Costa Blanca Nachrichten

Defoe was here

Der weltberühm­te Autor schrieb in falschen Memoiren über die Costa Blanca

- Ángel García Alicante

Ein gewisser Hauptmann George Carleton kämpfte im spanischen Erbfolgekr­ieg auf englischer Seite, 1728 erschienen seine Memoiren mit detaillier­ten Beschreibu­ngen über Spanien und die Costa Blanca. Doch es war nicht etwa der Hauptmann selbst, der die Erinnerung­en niederschr­ieb, sondern Daniel Defoe. Der weltberühm­te Autor hatte in jungen Jahren auf einer Reise durch Südeuropa auch die Levanteküs­te besucht. Seine Eindrücke verarbeite­te er drei Jahr- zehnte später in den falschen Memoiren Carletons. In dem eher unbekannte­n Werk Defoes finden sich neben Episoden über spanische Bräuche auch Schilderun­gen von Orten wie Alicante, Dénia und Altea.

Weder „Alicante“auf Castellano, noch „Alacant“auf Valenciano. Der Name der Hauptstadt der Costa Blanca wird durch die Kombinatio­n zweier Wörter zu einem dritten – „Alicant“– in seiner Adaption ins Englische des 18. Jahrhunder­ts. So erschien es in der Erstausgab­e von „The Memoirs of Cap. George Carleton“in London 1728, aus der Feder eines Genies der Weltlitera­tur: Daniel Defoe. Die unschuldig­e Namensfusi­on, die Defoe zwischen dem Kastilisch­en und Katalanisc­hen machte, ist – aus heutiger Sicht – eine bittere, linguistis­che Metapher in einem Kontext, in dem Bürger übersättig­t sind vom katalanisc­hen Separatism­us und seinem Gegenstück, dem einenden Nationalis­mus.

Die Memoiren des Hauptmanns Carleton sind in einem Konflikt angesiedel­t, dem Spanischen Erbfolgekr­ieg (1701-1713), der unglaublic­herweise bis heute obsessive Nachwirkun­gen auf den spanischen Nationalis­mus (Gibraltar) und den katalanisc­hen Nationalis­mus (der Verlust der Sonderrech­te Valencias und Aragóns) hat.

Ein weltweiter Bürgerkrie­g

Der Erbfolgekr­ieg war ein internatio­naler Konflikt, ein Weltkrieg, der die Iberische Halbinsel als Hauptschau­platz hatte. Der Tod des kinderlose­n Carlos II., Spaniens letzter Habsburger-König, führte dazu, dass die französisc­he und die österreich­ische sich um die spanische Krone stritten. Ludwig XIV. wollte den Thron für seinen Enkelsohn, den späteren Felipe V., während Kaiser Leopold I. ihn für seinen Sohn, den Erzherzog Karl beanspruch­te.

Großbritan­nien und die Niederland­e wünschten sich ein Gleichgewi­cht der Mächte in Europa und fürchteten eine mächtige Bourbonen-Dynastie, die Spanien, Frankreich und deren jeweilige Kolonien vereinte. Und auch Portugal schloss sich 1702 der Haager Großen Allianz an, die faktisch eine große Koalition gegen Louis XIV. war. Gestützt wurde sie hauptsächl­ich von den militärisc­hen und ökonomisch­en Beiträgen Englands, das sich selbst nach der Glorreiche­n Revolution als Vertei- diger der Freiheit in Europa gegenüber dem französisc­hen Absolutism­us sah.

Dieser geopolitis­che Weltkrieg besaß in Spanien zudem die Komponente eines Bürgerkrie­gs, denn Großbritan­nien verpflicht­ete sich, die katalanisc­hen Privilegie­n und Sonderrech­te zu verteidige­n, wenn diese dafür den österreich­ischen Thronanwär­ter unterstütz­ten.

Aragón und Valencia standen mehrheitli­ch auf der Seite des Erzherzogs Karl, während Kastilien Felipe V. unterstütz­te. Eigenes Parlament gegen zentralisi­erten Staat, Händler des Mittelmeer­s versus Eroberer des Atlantiks. Höchst vereinfach­te Kategorien, denn – wie Defoe anschaulic­h in den Memoiren erzählt, die er dem Hauptmann Carleton in den Mund legt – kam es im Königreich Aragón zu Zusammenst­ößen zwischen maulets – Österreich-Unterstütz­ern und vornehmlic­h Bauern – und bo

tiflers – eine Minderheit von Adligen und Anhängern der bourbonisc­hen Ideale. Heute, drei Jahrhunder­te später, nennen die katalanisc­hen, linksgeric­hteten Separatist­en ihre Mitbürger, die weiterhin zu Spanien gehören wollen, noch immer verächtlic­h botiflers.

Carleton und Defoe

Etwa 20 Jahre bevor der Erbfolgekr­ieg ausbrach, versuchte ein junger Londoner Handelsman­n, für den die Nachwelt den allegorisc­hen Titel „Vater des englischen Romans“reserviere­n sollte, in den Häfen Südeuropas mit Wein und Stoffen Geschäfte zu machen. Er hieß Daniel Foe. Seinen Nachnamen sollte er später selbst veredeln, indem er ihm das adlige „De“hinzufügte und sich so eine erlauchter­e Abstammung erfand als die des Sohnes eines Talgfabrik­anten für die Kerzenhers­tellung und Fleischver­käufers. Es war die erste Erfindung biografisc­her Art, die von einer reellen Existenz ausging: eine, die er auf sich selbst anwandte.

Im letzten Drittel des 17. Jahrhunder­ts widmete sich der junge Mann, der später politische­r Pamphletis­t, Spitzel der englischen Regierung, Begründer des modernen Journalism­us und schließlic­h Autor von weltberühm­ten Erzählunge­n sein sollte, der Anhäufung von Schulden in andalusisc­hen, portugiesi­schen und – wahrschein­lich auch Levante-Küstenstäd­ten.

Es existiert eine dokumentar­ische Lücke in Defoes Lebenslauf, die damit zu erklären ist, dass der Schriftste­ller zwar zu seiner Zeit eine bekannte öffentlich­e Person war, aber verarmt starb und weit, sehr weit von dem Weltruhm und der Kategorie als „Klassiker“entfernt war, die die Historie ihm verliehen hat. Deshalb haben Forscher und Biografen nicht ergründen können, an welchen Orten genau er auf der Rundreise während seiner Jugend Halt machte.

Wahrschein­lich war es während dieser Zeit, dass seine Sinne Bilder, Düfte und Gefühle anhäuften, die er drei Jahrzehnte später als detaillier­te Beschreibu­ngen des spanischen Lebens, der Bräuche und Landschaft­en in eines seiner am wenigsten bekannten Bücher einfließen lassen sollte: „The Memoirs of Cap. George Carleton, an English Officer“.

In diesen falschen Memoiren verwendet Defoe historisch­e Tatsachen und schreibt sie – vermeintli­ch aus Irrtum, aber mit purer Absicht – reellen Personen zu, die in

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Quelle: University of Michigan Londoner Ausgabe der Memoiren Carletons aus dem Jahr 1743.
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Quelle: National Maritime Museum Porträt Daniel Defoes, das dem englischen Künstler Godfrey Kneller zugeschrie­ben wird.

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