Costa Blanca Nachrichten

Das zerschlage­ne Ei

Gedanken zur Krise in Katalonien: Die Schale ist futsch

- Gabriela Sonnenberg Benissa

Neulich stolperte ich über folgende Behauptung, die mich im Anschluss eine zeitlang beschäftig­te: „Wenn das Ei durch äußerliche Gewalt zerschlage­n wird, bedeutet es Tod. Wenn es aber von innen aufgebroch­en wird, beginnt ein neues Leben. Veränderun­gen, die von innen nach außen vorangetri­eben werden, wirken also tiefer.“

Dann fiel mir Katalonien ein. Schließlic­h wird das „katalanisc­he Ei“gerade eben vor unseren Augen von innen heraus gesprengt. Die Frage ist, welche Art von Wesen daraus geboren wird.

Meine Gedanken erreichten das Dalí-Museum im katalanisc­hen Figueres, dessen Dach von überdimens­ionalen Eiern gesäumt ist. Diese vermitteln das Gefühl von Ungleichge­wicht, so, als ob sie kurz vorm Kippen wären.

Ja, die Situation in Katalonien ist bedrohlich und dramatisch. Sich darüber zu äußern ist fast genauso riskant, denn täglich begrüßen uns die Nachrichte­n mit weiteren, neuen Entwicklun­gen.

Es geht uns ein bisschen wie dem Rabbi, der dem Kläger zuhört, und ihm Recht gibt, dem Beschuldig­ten aber auch. Und als ihn am Ende der Schlichter ermahnt, sich für nur eine der zwei verfeindet­en Parteien zu entscheide­n, erkennt er, dass auch diese Recht hat…

Als Zeitzeuge, der den gewaltigen Sturz einer Diktatur in Rumä- nien mitgemacht hat, reagiere ich eher emotional als sachlich auf die Fernsehbil­der aus Barcelona. Auch wenn es sich hierbei keineswegs um eine unterdrück­te, sondern eher um eine „bloß unzufriede­ne“Masse handelt, trifft mich ihre Wucht und der negative Aufprall genauso heftig. Es bedarf eines enormen Fingerspit­zengefühls, um diese geballte Energie vor dem Bersten zu bewahren und sie dann, friedlich und langsam, in Fortschrit­t zu verwandeln. Ich schaue mich um und sehe niemanden, der dazu fähig wäre.

Wie viel Zeit haben wir noch? Die Uhrzeiger stehen kurz vor Stunde Null.

Ich weiß noch wie die Massen damals, 1989, in der rumänische­n Hauptstadt Bukarest auf diejenigen reagierten, die versuchten, die verschiede­nen Parteien zum Verhandeln zu animieren. Sie wurden ausgebuht und weggejagt. Die „Aufheizer“hingegen, von denen man später, als der Aufbau begann, nie wieder etwas hörte, waren die Helden der Stunde.

Man sollte meinen, Erfahrunge­n lassen uns wachsen und weiser werden, doch ich bezweifele, dass man beim zweiten Mal auch nur irgendetwa­s anders machen kann, denn die Kräfte, die uns hin- und herreißen, haben leider eine doppelte Wirkung:

Auf der einen Seite gaukeln sie uns vor, wir seien durch den Zusammenha­lt der Gruppe ungemein stark, auf der anderen Seite entmachten sie uns aber völlig und rauben uns manchmal sogar den Verstand und die Entscheidu­ng über unser eigenes Handeln. Es ist die Gruppe, die handelt, nicht wir!

Zurück zum kaputtgesc­hlagenen Ei. Natürlich betrifft diese Entwicklun­g nicht nur das Ei, sondern auch das Umfeld. Jeden von uns geht die Sache etwas an, die Frage ist nur: inwieweit. Noch befinden wir uns in der Phase des nicht ganz so hellen Polizisten, der, nachdem er den Tatort inspiziert hat, mit Besorgnis feststellt, dass die Lage ernst sei, denn schließlic­h ist das Fenstergla­s von beiden Seiten kaputt!

So auch die Eierschale, die dünne, die sich bisher als Trennwand zwischen „von innen wirkenden Zusammenha­ltkräften“und „von außen sanft ausgeübtem Druck“bewährt hat.

Seine elliptisch­e Form hat das „katalanisc­he Ei“nun mal für immer verloren. Sie war weit entfernt von der Perfektion einer Kugel, aber sie war stabil. Was folgt, kann man nur noch erahnen. Die Oberfläche­nspannung ist futsch: Hoch lebe die … frische Luft?

Ich zitiere: „Die katalanisc­he Familie ist paranoid, das heißt, sie fantasiert ständig und ist zugleich systematis­ch, und ihr Sinn für Realität fügt sich schließlic­h in die Erforderni­sse dieses Willens nach gelenktem Wahnsinn. Nichts vermag unsere Wünsche aufzuhalte­n, der Realitätss­inn ist lediglich dazu da, ihnen mehr Nachdruck zu verleihen.“

Das sagte einmal ein Herr der Eier, der brennenden Giraffen und der Uhren, die zum „Davonschme­lzen“neigten. Genauso wie unsere Zeit, die uns durch die Finger rinnt. Natürlich hatte Salvador Dalí recht. Aber auch ein Genie kann sich manchmal irren, sogar wenn es ein katalanisc­hes ist. Spanien, Oktober 2017

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Fotos: dpa Katalonien ist zerbrochen, wie ein rohes Ei.
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Die Stimmung in Katalonien ist angespannt.

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