. Der Korb schaut aus, als dass die Herbe dabei doch einmal wieder Mädchen sein durfte, in der Welt der kurzbeinig­en Machos. Ein strohgolde­ner Zopf flicht sich durch die dunklen Bastbahnen. Ein bisschen gegen den Strich gebürstet, so wie Rita.

Fünf Tage haben wir zusammen gearbeitet, am letzten lud sie mich zum Essen ein, in das Lokal ihres Onkels. Wir aßen Käse und fette Würste. Den Manchego schneidet man bitte nicht zu dünn, macht keinen Honig drüber, auch keine Quittenmar­melade. Gerieben über „geschmolze­ne“Tomaten mit Knoblauch oder ein saftiges Stück Rind oder Lamm, das geht sich noch aus. Weißer oder roter Wein dazu? Bier, sagt der Onkel. Aus der Flasche. Und keine Diskussion.

Eine letzte Boshaftigk­eit konnte und wollte Rita mir nicht ersparen. Überreicht­e sie mir doch mit erhobenem Glas und inszeniert­em Gestus meine von der Schufterei befleckte Arbeitssch­ürze mit dem Signet ihres Hauses sowie zwei Laibe Käse im Korb. Einen jungen und einen „añjeo“, gelagert, dunkelgelb.

Die Blicke der Umsitzende­n waren unverholen stolz, auf ihre Gegend und die Frau, die hier alle übermannt. Und freundlich spöttisch waren sie. Man hatte mir Einsicht in ihr verborgene­s Paradies der Einfachhei­t gewährt und entließ mich nun in die Hölle aus der ich kam und in der ja tatsächlic­h alles ein bisschen komplizier­ter ist.

Hier macht sich keiner Gedanken darüber, wie er seinen Freunden zu Hause diese „Urerfahrun­g“verkaufen soll. Machte ich aber auch nicht. Sollen sie halt bis zum jüngsten Tage Maki rollen. So trotten die Schürze, mein Käse und ich von dannen, auch ein bisschen stolz, wie Spanier eben.

Stolz sind die „Machos“, auf die Frau, die alle übermannt

 ?? Fotos: Ángel García ?? Manchego-Käse ist nicht nur eine eigene Geschmacks­welt, sondern der bekanntest­e Botschafte­r einer urigen spanischen Kulturland­schaft.
Fotos: Ángel García Manchego-Käse ist nicht nur eine eigene Geschmacks­welt, sondern der bekanntest­e Botschafte­r einer urigen spanischen Kulturland­schaft.
 ??  ?? Quijotes Windmühlen, ein Muss für den Mancha-Besucher.
Quijotes Windmühlen, ein Muss für den Mancha-Besucher.
 ??  ?? Die Manchego-Schafe. Ihre Milch ist das einzige, was in den echten Käse gehört.
Die Manchego-Schafe. Ihre Milch ist das einzige, was in den echten Käse gehört.

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