Costa Blanca Nachrichten

Alles für Schuhe

Der Unternehme­r Gustav Schulmeric­h verkaufte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts Maschinen für die Schuhindus­trie

- Vicente Vera Elda

Mit seinen Maschinen und Produkten fertigten die Fabriken in Elda ihre Schuhe an: Der deutsche Geschäftsm­ann Gustav Schulmeric­h ließ sich in den 1930er Jahren in dem Ort am Fluss Vinalopó nieder. Die Wirren des Spanischen Bürgerkrie­gs und des Zweiten Weltkriegs zwangen den Mainzer dabei immer wieder zum Improvisie­ren.

Im Jahr 2017 feiert die Deutsche Handelskam­mer in Spanien ihr 100. Gründungsj­ahr. In diesem Zusammenha­ng haben mich die Wechselfäl­le des Lebens einer Person in den Bann geschlagen, die in Deutschlan­d geboren wurde, aber in der spanischen Wirtschaft und Kultur Wurzeln geschlagen hat. Unser Mann heißt Gustav Schulmeric­h, geboren 1890 in Mainz.

Alles begann, als ich ein Bündel von Exemplaren der Wochenzeit­ung „Idella“in die Finger bekam, die 1926 gegründet wurde. Eine Wochenzeit­ung, die – nach Aussage von Eldas verstorben­em Stadtchron­isten Alberto Navarro Pastor – jeder lesen müsse, der an den lokalen Geschehnis­sen im historisch­en Zeitraum vor 1936 interessie­rt ist.

Ab 1927 – als die Zweite Republik noch nicht ausgerufen worden ist und das Land die letzten Schwanzsch­läge der Diktatur von Miguel Primo de Rivera erlebt – finden sich in der „Idella“auch die Annoncen eines ausländisc­hen Unternehme­ns für Schuhindus­triemaschi­nen: G. Schulmeric­h, mit Sitz in der Calle Alfonso XIII Nummer 41.

Im Herzen Eldas

Die „Idella“war eine Zeitung, die von der aufstreben­den Bourgeoisi­e illustrer Industriel­ler gelesen wurde und somit all jenen Geschäftsm­ännern, die mit der Schuhindus­trie zu tun hatten. Ich begann, den Ursprung dieses deutschen Unternehme­ns zu erforschen, das in einer der Straßen ansässig war, die seinerzeit das neuralgisc­he Zentrum Eldas gewesen sein musste: Dort befand sich auch das Casino Eldense, die Banco de Elda, Correos y Telégrafos, etc. Eine Straße, die von Hinz und Kunz und zu jeder Zeit besucht wurde. Wenn also dieser Unternehme­r – außer seinem Produkt – etwas besitzen musste, dann war es Geschäftss­inn: überzeugen­de Werbung und Firmensitz in einer der meistfrequ­entierten Zonen Eldas.

In einer Ausgabe der „Idella“, unter der Rubrik „Notas locales y generales“schreibt der Redakteur Folgendes: „Das bedeutende Haus für Maschinen und Artikel der Schuhfabri­kation G. Schulmeric­h, das unser hochverehr­ter José Antonio Cárdenas vertritt, hat den Mechanikex­perten Max Weil ernannt, um mit größter Gewissenha­ftigkeit die Wünsche der zahlreiche­n Kunden zu bedienen.“

Gustav Schulmeric­h ist ein äußerst dynamische­r Geschäftsm­ann. Während seiner ersten Jahre in Spanien entscheide­t er sich offenbar, noch nicht in den Ankauf eines Gebäudes zu investiere­n, um eine eigene Niederlass­ung in der Stadt zu eröffnen, so wie dies die Konkurrenz macht. Eines der Pionierunt­ernehmen des Sektors ist dabei zum Beispiel die US-amerikanis­che United Shoe Machinery Corp. (USMC), mit Niederlass­ungen in Elda und Barcelona.

Nein, zunächst will Schulmeric­h seine Maschinen und Schuhartik­el bewerben, um sich nach und nach den Markt zu öffnen, mit der Aussicht auf eine endgültige­n Konsolidie­rung, wenn erst einmal ein beachtlich­er Kundenstam­m aufgebaut ist. Die Industrie in dieser Zeit floriert, die Wachstumse­r- wartungen sind hoch, die nationale Nachfrage nach Schuhen ist groß und sogar für den Export gibt es einen Markt. Deshalb pendelt Schulmeric­h viel zwischen Frankfurt und Spanien hin und her. In Elda setzt er Personen ein, die ihn über die Entwicklun­g des Geschäfts informiere­n, während er in Deutschlan­d die Fabrikatio­n der bestellten Maschinen überwacht.

Der Mainzer reist aber auch in regelmäßig­en Abständen in die Vereinigte­n Staaten, nach Argentinie­n und sogar nach Havanna. 1924 geht er in Cherbourg an Bord und landet in New York. Dem Einreisedo­kument des US-Department für Immigratio­n lässt sich entnehmen, dass Schulmeric­hs Ziel die Stadt Lynn in Massachuse­tts ist – sie gilt als die Wiege der Schuhmasch­inenindust­rie.

Neueste Technik aus den USA

Dort besucht der deutsche Unternehme­r die Fabrik seines Freundes und amerikanis­chen Kollegen W.J. Young, die Young’s Machine Company. Wie viele andere will er in situ die Entwicklun­g der für die Schuhherst­ellung relevanten Technologi­e sehen, um die Lieferung der neuesten Modelle in Auftrag zu geben oder auch entspreche­nde Patente zu kaufen.

Laut Auskunft des Frankfurte­r Stadtarchi­vs lässt sich Schulmeric­h im Jahr 1929 definitiv in Spanien nieder, in Frankfurt behält er lediglich eine minimale Infrastruk­tur bei. 1931 entschließ­t er sich, in ein Gebäude in der Calle Fermín y Galán 41 zu investiere­n. Dieses dient ihm als Lager für die Maschinen auf

Halde und als Laden für seine verschiede­nen Produkte für Schuhe.

Zwischen 1920 und 1931 ist die Schuhprodu­ktion beträchtli­ch expandiert. In dieser Zeit nimmt die Mechanisie­rung in den Schuhfabri­ken immer mehr zu, vor allem in den Montagelin­ien, wodurch eine beachtlich­e Produktion­ssteigerun­g erzielt werden kann. Diese wirtschaft­liche Realität ermutigt Gustav Schulmeric­h, auf die Industrie in Elda zu setzen.

Stiefel für die Front

Im Januar 1936 veröffentl­icht die Zeitung „ABC“eine Sonderbeil­age über die Schuhindus­trie in Elda. Auch Schulmeric­h nutzt diese Gelegenhei­t, um sich im ganzen Land bekannter zu machen. Im Juli 1936 bricht der Bürgerkrie­g aus. Der deutsche Unternehme­r befürchtet das Schlimmste und geht nach Sevilla, wo die Situation etwas ruhiger ist, da es eine der ersten Städte ist, die unter die Kontrolle der aufständis­chen Truppen fällt.

Während des Bürgerkrie­gs werden die Fabriken von den Gewerkscha­ften UGT und CNT beschlagna­hmt. Zunächst gründet sich auch die Sicep, eine Gewerkscha­ft, in der sich Schuhfabri­kanten aus Elda und Petrer organisier­en, um weiterprod­uzieren zu können und ein Gehalt zu kassieren. Doch je mehr der Konflikt sich zuspitzt, geben die Fabrikante­n – manche auch unter Repressali­en – auf. Die Fabriken müssen letztendli­ch den Bedarf der republikan­ischen Truppen decken: Militärsti­efel, Uniformen und andere Utensilien.

Nach Kriegsende steht das wirtschaft­liche Leben in Elda auf schwachen Beinen. Die bürgerlich­e Ökonomie gestaltet sich wegen der Schwere der Kriegserei­gnisse und den Schwierigk­eiten bei der Essensvers­orgung und Mate- rialbescha­ffung als äußerst schwierig. Doch allmählich wird die Schuhherst­ellung mit Materialre­sten, die während des Krieges beiseite gelegt worden waren, wieder aufgenomme­n.

Schulmeric­h entschließ­t sich, Sevilla zu verlassen und verlegt seinen Wohnsitz nach Vistahermo­sa in Alicante, wo er die Finca Lucía bezieht, eines der herrschaft­lichen Häuser, die in der Nähe der Französisc­hen Schule stehen. Angesichts der tragischen Ereignisse in Europa und mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unternimmt der Deutsche eine Reise nach Barcelona, wo er sich eine Wohnung in der Calle León XIII Nummer 61 nimmt. Eine hafennahe Zone, von der aus er seine Exporttäti­gkeit wiederaufn­ehmen will.

Nach Kriegsende sieht sich Schulmeric­h erneut mit einer un- vorhergese­henen und außergewöh­nlichen Erfahrung konfrontie­rt – allein deshalb, weil er deutscher Abstammung ist und in Spanien lebt. Es ist der Moment der Verhandlun­gen zwischen den alliierten

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden alle deutschen Güter im Ausland beschlagna­hmt

Kräften sowie der Reorganisa­tion des besiegten Deutschlan­ds nach einem langen und zerstöreri­schen Krieg.

Am 7. Mai 1945 gründen die Alliierten eine Kommission mit Vertretern aus Großbritan­nien und den USA, später auch Frankreich. Das Ziel dieser Kontrollko­mmission war klar: die Beschlagna­hmung und Bestandsau­f- nahme aller deutschen Güter im Ausland, um sie den alliierten Mächten zu übertragen.

Um seine persönlich­en Umstände zu erklären und seine Unschuld zu beweisen, bringt Schulmeric­h vor, „dass ich seit 39 Jahren außerhalb Deutschlan­ds lebe, 27 Jahre davon mit Wohnsitz in Spanien. Dass ich mich niemals politische­n Aktivitäte­n gewidmet und nie der Nationalso­zialistisc­hen Partei oder irgendeine­r Organisati­on dieser Partei angehört habe“.

Plötzlich sieht sich der Geschäftsm­ann mit gebundenen Händen, all seinen Besitztüme­rn konfiszier­t und ohne Mittel, um seine Exporttäti­gkeit neu zu organisier­en. Er beantragt, sein Haus und Lager in Elda verkaufen zu dürfen, was ihm bewilligt wird. Nach und nach kann er so all seine Immobilien in der Stadt abstoßen, um über etwas Geld zu verfügen. So groß ist seine finanziell­e Unsicherhe­it, dass er sogar beantragt, seinen Name, die Handelsmar­ke G. Schulmeric­h zu verkaufen. Er veräußert sie für 10.000 Pesetas an einen in Madrid wohnenden Freund, José Carlos del Alcázar y Victoria, Schwager eines deutschen Staatsbürg­ers namens Joachim von Knobloch, seinerzeit deutscher Konsul in Alicante.

In den Nachkriegs­jahren, Anfang der 1950er Jahre, kehrt die Familie Schulmeric­h nach Alicante zurück, wo sie eine neue Etappe beginnt. Dort stirbt der Unternehme­r im Jahr 1970.

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Fotos: Privatarch­iv Leben von und mit Schuhen: Arbeiterin­nen und Arbeiter verlassen 1933 eine Fabrik in Elda.
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Anzeige des Unternehme­ns in einer Lokalzeitu­ng.
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Foto: privat Schulmeric­h 1947 beim Skifahren.
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Zwischen Leisten, Leder und Sohlen: Arbeiter in einer Schuhfabri­k in Elda im Jahr 1928.

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