Gigant in Grün
Wie Mercadona die spanischen Haushalte erobert
Bosque Verde steht in der Waschküche, Hacendado füllt die Speisekammer, Verdifresh macht sich im Kühlschrank breit und Delíplus gehört in jedes Bad. Zwei Dinge haben diese Produkte gemein: Sie kommen von Mercadona und sind in fast jedem spanischen Haushalt vertreten. Seit Jahren füllt Mercadona mit Eigenmarken die Einkaufswagen seiner Kunden und hat damit sagenhaften Erfolg.
Die valencianische Supermarktkette hat in Spanien inzwi- schen einen Marktanteil von über 24 Prozent und wächst Jahr für Jahr. Davon kann die Konkurrenz nur träumen. Doch nicht alles läuft stimmig unter dem Diktat des absoluten Qualitätsmanagements.
Ein sonniger Sonntag im November in València. Zehntausende stehen beim Marathon in den Startlöchern. Bürgermeister Joan Ribo gibt auf der Ehrentribüne den Startschuss, Ministerpräsident Ximo Puig winkt der vorbeilaufenden Menschenschlange zu. Der eigentliche Sponsor des Massenevents, Mercadona-Chef Juan Roig, steht sich dort oben nicht mit all den Illustren die Füße platt.
Der 68-Jährige läuft anonym irgendwo unter den joggenden Konsumenten mit. Nur die 10.000 Meter, aber immerhin. Auf den Fotos in den Zeitungen am Folgetag sieht man seinem unter einer Kappe verstecktem Gesicht an, dass der Supermarkt-Chef seine berüchtigte „Kultur der Anstrengung“nicht nur von Angestellten und Zulieferen einfordert, sondern sie auch selbst lebt.
Der zweitreichste Mann Spaniens hat die weltweit zwölftgrößte Supermarkkette praktisch in Eigenregie aufgebaut. 1981 übernimmt er die acht aus der Fleischerei Carnicas Roig bei València herausgewachsenen Mercadona-Lebensmittelgeschäfte seiner Eltern. In den 1990er Jahren kauft er regionale Supermärkte in Andalusien, Katalonien und Madrid auf. Mit 1.630 Filialen, fast 80.000 Angestellten und fünf Millionen Haushalten als Kunden ist Mercadona heute mit Abstand Marktführer im Lebensmittel-Einzelhandel.
Marktanteil von 24 Prozent
Die jüngsten Studie des Consultingunternehmens Kantar-Worldpanel schreibt dem valencianischen Marktführer einen Anteil von 24,1 Prozent zu. Verfolger Carrefour schafft es mit 8,7 Prozent Marktanteil auf den zweiten Platz, die Gruppe um den Discounter Día auf 8,2, Eroski auf 5,6 und Lidl auf 4,3 Prozent. Mit einer Wachstumsrate von 1,2 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr legt der innovative Marktführer auch stärker als andere Märkte zu. Dahinter folgt Lidl mit 0,2 Prozent.
„Mercadona und Lidl modernisieren ihre Filialen und wollen, was die neuen Tendenzen betrifft, von den Kunden auch als Markt- führer wahrgenommen werden“, sagt Florencio García, Retail-Direktor von Kantar-Worldpanel. Allein in die Modernisierung der Filialen investierte Mercadona 2017 189 Millionen Euro, ein Beispiel für die Tienda Eficiente ist der neue Markt im Industriegebiet von Finestrat.
Auch im Aufwind, was die Marktanteile betrifft: Das Konglomerat kleiner regionaler Supermärkte mit 0,3 Prozent, das indirekt vom Mercadona-Imperium profitiert. Es kann mit Markenprodukten eine Alternative zum Hacendado-Sortiment der Familie Roig bieten, trumpft mit der Nähe zu Wohngebieten und öffnet auch sonn- und feiertags.
Mercadona, wie Haushalte ihn heute kennen, entsteht Mitte der 1990er Jahre. Da kauft Juan Roig acht regionale Supermarktketten auf und modelt sie zu MercadonaFilialen um. Diese Größe erlaubt es ihm, die bisherige Geschäftspraxis auf den Kopf zu stellen. Von nun an setzen nicht mehr die Großhändler ihre Konditionen und Preise durch, sondern Mercadona diktiert die Spielregeln. Und Roig zwingt Fabrikanten ziemlich rigoros sein Modell des absoluten Qualitätsmanagements auf.
In der Größe lag die Macht
„Das modelo de gestión de calidad total ist Grundlage des Erfolgs von Mercadona“, meint Javier Alonso in seinen Buch „Historia de un éxito: Mercadona: Las claves del triunfo de Juan Roig“. Dieses Geschäftsmodell fußt auf fünf Säulen, ¬ dem Boss, dem Arbeiter, dem Großhändler, der Gesellschaft und dem Kapital – und wird inzwischen an der Harvard Business School gelehrt.
Die dazugehörige Studie zieht ein interessantes Fazit: Mercadona könnte in den USA wohl nicht funktionieren – denn: „Die Firma räumt den Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf den Kunden,
auf den Fabrikanten und auf die Gesellschaft eine höhere Priorität ein als ihren Gewinnen.“Mercadona ist sich seit jeher seiner Rolle in der Gesellschaft bewusst.
Die obersten Prinzipien
An oberster Stelle steht bei Mercadona El Jefe, der Boss. Das ist nicht Juan Roig oder der Marktleiter. Das sind die 5,1 Millionen Haushalte, die bei Mercadona einkaufen. Mitarbeiter haben ihren eigenen Jargon und reden vom Jefe, nicht vom Kunden. Oberste Prinzipien: Die Preise müssen für den Jefe permanent gedrückt werden, die Produkte peinlichst genau auf die Bedürfnisse des Jefe und seine Qualitätsansprüche zugeschnitten werden. Mercadona verfügt über zwölf Labors, in denen Kunden an der Produktentwicklung mitwirken. Die Prämisse: Hohe Qualität zum günstigen Preis.
Von 300 neuen Produkten im Sortiment von 2016 wirkten Kunden an 150 mit. So feilt der Konzern ständig mit Innovationen an einem imaginären Einkaufswagen. Millionen fließen da in Forschung und Entwicklung. 2015 vermeldet Juan Roig, die Kosten für diesen Carro-Menú sind um zwei Prozent gesunken. Nun hat der Jefe 96 Euro pro Jahr mehr im Geldbeutel.
Gleichzeitig entschuldigt sich der Mercadona-Boss, weil einem neuen Waffeleis der Schokokrokant am Waffelende fehlt. Das schmeckt dem „Jefe“scheinbar nicht. „Man kann dem Kunden nicht das Vergnügen verwehren, den Eisgenuss mit einer Schokolade abzurunden“, sagt Juan Roig und rudert zurück. Also gibt es die alte Waffel wieder – ein Beispiel, wie weit der Einfluss des Kunden reicht und welche Energie der Supermarkt in die Erforschung seiner Vorlieben steckt.
Kein Wunder, dass der innovative Juan Roig bisweilen mit Apple-Gründer Steve Jobs verglichen wird. Viel ist über seine Person allerdings nicht bekannt, der Unternehmer mit einem geschätzten Privatvermögen von 9,2 Milliarden Euro gilt als sehr öffentlichkeitsscheu. Interviews gibt er keine. Ab und an sieht man ihn als Lobbyisten für die AVE-Schnellstrecke entlang der Mittelmeerküste in Erscheinung treten. Meist aber soll er landauf, landab reisen und seine Logistikzentren, Zulieferer und Supermärkte aufsuchen.
Juan Roig stammt aus einer mittelständischen neunköpfigen Familie aus València und genoss eine franziskanisch geprägte Erziehung. Er fällt weder als herausragender Schüler oder Student auf. Während des BWL-Studiums lernt er seine Frau Hortensia Herrero kennen, die als diszipliniert und fleißig gilt. Seine Ader als Unternehmer entdeckt er erst um die 30. Da soll in ihm das Bewusstsein reifen, dass Inspiration und Innovation aus Arbeit entstehen. Daraus entwickelt sich die oft zitierte Kultur der Anstrengung. Zu dieser Zeit verschlingt Roig Bücher über Selbsthilfe und Management.
Vor die Kameras tritt er nur bei der alljährlichen Präsentation des Geschäftsergebnisses im März. Ein Presseereignis aller erster Güte. Denn der für seinen trockenen Humor bekannte Roig nimmt kein Blatt vor den Mund. Einmal geht ihm die Arbeitsmarktreform der Regierung nicht weit genug, ein anderes mal fordert er die Spanier auf, sich an der Arbeitsethik der Chinesen ein Beispiel zu nehmen, und schimpft, seine Landsleute würden um ein 20-Faches über ihre Verhältnisse leben. Valencianer angeblich sogar über ein 25-Faches. „Hier erntet niemand die Orangen oder die Erdbeeren, das machen Ausländer“, mault er.
Gleichzeitig aber tritt er als scharfer Kritiker der Sparpolitik in Erscheinung. „Ich bin gegen Kürzungen, man muss sich von dem trennen, was keinen Wertzuwachs bringt, aber nicht Einsparen um des Einsparens Willen“, meint er. Und bietet seinen Angestellten Gehälter, von denen anderswo Akademiker nur träumen können. „An- gestellte verlangen von uns ein gutes Gehalt, gute Arbeitszeiten, Sicherheit, Zukunft und Aufstiegsmöglichkeiten.“Das gibt er ihnen, allerdings nicht ohne im Gegenzug Loyalität und Einsatz einzufordern.
Coca-Cola gibt es noch
Sein Geschäftsmodell des totalen Qualitätsmanagements macht sich auf subtile Weise bei jedem Einkauf bemerkbar. Man muss froh sein, dass man noch eine Coca-Cola kaufen kann. Herstellermarken machen sich seit etwa 2009 rar im Mercadona. Das Sortiment bestim-
Juan Roig wird mitunter mit Apple-Gründer Steve Jobs verglichen