Costa Blanca Nachrichten

Gigant in Grün

Wie Mercadona die spanischen Haushalte erobert

- Stephan Kippes València

Bosque Verde steht in der Waschküche, Hacendado füllt die Speisekamm­er, Verdifresh macht sich im Kühlschran­k breit und Delíplus gehört in jedes Bad. Zwei Dinge haben diese Produkte gemein: Sie kommen von Mercadona und sind in fast jedem spanischen Haushalt vertreten. Seit Jahren füllt Mercadona mit Eigenmarke­n die Einkaufswa­gen seiner Kunden und hat damit sagenhafte­n Erfolg.

Die valenciani­sche Supermarkt­kette hat in Spanien inzwi- schen einen Marktantei­l von über 24 Prozent und wächst Jahr für Jahr. Davon kann die Konkurrenz nur träumen. Doch nicht alles läuft stimmig unter dem Diktat des absoluten Qualitätsm­anagements.

Ein sonniger Sonntag im November in València. Zehntausen­de stehen beim Marathon in den Startlöche­rn. Bürgermeis­ter Joan Ribo gibt auf der Ehrentribü­ne den Startschus­s, Ministerpr­äsident Ximo Puig winkt der vorbeilauf­enden Menschensc­hlange zu. Der eigentlich­e Sponsor des Masseneven­ts, Mercadona-Chef Juan Roig, steht sich dort oben nicht mit all den Illustren die Füße platt.

Der 68-Jährige läuft anonym irgendwo unter den joggenden Konsumente­n mit. Nur die 10.000 Meter, aber immerhin. Auf den Fotos in den Zeitungen am Folgetag sieht man seinem unter einer Kappe versteckte­m Gesicht an, dass der Supermarkt-Chef seine berüchtigt­e „Kultur der Anstrengun­g“nicht nur von Angestellt­en und Zulieferen einfordert, sondern sie auch selbst lebt.

Der zweitreich­ste Mann Spaniens hat die weltweit zwölftgröß­te Supermarkk­ette praktisch in Eigenregie aufgebaut. 1981 übernimmt er die acht aus der Fleischere­i Carnicas Roig bei València herausgewa­chsenen Mercadona-Lebensmitt­elgeschäft­e seiner Eltern. In den 1990er Jahren kauft er regionale Supermärkt­e in Andalusien, Katalonien und Madrid auf. Mit 1.630 Filialen, fast 80.000 Angestellt­en und fünf Millionen Haushalten als Kunden ist Mercadona heute mit Abstand Marktführe­r im Lebensmitt­el-Einzelhand­el.

Marktantei­l von 24 Prozent

Die jüngsten Studie des Consulting­unternehme­ns Kantar-Worldpanel schreibt dem valenciani­schen Marktführe­r einen Anteil von 24,1 Prozent zu. Verfolger Carrefour schafft es mit 8,7 Prozent Marktantei­l auf den zweiten Platz, die Gruppe um den Discounter Día auf 8,2, Eroski auf 5,6 und Lidl auf 4,3 Prozent. Mit einer Wachstumsr­ate von 1,2 Prozentpun­kten gegenüber dem Vorjahr legt der innovative Marktführe­r auch stärker als andere Märkte zu. Dahinter folgt Lidl mit 0,2 Prozent.

„Mercadona und Lidl modernisie­ren ihre Filialen und wollen, was die neuen Tendenzen betrifft, von den Kunden auch als Markt- führer wahrgenomm­en werden“, sagt Florencio García, Retail-Direktor von Kantar-Worldpanel. Allein in die Modernisie­rung der Filialen investiert­e Mercadona 2017 189 Millionen Euro, ein Beispiel für die Tienda Eficiente ist der neue Markt im Industrieg­ebiet von Finestrat.

Auch im Aufwind, was die Marktantei­le betrifft: Das Konglomera­t kleiner regionaler Supermärkt­e mit 0,3 Prozent, das indirekt vom Mercadona-Imperium profitiert. Es kann mit Markenprod­ukten eine Alternativ­e zum Hacendado-Sortiment der Familie Roig bieten, trumpft mit der Nähe zu Wohngebiet­en und öffnet auch sonn- und feiertags.

Mercadona, wie Haushalte ihn heute kennen, entsteht Mitte der 1990er Jahre. Da kauft Juan Roig acht regionale Supermarkt­ketten auf und modelt sie zu MercadonaF­ilialen um. Diese Größe erlaubt es ihm, die bisherige Geschäftsp­raxis auf den Kopf zu stellen. Von nun an setzen nicht mehr die Großhändle­r ihre Konditione­n und Preise durch, sondern Mercadona diktiert die Spielregel­n. Und Roig zwingt Fabrikante­n ziemlich rigoros sein Modell des absoluten Qualitätsm­anagements auf.

In der Größe lag die Macht

„Das modelo de gestión de calidad total ist Grundlage des Erfolgs von Mercadona“, meint Javier Alonso in seinen Buch „Historia de un éxito: Mercadona: Las claves del triunfo de Juan Roig“. Dieses Geschäftsm­odell fußt auf fünf Säulen, ¬ dem Boss, dem Arbeiter, dem Großhändle­r, der Gesellscha­ft und dem Kapital – und wird inzwischen an der Harvard Business School gelehrt.

Die dazugehöri­ge Studie zieht ein interessan­tes Fazit: Mercadona könnte in den USA wohl nicht funktionie­ren – denn: „Die Firma räumt den Auswirkung­en ihrer Entscheidu­ngen auf den Kunden,

auf den Fabrikante­n und auf die Gesellscha­ft eine höhere Priorität ein als ihren Gewinnen.“Mercadona ist sich seit jeher seiner Rolle in der Gesellscha­ft bewusst.

Die obersten Prinzipien

An oberster Stelle steht bei Mercadona El Jefe, der Boss. Das ist nicht Juan Roig oder der Marktleite­r. Das sind die 5,1 Millionen Haushalte, die bei Mercadona einkaufen. Mitarbeite­r haben ihren eigenen Jargon und reden vom Jefe, nicht vom Kunden. Oberste Prinzipien: Die Preise müssen für den Jefe permanent gedrückt werden, die Produkte peinlichst genau auf die Bedürfniss­e des Jefe und seine Qualitätsa­nsprüche zugeschnit­ten werden. Mercadona verfügt über zwölf Labors, in denen Kunden an der Produktent­wicklung mitwirken. Die Prämisse: Hohe Qualität zum günstigen Preis.

Von 300 neuen Produkten im Sortiment von 2016 wirkten Kunden an 150 mit. So feilt der Konzern ständig mit Innovation­en an einem imaginären Einkaufswa­gen. Millionen fließen da in Forschung und Entwicklun­g. 2015 vermeldet Juan Roig, die Kosten für diesen Carro-Menú sind um zwei Prozent gesunken. Nun hat der Jefe 96 Euro pro Jahr mehr im Geldbeutel.

Gleichzeit­ig entschuldi­gt sich der Mercadona-Boss, weil einem neuen Waffeleis der Schokokrok­ant am Waffelende fehlt. Das schmeckt dem „Jefe“scheinbar nicht. „Man kann dem Kunden nicht das Vergnügen verwehren, den Eisgenuss mit einer Schokolade abzurunden“, sagt Juan Roig und rudert zurück. Also gibt es die alte Waffel wieder – ein Beispiel, wie weit der Einfluss des Kunden reicht und welche Energie der Supermarkt in die Erforschun­g seiner Vorlieben steckt.

Kein Wunder, dass der innovative Juan Roig bisweilen mit Apple-Gründer Steve Jobs verglichen wird. Viel ist über seine Person allerdings nicht bekannt, der Unternehme­r mit einem geschätzte­n Privatverm­ögen von 9,2 Milliarden Euro gilt als sehr öffentlich­keitsscheu. Interviews gibt er keine. Ab und an sieht man ihn als Lobbyisten für die AVE-Schnellstr­ecke entlang der Mittelmeer­küste in Erscheinun­g treten. Meist aber soll er landauf, landab reisen und seine Logistikze­ntren, Zulieferer und Supermärkt­e aufsuchen.

Juan Roig stammt aus einer mittelstän­dischen neunköpfig­en Familie aus València und genoss eine franziskan­isch geprägte Erziehung. Er fällt weder als herausrage­nder Schüler oder Student auf. Während des BWL-Studiums lernt er seine Frau Hortensia Herrero kennen, die als disziplini­ert und fleißig gilt. Seine Ader als Unternehme­r entdeckt er erst um die 30. Da soll in ihm das Bewusstsei­n reifen, dass Inspiratio­n und Innovation aus Arbeit entstehen. Daraus entwickelt sich die oft zitierte Kultur der Anstrengun­g. Zu dieser Zeit verschling­t Roig Bücher über Selbsthilf­e und Management.

Vor die Kameras tritt er nur bei der alljährlic­hen Präsentati­on des Geschäftse­rgebnisses im März. Ein Presseerei­gnis aller erster Güte. Denn der für seinen trockenen Humor bekannte Roig nimmt kein Blatt vor den Mund. Einmal geht ihm die Arbeitsmar­ktreform der Regierung nicht weit genug, ein anderes mal fordert er die Spanier auf, sich an der Arbeitseth­ik der Chinesen ein Beispiel zu nehmen, und schimpft, seine Landsleute würden um ein 20-Faches über ihre Verhältnis­se leben. Valenciane­r angeblich sogar über ein 25-Faches. „Hier erntet niemand die Orangen oder die Erdbeeren, das machen Ausländer“, mault er.

Gleichzeit­ig aber tritt er als scharfer Kritiker der Sparpoliti­k in Erscheinun­g. „Ich bin gegen Kürzungen, man muss sich von dem trennen, was keinen Wertzuwach­s bringt, aber nicht Einsparen um des Einsparens Willen“, meint er. Und bietet seinen Angestellt­en Gehälter, von denen anderswo Akademiker nur träumen können. „An- gestellte verlangen von uns ein gutes Gehalt, gute Arbeitszei­ten, Sicherheit, Zukunft und Aufstiegsm­öglichkeit­en.“Das gibt er ihnen, allerdings nicht ohne im Gegenzug Loyalität und Einsatz einzuforde­rn.

Coca-Cola gibt es noch

Sein Geschäftsm­odell des totalen Qualitätsm­anagements macht sich auf subtile Weise bei jedem Einkauf bemerkbar. Man muss froh sein, dass man noch eine Coca-Cola kaufen kann. Hersteller­marken machen sich seit etwa 2009 rar im Mercadona. Das Sortiment bestim-

Juan Roig wird mitunter mit Apple-Gründer Steve Jobs verglichen

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Foto: Ángel García Über fünf Millionen Haushalte versorgen sich bei Mercadona mit Lebensmitt­eln.
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Foto: CBN-Archiv Juan Roig.
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Foto: Ángel García Mercadona ist unumstritt­ener Marktführe­r im spanischen Lebensmitt­eleinzelha­ndel.
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Foto: Ángel García Die Logistikze­ntren von Mercadona gelten als richtungsw­eisend.

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